«Kann es auch jüngere Pferde treffen?«
«Wenn Sie damit Rennpferde in einem Stall meinen, ja, durchaus, aber die werden doch geputzt, nicht wahr? Beim Putzen wird die Zecke vielleicht beseitigt. Ja, das wäre denkbar. In Amerika werden vorwiegend die Veteranen auf der Weide krank.«
«Hm«, sagte ich,»und gibt es auch ein Heilmittel?«
«Tetracyclin«, sagte er prompt.»Ich bringe für Ihren alten Knaben welches mit. Vielleicht ist es noch früh genug. Kommt drauf an.«
«Und, ehm. «, sagte ich,»können Menschen sich die Krankheit zuziehen?«
Er nickte.»Ja, schon. Sie wird meistens nicht richtig diagnostiziert, da die vielen Symptome so verwirrend sind.
Man verwechselt sie mit dem Rocky-MountainFleckfieber, aber sie ist anders. Seltener. Und Tetracyclin hilft bei beiden.«
«Wie läßt sie sich diagnostizieren?«
«Blutuntersuchung«, sagte er prompt.»Der Tropfen, den Sie mitgebracht haben, war eigentlich nicht genug.«
Ich flog mit der letzten Maschine des Tages zurück von Edinburgh nach Heathrow, wieder umringt von Trägern rotweißer Schals, die jetzt noch zotigere Lieder von sich gaben. Baß- und Baritonstimmen, melodisch, widerhallend. Die Rotweißen hatten offensichtlich das Länderspiel in Murrayfield gewonnen. Bier floß mit joggerartiger Geschwindigkeit. Eine offene Flamme hätte die Alkoholdünste in der Kabine entzündet. Die Flugbegleiterinnen wurden in den Po gekniffen. Die Hochstimmung steigerte sich womöglich noch während der Stunde in der Luft.
Mir schwirrte der Kopf von anderen Dingen, dem Nachhall der Fakten, mit denen Guggenheim mich überschüttet hatte.
Der Mann selbst saß irgendwo zwischen den Schals, von mir getrennt, weil zwei Sitze nebeneinander nicht zu bekommen gewesen waren. Er hatte nur das nötigste Handgepäck dabei, aber um so mehr Hoffnung und eine große Tasche mit wissenschaftlichen Feldinstrumenten. Nichts hätte ihn von seiner Suche nach dem unbenannten Vektor von E. risticii abhalten können. Er zitterte vor Hunger. Mit sensiblen Fingerspitzen griff er nach den Sternen, wie Händel nach dem Halleluja, wie Newton nach dem Infinitesimalkalkül, wie Ehrlich zweifellos nach dem Arsen zur Syphilisbehandlung. Sein Genie verlangte nach Anerkennung.
«Es ist früh im Jahr für das Potomac-Fieber«, hatte er gesagt.
«Eigentlich ist das eine Warmwettergeschichte…«
«Die Zecken kamen aus dem Süden Frankreichs«, erklärte ich ihm.»Aus dem Rhönetal.«
«Ein Fluß. Aber normalerweise ist die Zeit von Mai bis Oktober.«
«Voriges Jahr im August hatten wir ein von Zecken wimmelndes totes Kaninchen.«
«Ja. Ja. August.«
«Bei uns in Pixhill ging im letzten Sommer ein Bazillus um, der eine kleine Anzahl Pferde für die Saison außer Gefecht gesetzt hat.«
Er stöhnte. Vor Freude, soweit ich es beurteilen konnte.
«Eine ähnliche, nicht spezifizierte Fieberkrankheit trat auch in Frankreich auf«, sagte ich.»Das habe ich diese Woche erst wieder in der Zeitung gelesen.«
«Suchen Sie mir die Zeitung raus.«
«Ja, okay.«
«Auf Pferde-Ehrlichiose hat man natürlich nicht untersucht… die Infektion ist noch fast unbekannt. Selten. Sie tritt vereinzelt auf, nicht als Epidemie. Da muß man lange suchen. Das ist wunderbar.«
«Nicht für die Pferdebesitzer.«
«Aber wir haben hier einen historischen Moment…«
Wir hatten ein hoffnungsloses Debakel, dachte ich, wenn ich das alles nicht schnell bereinigen konnte.»Freddie Crofts Spedition brachte Potomac-Pferdefieber nach England. «Ich sah die Schlagzeilen schon vor mir.»Freddie Crofts Fahrer brachten Fieber nach England. «Vielleicht sollte man Freddie Crofts Spedition lieber nicht in Anspruch nehmen? So leid es mir tut, Freddie, aber da darf ich kein Risiko eingehen.
Vertrauen war zerbrechlich, Treue wandelbar. Kaninchen, die Zecken einschleppen? Nein, herzlichen Dank.
Freddie Crofts Raceways aus dem Geschäft.
Mir lief der Schweiß.
Eins von den Watermead-Kaninchen hatte am vorigen Sonntag gefehlt. Es waren nur vierzehn, nicht fünfzehn da, hatten die Kinder gesagt. Vielleicht hatte Lewis, der bewährte Kaninchenbändiger, dieses eine Kaninchen mit nach Frankreich genommen. Heimlich, in einem versteckten Behältnis über den Dieseltanks. Im vorigen August war es auch Lewis, der das tote, von Zecken übersäte Kaninchen aus Frankreich mitgebracht hatte. Joggers toten Cousin.
Zecken. Joggers Stimme drang deutlich durch die gegrölten Rugbylieder.»Ein Phönixpferd hatte den gleichen Hut auf«, hörte ich ihn sagen, als die Rotweißen ihr» Liegt der Feind in Schutt und Asche «anstimmten, ein Text, der mir neu war, aber leicht ins Ohr ging, denn sie sangen ihn zur Melodie von» Mein Hut, der hat drei Ecken«. Ein Phönixpferd, dachte ich halb beduselt, hatte den gleichen Hut auf. Mit wieviel Federn? Nicht mit Federn, mit drei Ecken… Ecken, Wecken, Decken, Strecken: Ein Phönixpferd hatte die gleichen Zecken!
Ein Phönixpferd hatte vorigen Sommer die gleichen Zecken, und es ist gestorben.
Wer war Phönix?
O Gott, dachte ich. Nicht Phönix und Adler. Nicht Phönix und Federn, oder Phönix und Sonne oder Phoenix, Arizona, oder Phönix und Ovid. Nein… Phönix und Asche.
Asche… Usher.
Ein Pferd von Benjy Usher hatte die gleichen Zecken…
Dots Stimme:»Diese alten Klepper. Sie sind eingegangen. Ich hasse das. Immer standen sie vor dem Wohnzimmerfenster.«
Eine vielgekniffene Flugbegleiterin fragte mich durch den fröhlichen Lärm ringsherum, ob sie mir etwas bringen dürfe.
«Einen dreifachen Scotch… nein, nur einen einfachen. Muß noch nach Hause fahren.«
Bilder zogen an meinem inneren Auge vorbei. Benjy Usher beim Training von seinem Fenster im ersten Stock aus. Benjy, der nie seine Pferde anfaßte. Benjy, wie er mich seine Starter in Sandown satteln ließ.
Benjy konnte doch wohl nicht gewußt haben, daß seine altersschwachen, sterbenden Pensionäre wahrscheinlich von Ehrlichiae befallen waren? Oder doch? Hatte Benjy Angst gehabt, die mikroskopisch kleinen Organismen würden auf ihn überspringen?
Wenn er das aber befürchtet hatte, wieso erbot er sich dann wieder, zwei alte Pferde aufzunehmen? Wußte er, daß auch sie möglicherweise Zecken hatten?
Lewis fuhr oft für ihn.
Die Flugbegleiterin brachte meinen Drink.
Benjy ließ seine Pferde in Rennen mit kleinem Feld starten und hatte öfter schon das unverschämte Glück gehabt, daß sein Pferd sich als einziges am Start befand.
Es mußte Zufall sein. Benjy war reich.
Und wenn er nun nach Siegen statt nach Geld hungerte? Die Stimme von Harve:»Mr. Usher ist ein miserabler Trainer.«
Es war Unsinn. Bestimmt war es Unsinn.
Von irgendwoher drang, vermischt mit den Rugbygesängen, ein Satz, den ich einmal gelesen hatte, an die Oberfläche meines Bewußtseins.»Es ist müßig, über die treibende Kraft in uns zu spekulieren; sie bricht von selbst hervor und zeigt sich. Unter Druck läßt sie sich nicht verbergen.«
Was, wenn Benjy Usher von Siegesdurst getrieben wurde, einem Verlangen, das sein Können allein nicht zu stillen vermochte.?
Nein. Ausgeschlossen. Und doch bereiteten Siege ihm orgastisches Vergnügen.
Lewis fuhr oft für Benjy.
Lewis hatte sich vorigen Sommer die Locken abgeschnitten.
Hatte Lewis befürchtet, Zecken in die langen Haare zu bekommen?
Er hatte den zeckenbefallenen Cousin aus Joggers Grube transportiert.
Jogger.
Benjy hatte Jogger nicht umgebracht. Benjy hatte bei den Watermeads Tennis gespielt um die Zeit, als Jogger gestorben war.
Lewis hatte Jogger nicht umgebracht. Er war in Frankreich gewesen.
Lewis war später als geplant vom Bauernhof zurückgekommen, früh um zwei in der Nacht von Montag auf Dienstag. Er hatte Michaels Zweijährige auf dem Hof untergestellt und mir die Nachricht hinterlassen, er habe Grippe. Ich hatte die beiden Zweijährigen am Dienstag morgen mit seinem Super-Sechser zu Michael gebracht, hatte dort gefrühstückt und Irkab Alhawa beim Galopp zugesehen. Danach war der Sechser mit einem anderen Fahrer wieder zum Pferderennen gerollt.
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