Mehrere Gedanken schossen mir durch den Kopf, fast wie ein paar kalte Zylinder, die plötzlich zünden. Ich setzte mich an den Computer in meinem demolierten Zimmer und studierte noch einmal die Bedienungsanleitung für einen neuerlichen Streifzug durch die alten Informationen auf den virusfreien Disketten.
Mir war eingefallen, daß ich bei der Durchsicht der Touren meiner Fahrer versäumt hatte, Jogger aufzurufen. Als ich das jetzt nachholte, gab es wenig her, denn er war sehr selten gefahren; kaum ein halbes dutzendmal im vergangenen Jahr und fast immer an Feiertagen, wenn sich die Rennen im Land knubbelten und wir die letzten Fahrerreserven zusammenkratzen mußten.
Ich rieb mir die Nase, überlegte noch ein wenig und holte die Transporter selbst auf den Bildschirm, Kennzeichen für Kennzeichen.
Jetzt sahen die Tabellen auf dem Monitor ganz anders aus: die gleichen Informationen wie vorher, aber sozusagen von der Seite angestrahlt, wie Marigolds sonst unsichtbare Zecken.
Nach Kennzeichen geordnet, war jeder Transporter jetzt ausführlich dokumentiert, mit Kalenderdaten, Fahrten, Fahrern, Fahrtzweck, Fahrzeit, Meilenstand, Wartungsterminen, Reparaturen, Lizenzen, Verkehrstauglichkeitsbescheinigungen, Leergewicht, Tankinhalt, Kraftstoffverbrauch Tag für Tag.
Nach einiger gedanklicher Anstrengung, ausgiebigem Blättern in der Bedienungsanleitung und zwei, drei Fehl-starts bekam ich als nächstes eine Auflistung sämtlicher von Jogger im vorigen August ausgeführten Reparaturarbeiten. Ich hatte sie chronologisch sortiert und erhielt schlicht das Datum, das Kfz-Kennzeichen und die Bezeichnung der ausgeführten Arbeiten.
Sommertag für Sommertag ging ich diesen einen Monat in Joggers Leben noch einmal durch, und so fand ich ihn, den toten Cousin.
10. August. Das Kennzeichen des Transporters, den normalerweise Phil fuhr. Ölwechsel über der Schmiergru-be. Luftbehälter für die Druckluftbremsen geleert. Kompressor geprüft. Alle Schmiernippel gefüllt. Zum Schluß ein Vermerk, den Isobel an dem Tag eingegeben und vergessen hatte:»Jogger sagt, ein totes Kaninchen ist aus dem Transporter in die Grube gefallen. Von Zecken übersät, sagt er. Auf den Müll geworfen.«
Ich schaute geistesabwesend ins Leere.
Nach einer Weile fing ich von vorn an und rief Phils Daten auf den Bildschirm, um zu sehen, wo er am 10., 9. oder 8. August war.
Phil, so sagte mir mein treuer Gehilfe, hatte den fraglichen Transporter an keinem dieser Tage gefahren. Er hatte einen anderen, älteren Wagen gefahren, den ich, wie mir einfiel, später verkauft hatte.
Zurück ans Reißbrett: zurück zu den Kennzeichen, zu der Beleuchtung von der Seite.
Am 7. August war der Transporter, den jetzt Phil fuhr, mit zwei Startern für Benjy Usher nach Frankreich gefahren. Sie waren am 8. in Cagnes-sur-Mer an der Mittelmeerküste gelaufen und am 9. nach Pixhill zurückgekehrt.
Der Fahrer des Transporters auf dieser Tour war Lewis.
Lewis hatte den Transporter im vorigen Jahr überhaupt meistens gefahren, wenn ich es recht bedachte. Im Herbst hatte ich Lewis dann den funkelnagelneuen Super-Sechser zugeteilt, den ich gekauft hatte, weil der alte mir nicht mehr gut genug war, denn ich wollte, daß die Usher- und Watermead-Pferde mit allem Komfort reisten. Lewis hatte im September ein Pferd von Michael mit dem neuen Super-Sechser nach Doncaster gebracht, wo es das letzte klassische Rennen des Jahres, das Saint Leger, gewann.
Gegen Viertel nach zehn rief ich in Edinburgh an.
«Quipp hier«, sagte eine angenehme Stimme. Englisch, nicht schottisch.
«Ehm… entschuldigen Sie meinen Anruf«, sagte ich,»aber wissen Sie vielleicht, wo ich meine Schwester Lizzie finden könnte?«
Nach einer winzigen Pause sagte er:»Wer sind Sie, Robin oder Freddie?«
«Freddie.«
«Bleiben Sie dran.«
Ich blieb dran und hörte ihn rufen:»Liz, dein Bruder Fred…«:, und dann sagte sie auch schon, einigermaßen erschrocken:»Ist was mit deinem Kopf?«
«Bitte? Nein. Außer daß er ein bißchen langsam und schwach geschaltet hat. Hör mal, ehm… Lizzie, kennst du einen, der was über Zecken weiß?«
«Zecken?«
«Ja. Die kleinen Beißer.«
«Du lieber Himmel.«
Sie sagte Professor Quipp, was ich wollte, und er kam wieder an den Apparat.
«Welche Art von Zecken?«fragte er.
«Das will ich gerade herausfinden. Die Sorte, die Pferde und… ehm, Kaninchen befällt.«
«Haben Sie Exemplare davon?«
«Bei mir im Garten steht ein Pferd, das wahrscheinlich welche hat.«
Nach einer Pause meldete sich Lizzie wieder.»Ich versuche, Quipp klarzumachen, daß du eine Gehirnerschütterung hast.«
«Das war einmal.«
«Und was für ein Pferd steht bei dir im Garten?«
«Peterman. Einer der Veteranen vom vorigen Dienstag. Im Ernst, Lizzie, frag deinen Professor mal, wo ich mich über Zecken informieren kann. In Pixhill stehen zu viele Multimillionenpferde, da darf man nichts anbrennen lassen, wenn Zecken sie krank machen können.«
«Ach, du guter Gott.«
Geschlagene drei Minuten war es still an meinem Ohr, dann sagte Professor Quipp:»Sind Sie noch da?«
«Ja.«
«Ich habe einen Bekannten, der Spezialist für Zecken ist. Er fragt, ob Sie ihm einige Exemplare besorgen können.«
«Meinen Sie jetzt… das Pferd in ein Transportauto laden und nach Edinburgh kommen?«
«Es wäre eine Möglichkeit.«
«Das Pferd ist schrecklich alt und tatterig. Lizzie weiß das, sie hat es gesehen. Es würde die Fahrt vielleicht nicht überstehen.«
«Ich rufe Sie zurück«, sagte er.
Ich wartete. Mein Jaguar und Lizzies Hubschrauber standen unbrauchbar auf dem Asphalt. Wunderbar schnelle Transportmittel, außer Betrieb.
Quipp meldete sich schon bald wieder.
«Lizzie sagt, wenn Sie sagen, die Sache drängt, dann drängt sie.«
«Sie drängt.«
«Gut. Dann kommen Sie doch mit dem Flieger her. Wir holen Sie am Edinburgher Flughafen ab. Sagen wir… um eins? Kurz nach eins?«
«Ehm…«:, setzte ich an.
«Natürlich können Sie das Pferd nicht mitbringen«, sagte Quipp,»es genügen ein paar Zecken.«
«Aber ich kann sie eigentlich gar nicht sehen.«
«Ganz normal. Die sind sehr klein. Nehmen Sie Seife.«
Surreal.
«Feuchten Sie ein Stück Seife an, bis es klebrig ist«, sagte er.
«Streichen Sie dem Pferd damit übers Haar. Wenn sich runde braune Tüpfel auf der Seife finden, haben Sie Zek-ken.«
«Sterben die dann nicht?«
«Mein Bekannter meint, eventuell nicht, wenn Sie auf dem Weg hierher keine Zeit verlieren, und vielleicht spielt es auch gar keine Rolle. Ach ja, und bringen Sie eine Blutprobe von dem Pferd mit.«
Ich wollte einwenden, daß es mindestens eine Stunde dauern würde, bis der Tierarzt eintraf, doch die Stimme von Lizzie kam mir zuvor.
«In meinem Badezimmerschrank liegt eine Injektionsnadel«, sagte sie.»Die ist noch aus den Zeiten meiner Wespenallergie, als ich zu Hause gewohnt hab. Ich hab sie neulich gesehen. Die kannst du nehmen.«
«Aber Lizzie.«
«Mach dich an die Arbeit«, befahl sie, und Quipps Stimme sagte:»Wir holen Sie vom Mittagsflugzeug ab. Rufen Sie an, falls Sie später kommen.«
«Ja«, sagte ich benommen und hörte auch schon das Klicken, als am anderen Ende aufgelegt wurde. Ein ganz und gar nicht zerstreuter Professor, sinnierte ich. Er paßte gut zu meiner Schwester.
Was Peterman davon halten würde, wenn ich ihn mit Nadeln piekste, daran wagte ich nicht zu denken. Ich ging hinauf in das kleine rosa und goldene Bad neben Lizzies Zimmer und fand die Injektionsnadel, wie sie gesagt hatte, dort im Spiegelschrank. Es war eine ausdrücklich» zum einmaligen Gebrauch «bestimmte Spritze in einer undurchsichtigen weißen Plastikhülle, und sie sah mir viel zu klein aus für ein Pferd. Da Lizzie aber gesagt hatte, ich solle sie benutzen, nahm ich sie und ein klebrig angefeuchtetes Stück Seife mit nach unten und näherte mich dem alten Knaben im Garten.
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