Er war zutiefst beleidigt. Seine Stimme schnellte ein paar Oktaven in die Höhe, und mit rachsüchtig verzogenem Mund schrie er mich praktisch an:»Ihre Drecksmutter hatte kein Recht auf diese Anteile. Keith hätte sie mal lieber ordentlich verdreschen sollen. Und Jack sagt, Sie haben ge-stern auch Prügel von Keith bezogen, bloß nicht genug, und jetzt stecken Sie schon wieder Ihre Drecksnase in unsere Angelegenheiten, und wenn Sie meinen, Sie können uns Geld abpressen, dann haben Sie in den Wind gepißt.«
Durch den fehlenden Zusammenhang wirkte sein Ausbruch nur noch giftiger. Was mich anbelangte, so hatte ich von den Strattons eine Kränkung zuviel abbekommen und ließ mich zu einer Brutalität hinreißen, die mir sonst eher fernlag. Ich sagte absichtlich verletzend: »Sie haben in Ihrer Familie doch überhaupt nichts zu melden. Für die sind Sie Luft. Die sehen Sie noch nicht mal an. Wie kommt denn das?«
Seine Hände zuckten hoch und ballten sich zu Fäusten. Er machte wütend einen Schritt nach vorn. Ich richtete mich auf, damit ich (hoffentlich) nicht so leicht besiegbar aussah, wie ich in Wirklichkeit war, und ungeachtet der Gefahr warf ich ihm in meiner Erregung höhnisch an den Kopf:»Es hat sie wahrscheinlich ein Vermögen gekostet, daß Sie frei herumlaufen dürfen, statt im Knast zu sitzen.«
Er schrie:»Aufhören! Seien Sie still! Ich werde mich bei Tante Marjorie beschweren. «Eine seiner Fäuste wischte an meinem Kinn vorbei.
«Bitte sehr«, sagte ich. Ich versuchte zwar, mich wieder in die Gewalt zu bekommen, doch auch in meinen Ohren klang, was ich sagte, verletzend und grob:»Sie sind ein Dummkopf, Forsyth, und zweifellos ein Lump dazu, und Marjorie verachtet Sie sowieso, der brauchen Sie nicht noch was vorzuheulen, damit sie Ihnen die verrotzte Nase putzt. Und wenn Sie sehen könnten, wie die Stinkwut Ihnen das Gesicht entstellt, würden Sie um zehn Ecken rennen und sich verkriechen.«
Die letzte, kindische Stichelei traf ihn schwer. Offenbar hielt er sich etwas auf sein Aussehen zugute. Die trotzig verzerrten Züge glätteten sich, die straff hochgezogene Lippe legte sich über die Zähne und die blasse Haut lief rot an.
«Sie Scheißkerl!« Er bebte vor alten und neuen Demütigungen. Die Fäuste öffneten sich und sanken herunter. Schon stand er nur noch als jämmerlicher Versager da, viel Lärm und Pose, nichts dahinter.
Plötzlich schämte ich mich. Na großartig, dachte ich, da schießt du aus allen Rohren auf den kleinsten Stratton. Und wo waren deine mutigen Worte gestern, als Keith dir gegenüberstand?
«Ich tauge mehr zum Verbündeten als zum Feind«, sagte ich.»Warum versuchen Sie es nicht mit mir?«
Er sah geschlagen und verwirrt aus; vielleicht war er mürbe genug, um ein paar Fragen zu beantworten.
Ich sagte:»Hat Keith Ihnen gesagt, ich sei hierhergekommen, um Ihrer Familie Geld abzupressen?«
«Natürlich. Weshalb hätten Sie sonst kommen sollen?«
Ich sagte nicht:»Weil das Geld Ihres Großvaters mir mein Studium ermöglicht hat. «Ich sagte nicht:»Vielleicht, um meine Mutter zu rächen. «Ich sagte:»Hat er das gesagt, bevor die Tribüne hochgegangen ist, oder danach?«
«Bitte?«
Ich wiederholte die Frage nicht. Er starrte eine Weile mürrisch vor sich hin und sagte schließlich:»Danach, glaube ich.«
«Wann genau?«
«Am Freitag. Vorgestern. Am Nachmittag. Wir hatten von der Explosion gehört, und da sind viele von der Familie hergefahren. Sie hatte man ins Krankenhaus geschafft. Keith meinte, jetzt würden Sie garantiert ein paar Schrammen über Gebühr hochspielen. Er war ganz sicher.«
«Und Sie haben ihm natürlich geglaubt?«
«Klar.«
«Sie alle?«
Er zuckte die Achseln.»Conrad sagte, wir sollten uns darauf gefaßt machen, daß wir Ihnen Schmerzensgeld zahlen müssen, und Keith meinte, das könnten sie sich nicht mehr leisten, nachdem…«Er brach plötzlich ab, noch verwirrter als vorher.
«Nachdem was?«fragte ich.
Er schüttelte unglücklich den Kopf.
«Nachdem sie«, vermutete ich,»schon so tief in die Tasche greifen mußten, um Ihnen aus der Patsche zu helfen?«
«Ich will das nicht hören«, sagte er und hielt sich wie ein Kind die Ohren zu.»Seien Sie still.«
Er war um die Zwanzig, dachte ich. Nicht besonders schlau, ohne Arbeit und anscheinend ungeliebt. Auch und vor allem ein Stratton. Leute mit Geld abzufinden war bei den Strattons alter Brauch, doch wenn man das Verhalten der anderen gegenüber Forsyth bei der Vorstandssitzung am Mittwoch zugrunde legte, hatte er sie zuviel gekostet. Was an Zuneigung dagewesen sein mochte, hatte sich zu diesem Zeitpunkt in Groll verwandelt.
Es gab in der Familie ein System von Druckmitteln und Zwängen; ich merkte, daß sie vorhanden waren, konnte aber nicht den Finger darauf legen. Forsyths Vergehen an sich war für die anderen wahrscheinlich nicht so von Bedeutung wie einerseits die Kosten, um es aus der Welt zu schaffen, und andererseits die Macht, die sie dadurch über ihn gewonnen hatten. Konnten sie ihm nach wie vor mit einer Enthüllung drohen, würde er jetzt vermutlich alles tun, was die Familie von ihm verlangte.
Roger hatte gesagt, Marjorie halte Conrad in einer Art Zangengriff — er füge sich stets ihren Forderungen.
Ich selbst hatte mich, ohne die mögliche Tragweite zu erkennen, bereit erklärt, für sie herauszufinden, wieviel Schulden Keith hatte und bei wem, und ferner, womit Conrad sich von dem Möchtegern-Architekten der neuen Tribüne unter Druck setzen ließ, der sich als Wilson Yarrow entpuppt hatte, über den ich etwas wußte, das mir entfallen war.
Wurde ich am Ende von Marjorie benutzt, um Dinge ans Licht zu fördern, die ihr noch mehr Druckmöglichkeiten, noch mehr Macht über ihre Familie geben sollten? Hatte sie sofort durchschaut, daß ich ihr helfen würde, wenn sie mein Interesse am Erfolg der Rennbahn weckte? War sie so gewieft, und war ich so schwer von Begriff? Wahrscheinlich ja.
Trotzdem glaubte ich immer noch, daß ihr der Erfolg der Rennbahn wirklich am Herzen lag, auch wenn sie mich als Werkzeug zur Durchsetzung ihrer neuerungsfeindlichen Politik gebrauchen wollte.
Marjorie selbst konnte die Tribüne nicht in die Luft gejagt haben und hätte es auch nicht gewollt. Wenn sie durch mich oder sonstwie herausfand, wer es getan oder in die Wege geleitet hatte, und wenn es ein Familienmitglied war, dann würde sie, soweit ich das bis jetzt überblickte, nicht unbedingt öffentliche oder strafrechtliche Vergeltung fordern. Es würde keinen Prozeß, keine Verurteilung, keine Freiheitsstrafe für den Täter geben. Der Stratton-Clan und vor allem Marjorie würden noch ein Geheimnis mehr in das große Sammelbecken aufnehmen und es zur innerfamiliären Erpressung benutzen.
Ich sagte zu Forsyth:»Sind Sie als Schüler einem Kadettenkorps beigetreten?«
Er starrte mich an.»Nein, natürlich nicht.«
«Wieso >natürlich