Roger verbrachte den Nachmittag mit dem beratenden Elektriker der Rennbahn, dessen Leute unter Umgehung der Haupttribüne überall wieder Strom legten. Wo die Sicherungen nicht von selbst durchgebrannt waren, hatte Roger die Stromkreise offenbar vorsichtshalber abgeschaltet.»Feuer«, erklärte er,»hätte uns gerade noch gefehlt.«
Mit Hilfe eines Baggers wurde ein Graben zum Mitgliederparkplatz gezogen und ein Hochleistungskabel mit Schutzrohr verlegt, um das Zirkuszelt mit Strom für Licht und Kühlschränke zu versorgen.»Auf einer Rennbahn darf man den Sekt nicht vergessen«, hatte Roger mit vollem Ernst gesagt.
Die Zahl der Ermittler in den Trümmern war gestiegen, und sie hatten Gerüste und Ziegelschneider mitgebracht. Außerdem ersetzten sie das Absperrband durch einen langen, mannshohen und fest verschraubten Zaun.»Wir könnten die wertvollsten Indizien an Souvenirjäger verlieren«, wurde mir erklärt.»Wenn man dem Publikum am Montag keine Schranken setzt, haust es vielleicht schlimmer als Piranhas.«
Ich fragte jemanden vom Räumkommando:»Wenn Sie über dreißig Löcher in die Wände eines Treppenhauses zu bohren hätten, würden Sie dann eine Wache postieren?«
«Guter Gott, ja. «Er überlegte ein wenig.»Obwohl sich meist nicht genau sagen läßt, wo so ein Bohrgeräusch herkommt. Der Lärm ist irgendwie irreführend. Man denkt, da bohrt einer nebenan, dabei ist es hundert Meter weg — und umgekehrt. Was ich damit sagen will, ist, wenn jemand den Bohrlärm hier gehört hat, dann konnte er erstens nicht genau wissen, wo das Geräusch herkam, und zweitens hätte er sich nichts dabei gedacht in so einem Riesenbau.«
Nur Roger, dachte ich, hätte gewußt, daß Bohrgeräusche nicht hierhergehörten — und Roger war daheim gewesen, ein halbe Meile außer Hörweite.
Ich versuchte übers Mobiltelefon, das noch in Rogers Jeep war, Freunde und Lehrer aus meiner Studentenzeit aufzustöbern, um sie nach Yarrow zu fragen, erreichte aber fast niemand. Von einem, Carteret, erwischte ich die Ehefrau, die versprach, ihm meine Nummer zu geben, doch er habe in St. Petersburg zu tun, und ich redete auch mit einer sehr jungen Tochter, die mir sagte, ihr Papa wohne nicht mehr bei ihnen. Guten Detektiven, dachte ich kläglich, passierte so etwas wohl kaum.
Im Büro zeichneten Roger und ich Pläne für die Aufstellung des Zirkuszeltes und der beiden Container, die ihm zugesagt worden waren. Der eine sollte als Umkleideraum für die Jockeys dienen, der andere zur Unterbringung der Waage und der Funktionäre. Wir stellten beide Container nah an den Führring, nur wenige Schritte von Rogers Büro, und waren uns einig, daß das Publikum, wenn seine Arbeiter den Zaun zwischen Sattelplatz und Mitgliederparkplatz entfernten, bequem zu dem großen Zelt gelangen konnte. Zwar mußten dann die Pferde, wenn sie auf die Bahn gingen, um das Zelt herumgeleitet werden, aber Roger versicherte, das alles sei machbar.
«Rebecca!«rief er einmal zwischendurch und klatschte sich mit der Hand vor die entgeisterte Stirn.»Die Reiterinnen. Wo tun wir die hin?«
«Wie viele sind es?«
«Zwei oder drei. Höchstens sechs.«
Ich rief Henry an, erreichte seinen Anrufbeantworter und bat auf Band um ein paar Zusatzzelte.»Schick auch noch was Hübsches mit«, ergänzte ich.»Schick das Dornröschenschloß. Wir müssen die Leute in Stimmung bringen.«
«Hier ist eine Rennbahn, kein Rummelplatz«, meinte Roger ein wenig mißbilligend, als ich mit dem Anruf fertig war.
«Es ist Ostermontag«, erinnerte ich ihn.»Es ist der Tag, um das Vertrauen wiederherzustellen. Man soll nicht an Bomben denken, soll sich sicher fühlen, soll sich amüsieren. Die Leute, die am Montag hierherkommen, sollen vergessen, daß sich hinter dem neuen Zaun ein schweres Unglück ereignet hat. «Ich schwieg.»Und heute nacht und morgen werden wir das ganze Gelände ausleuchten und vor den Ställen, am Sattelplatz und am Buchmacherring so viele Leute Wache schieben lassen, wie Sie nur kriegen können.«
«Aber was das kostet!«
«Wenn der Montag ein Erfolg wird, bezahlt Marjorie auch die Wachleute.«
«Ihre Begeisterung steckt an, wissen Sie das?«Er lächelte mir fast unbekümmert zu und wollte gerade wieder zu seinen Elektrikern eilen, als das Telefon klingelte.
Roger sagte:»Hallo?«und» Ja, Mrs. Binsham «und» Selbstverständlich, sofort «und legte den Hörer auf.
Er setzte mich ins Bild.»Sie sagt, Conrad und Yarrow sind bei ihr und haben ihr seine Pläne gezeigt, und sie möchte hier auf dem Bürokopierer eine Kopie davon machen.«
«War Conrad damit einverstanden?«fragte ich überrascht.
«Anscheinend ja, wenn wir die Kopie in den Safe einschließen.«
«Sie ist erstaunlich«, sagte ich.
«Sie hat ihn irgendwie im Zangengriff. Das ist mir schon mal aufgefallen. Wenn sie Druck ausübt, gibt er nach.«
«Die erpressen sich alle gegenseitig!«
Er nickte.»Zu viele Geheimnisse, zuviel erkauftes Schweigen.«
«Das sagt Dart auch, mehr oder weniger.«
Roger wies auf die Tür des Büros seiner Sekretärin.»Der Kopierer und der Safe stehen da drin. Conrad und Yarrow sind schon im Anmarsch.«
«In dem Fall verdufte ich mal«, sagte ich.»Ich warte in Ihrem Jeep.«
«Und wenn sie weg sind — zurück zu Ihrem Bus?«
«Wenn’s Ihnen nichts ausmacht.«
«Ist doch schon längst Zeit«, meinte er knapp und hielt mir die Tür auf, damit ich nach draußen zuckeln konnte.
Ich legte mich im Jeep auf die Seite und sah zu, wie Conrad und Wilson Yarrow mit einer großen Mappe ankamen und später wieder gingen, beide steifbeinig und verschnupft.
Als sie fort waren, kam Roger mit den frischen Kopien zum Jeep, und wir schauten sie uns gemeinsam an.
Er sagte, die Pläne seien auf drei großen Bögen gezeichnet gewesen, mit blauen Linien auf hellgrauem Grund, doch der Kopierer hatte sie in kleinerem Format mit schwarzen Linien wiedergegeben. Auf einem Blatt war der Grundriß angelegt. Eins zeigte alle vier Seiten im Aufriß.
Das dritte sah wie ein Labyrinth von fadendünnen Linien aus, die ein dreidimensionales Bild ergaben, aber hohl, ohne Substanz.
«Was ist das denn?«fragte Roger, als ich es stirnrunzelnd betrachtete.»So was hab ich ja noch nie gesehen.«
«Eine axiometrische Zeichnung.«
«Eine was?«
«Axiometrie ist eine Methode, mit der man ein Gebäude dreidimensional darstellen kann, ohne sich mit perspektivischen Verkürzungen herumzuplagen. Man dreht den Grundriß, wie es einem am besten paßt, und zieht die Vertikalen hoch. Na ja«, entschuldigte ich mich,»Sie hatten gefragt.«
Die Aufrisse waren Roger vertrauter.»Das ist doch eine einzige große Glasscheibe«, wandte er ein.
«So schlimm ist es auch nicht. Unvollständig, aber nicht schlecht.«
«Lee!«
«Entschuldigung«, sagte ich.»Jedenfalls würde ich das in Stratton Park so nicht bauen, wahrscheinlich nirgendwo in England. Der Kasten schreit nach Tropenwetter, umfassender Klimatisierung und millionenschweren Mitgliedern. Und selbst die wären nicht wunschlos glücklich.«
«Hört sich schon besser an«, meinte er erleichtert.
Ich schaute in die linke obere Ecke der Kopien. Auf allen dreien stand lediglich» Haupttribüne«,»Wilson Yarrow, A. A. Dipl. «Ein Alleingang. Keine Partner, keine Firma.
«Die beste Rennbahntribüne, die je gebaut worden ist«, sagte ich,»steht in Darlington bei Chicago.«
«Ich dachte, Sie gehen nicht oft zum Pferderennen«, sagte Roger.
«Ich war auch nicht da. Ich habe Fotos von der Bahn und von den Plänen gesehen.«
Er lachte.»Können wir uns so eine Tribüne leisten?«
«Sie könnten sich daran orientieren.«
«Träumen Sie ruhig weiter«, sagte er und raffte die Pläne zusammen.»Ich lege das nur gerade in den Safe. «Er ging hinein, kam bald wieder und fuhr uns die knappe halbe Meile zu seinem Haus, das ruhig und verlassen war: keine Kinder, keine Frau.
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