Wir fanden sie alle im Bus. Die Jungen hatten Mrs. Gardner zum Tee eingeladen (Thunfischsandwiches mit Kruste, Chips und Schokowaffeln), und alle miteinander schauten sich gebannt die Fußballresultate im Fernsehen an.
Als der Ehrengast und ihr Mann gegangen waren, erwies ihr Christopher das höchste Lob:»Sie versteht sogar die Abseitsregel.«
Die Fußballberichterstattung ging weiter. Ich erhob Anspruch auf mein Bett, vertrieb ein oder zwei Zuschauer und legte mich auf den Bauch, um mitzugucken. Als auch der allerletzte Beitrag gelaufen war (endlose Wiederholungen der Tore vom Nachmittag), servierte Christopher als Abendbrot eine Runde Dosenspaghetti auf Toast. Dann einigten sich die Jungs auf ein Video aus dem guten halben Dutzend, das ich für die Ruinensuche ausgeliehen hatte, und begannen es sich anzusehen. Ich fand, wie ich so dalag, daß es ein ziemlich langer Tag gewesen war, und schlief irgendwann während des Films ein.
Ich erwachte gegen drei Uhr früh, noch mit dem Gesicht nach unten, vollständig angekleidet.
Im Bus war es dunkel und still, die Jungen schliefen in ihren Kojen. Ich stellte fest, daß sie mir eine Wolldecke übergelegt hatten, statt mich zu wecken.
Auf dem Tisch am Kopfende stand ein volles Glas Wasser.
Ich betrachtete es dankbar und erstaunt, mit einem Kloß im Hals.
Als ich am Abend zuvor ein Glas dahin gestellt hatte, war Toby, den seit der Explosion alles Ungewohnte in zitternde Angst versetzte, gleich wieder erschrocken und hatte gefragt, wozu das gut sei.
«Vom Krankenhaus«, sagte ich,»habe ich Tabletten bekommen, die ich einnehmen soll, wenn ich nachts aufwache und Schmerzen kriege.«
«Ah. Und wo sind die Tabletten?«
«Unter meinem Kopfkissen.«
Sie hatten die Auskunft mit einem Nicken quittiert. Ich hatte nicht gut geschlafen und die Tabletten genommen, worauf sie mich am Morgen angesprochen hatten.
Und heute nacht war das Glas Wasser wieder da, bereitgestellt von meinen Söhnen. Ich nahm die Tabletten, trank einen Schluck und lag da im Dunkeln, arg ramponiert und bemerkenswert glücklich.
Am Morgen war es so schön, daß die Jungen alle Fenster öffneten, um den Bus durchzulüften, und ich gab ihnen die Ostergeschenke, die Amanda in einem Spind unter meinem Bett versteckt hatte. Jeder bekam ein Schokoladenosterei, ein Taschenbuch und ein kleines Computerspiel, und alle bedankten sich am Telefon bei ihrer Mutter.
«Sie will dich auch sprechen, Pa«, sagte Alan und gab mir den Hörer, und ich sagte» Hallo «und» Frohe Ostern «und» Wie geht’s Jamie?«
«Dem geht’s blendend. Verpflegst du die Jungen auch ordentlich, Lee? Sandwiches und Dosenspaghetti reichen nicht… Ich hab Christopher gefragt… er sagt, ihr habt gestern kein Obst eingekauft.«
«Heute haben sie Bananen und Cornflakes gefrüh-stückt.«
«Obst und frisches Gemüse«, sagte sie.
«Okay.«
«Und könnt ihr ein bißchen länger wegbleiben? So bis Mittwoch oder Donnerstag?«
«Wenn du möchtest.«
«Ja. Und bring ihre Sachen in die Reinigung, hm?«
«Klar.«
«Hast du schon eine brauchbare Ruine gefunden?«
«Ich suche weiter.«
«Wir leben vom Gesparten«, sagte sie.
«Ja, ich weiß. Die Jungen brauchen neue Turnschuhe.«
«Dann kauf sie eben.«
«In Ordnung.«
Wie üblich beschränkte das Gespräch sich weitgehend auf die Kinderbetreuung. Ich gab mir aber Mühe:»Wie war’s auf der Party deiner Schwester?«
«Wieso?«Sie klang einen Moment lang fast argwöhnisch, dann sagte sie:»Prima. Toll. Sie läßt dich grüßen.«
«Danke.«
«Paß auf die Jungen auf, Lee.«
«Ja«, sagte ich und» Schöne Ostern «und» Bye, Amanda.«
«Wir sollen sie morgen abend wieder anrufen«, sagte Christopher.
«Sie sorgt sich um euch. Sie will, daß wir noch ein, zwei Tage länger Ruinen suchen.«
Überraschenderweise hatte keiner von ihnen etwas dagegen. Sie waren mit den Augen ganz bei ihren flimmernden, piepsenden Spielen.
Es klopfte an der Tür, und gleich darauf steckte Roger den Kopf herein, blieb aber draußen stehen.
«Ihr Freund Henry«, sagte er mir,»ist angekommen. Er bringt einen Kran auf einem Tieflader und das Zirkuszelt, verteilt auf ein halbes Dutzend große Lkws, und er will mit Ihnen sprechen, bevor er irgend etwas ablädt.«
«Henrys Zelt!«rief Christopher aus.»Das große, das wir über dem Pub aufgeschlagen haben, ehe du unser Haus gebaut hast?«
«Genau.«
Die Jungen knallten sofort die Fenster zu und sammelten sich mit hoffnungsvollen Mienen auf der Zufahrt. Roger winkte ergeben zum Jeep hin, und schon hingen sie alle auf der Rückbank und rauften um ihre Lieblingsplätze.
«Setzt euch hin oder steigt aus«, befahl Roger in seinem besten Kasernenhofton, und eingeschüchtert setzten sie sich.
«Wollen wir tauschen? Ich übernehme Marjorie und Sie die Jungs?«schlug ich vor.
«Abgemacht. «Er raste mit Karacho den Fahrweg entlang, hielt mit einer Vierrad-Schleuderbremsung vor dem Büro und teilte meinem Nachwuchs mit, daß sie beim geringsten Ungehorsam den Rest des Tages im Bus absitzen müßten. Die sehr beeindruckten Rekruten nahmen die Warnung zwar ernst, rannten aber prompt los, um Henry mit Ferienkriegsgeschrei zu begrüßen.
Gegen Henry, den bärtigen Hünen, kam ich mir immer klein vor. Er hob Neil mühelos auf seine Schultern und strahlte mich mitsamt meinem Gehgestell an.
«Hat’s dich beinah zerquetscht, oder was?«sagte er.
«Ja. Ich war unvorsichtig.«
Er deutete mit einer Riesenpranke auf die schwer beladenen Brummis, die sich hinter ihm auf dem Asphalt drängten.
«Ich hab den ganzen Fackelzug mitgebracht«, sagte er zufrieden.
«Ja, gut, aber hören Sie — «, setzte Roger an.
Henry blickte freundlich zu ihm herunter.»Vertrauen Sie unserem Lee«, sagte er.»Der weiß, was den Leuten gefällt. Ein echter Zauberer, der Lee. Lassen Sie ihn und mich das Parkett hier für morgen in Schuß bringen, und heute in sechs Wochen, am nächsten Feiertag, an dem Sie Rennen veranstalten — das hab ich nachgesehen —, gehen Ihre Parkplätze aus den Nähten. Mundpropaganda, kapiert? Wollen Sie nun Andrang haben oder nicht?«
«Äh… ja.«
«Na also.«
Roger sagte verzweifelt zu mir:»Marjorie.«
«Sie wird begeistert sein. Es geht ihr doch vor allem darum, daß die Rennbahn ankommt.«
«Sind Sie sicher?«
«Hundertprozentig. Wohlgemerkt, ein paar Sekunden wird sie brauchen, um den Schreck zu verdauen.«
«Hoffen wir, daß ihr nicht vorher das Herz stehenbleibt und sie tot umfällt.«
«Haben Sie den Strom gelegt?«fragte ihn Henry.»Hochleistungskabel?«
«Genau wie Sie gesagt haben.«
«Gut. Und… Lagepläne?«
«Im Büro.«
Den größten Teil des Tages ließ Roger seine Arbeiter mit Hand anlegen, wo sie nur konnten, und immer wieder schaute er staunend zu, während Henry und sein Team einer revolutionären Vision von Tribünenkomfort Gestalt verliehen.
Zuerst stellten sie mit dem Kran abschnittsweise vier Masten auf, die an Hochspannungsmasten erinnerten und, wie Henry Roger erklärte, stabil genug waren für jedes Trapezprogramm; dann zogen sie mit starken Drahtseilen und schwerem elektrischem Hebewerk Tonnen von weißer Zeltleinwand hoch und breiteten sie aus. Die endgültige Höhe und die Bodenfläche entsprachen denen der alten Tribüne, und insgesamt übertraf das Zelt sie mühelos an Pracht.
Henry und ich erörterten Publikumsverkehr, Zuschauerverhalten, Wetterschutz. Wir legten die Marschroute fest, beseitigten Engpässe, setzten das Vergnügen obenan, zollten den Besitzern Respekt, räumten den Strattons, der Rennleitung, den Trainerbars die ersten Plätze ein. Das ganze Zelt erhielt einen quasifesten Boden mit einem breiten Mittelgang und wurde durch stabile Trennwände in» Räume «unterteilt, jeder mit einer Decke aus dünnem, hell pfirsichfarbenem plissierten Seidenstoff.»Den kaufe ich kilometerweise«, versicherte Henry einem ungläubigen Roger.»Lee hat mir gesagt, daß Sonne, die durch Segeltuch und Pfirsich scheint, alten Gesichtern mehr schmeichelt als gelbes Licht, und die Zeche wird ja vorwiegend von älteren Herrschaften bezahlt. Früher habe ich Gelb genommen. Nie wieder. Lee sagt, das richtige Licht ist wichtiger als das Essen.«
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