«Wo ist Oliver?«Ihr Tonfall verriet, wie ihre Miene, unbeherrschte Arroganz.»Der Mann, der vor mir hier hereingekommen ist?«
«Da im Büro«, sagte Henry, mit dem Finger zeigend; und ich schwöre, daß ihm das Wort >Herzchen< auf der Zunge lag.
Er schaute ihrem panthergleichen Gang nach, als sie sich von uns entfernte, und hob als Kommentar drollig die Augenbrauen, eine echte Einladung zum Dolchstoß, wenn sie sich zufällig umgedreht hätte.
«Sie sieht gut aus und hat Mut«, sagte ich.»Das ist leider alles.«
«Wer ist sie denn?«
«Die Ehrenwerte Rebecca Stratton, Hindernisreiterin.«
Henry ließ die Brauen wieder sinken und zog seine unmittelbare Aufmerksamkeit von ihr ab.
«Bier«, verkündete er.
Wieder kam ein Auto uns dazwischen; ein kleiner schwarzer Porsche diesmal, der wie ein Schatten den Fahrweg entlangglitt und unauffällig, halb verdeckt durch einen von Henrys Lkws, stehenblieb. Niemand stieg aus. Durch die getönten Seitenfenster war nichts zu erkennen.
Henry sah stirnrunzelnd zu dem Neuankömmling hin.»Wer versteckt sich denn da hinter meinen Lastern?«
«Ich weiß nicht«, sagte ich.»Sieh mal nach.«
Er tappte hinüber, peilte die Lage, kam zurück.
«Er ist dünn, er ist jung, sieht aus wie Herzchen. Er hockt da hinter verriegelten Türen. Wollte nicht mit mir reden. «Henry blickte lüstern.»Er hat eine italienische Fernfahrergeste gemacht! Bist du jetzt schlauer?«
«Es könnte vielleicht Forsyth Stratton sein. Herzchens Cousin. Er sieht ihr sehr ähnlich.«
Henry zuckte die Achseln, sein Interesse verflog.»Was soll mit dem Leergut in den Bars passieren?«
«Das übernimmt der Gastroservice.«
«Dann zu unserem Bier.«
«Zu unserem Bier.«
Endlich hoben wir einen und beredeten dabei, was noch alles zu erledigen war. Seine Leute würden bis Mitternacht oder auch länger am Ball bleiben. Sie würden in den Fahrerhäusern schlafen, wie sie es gewohnt waren, und würden am Morgen in aller Frühe fertig aufbauen. Um halb zehn würden die Lkws fort sein, mit Ausnahme des kleinsten, Henrys persönlicher Werkstatt auf Rädern, die alles enthielt, was für Wartungs- und dringende Reparaturarbeiten nötig war.
«Ich bleibe zu den Rennen«, sagte er.»Die kann ich mir doch nach all dem nicht entgehen lassen.«
Roger stieß zu uns, sichtlich sehr angespannt.
«Oliver ist mal wieder scheußlichster Laune«, berichtete er.»Und was Rebecca angeht…«
Rebecca folgte ihm fast auf dem Fuß, rauschte aber an unserer Gruppe vorbei und suchte einen Durchschlupf in dem Stellzaun, der die eingestürzte Tribüne verbarg. Da sie keine Lücke fand, tigerte sie zurück zu Roger und sagte energisch:»Lassen Sie mich durch den Zaun. Ich möchte sehen, wie groß der Schaden ist.«
«Für den Zaun bin ich nicht zuständig«, sagte Roger beherrscht.»Vielleicht sollten Sie sich an die Polizei wenden.«
«Und wo ist die Polizei?«
«Auf der anderen Seite des Zauns.«
Sie kniff die Augenlider zusammen.»Dann holen Sie mir eine Leiter.«
Als Roger ihr nicht gleich gehorchte, wandte sie sich an einen vorbeikommenden Arbeiter.»Holen Sie mir eine Trittleiter«, befahl sie ihm. Sie hatte weder ein» bitte «für ihn übrig noch ein» danke schön«, als er die Leiter brachte. Sie sagte ihm bloß, wo er sie hinstellen sollte, und bekundete ihr Einverständnis mit der mürrischen Andeutung eines Nickens, als er ihr Platz machte.
Selbstbewußt, mit flüssigen Bewegungen, stieg sie die Sprossen hinauf und betrachtete erst einmal lange, was der Zaun verbarg. Henry und Roger schlichen sich davon wie listige alte Krieger und ließen mich allein in den Genuß von Rebeccas messerscharfen Kommentaren kommen. Sie stieg mit der gleichen sportlichen Eleganz wieder die Leiter herunter, warf einen verächtlichen Blick auf mein noch immer benötigtes Gehgestell und forderte mich auf, die Rennbahn sofort zu verlassen, da ich dort nichts zu suchen hätte. Ebensowenig hätte ich vor zwei Tagen auf der Tribüne verloren gehabt, und falls ich daran dächte, den Strattons wegen meiner Verletzungen eine Schadenersatzklage anzuhängen, würden die Strattons mich wegen unbefugten Betretens verklagen.
«In Ordnung«, sagte ich.
Sie stutzte.»Was ist in Ordnung?«
«Haben Sie mit Keith geredet?«
«Das geht Sie nichts an, und ich habe Sie aufgefordert zu gehen.«
«Der Erfolg dieser Rennbahn geht mich etwas an«, sagte ich ohne mich zu rühren.»Sie gehört mir zu acht Hundertsteln. Ihnen werden, wenn Sie erst den Erbschein haben, drei Hundertstel gehören. Wer ist also eher berechtigt, hier zu sein?«
Sie kniff die glänzenden Augen zusammen, fegte das Thema Anteilsmehrheit ungeduldig beiseite und stürzte sich auf das, worauf es wirklich ankam.»Was heißt, wenn ich den Erbschein habe? Die Anteile gehören mir laut Testament.«
«Nach englischem Recht«, sagte ich, denn das hatte ich beim Ordnen der Angelegenheiten meiner Mutter herausgefunden,»kommt man in den Besitz einer Erbschaft erst, wenn das Testament bestätigt, die Steuer entrichtet und der Erbschein ausgestellt worden ist.«
«Ich glaube Ihnen kein Wort.«
«Das ändert nichts an den Tatsachen.«
«Soll das heißen«, fragte sie scharf,»daß meinem Vater, Keith und Ivan gar kein Sitz im Vorstand zusteht? Daß ihre ganzen blöden Entscheidungen null und nichtig sind?«
Ich erstickte ihre aufkeimenden Hoffnungen.»Das heißt es nicht. Vorstandsmitglieder müssen keine Anteilseigner sein. Marjorie konnte berufen, wen sie wollte, ob ihr das nun klar war oder nicht.«
«Sie wissen jedenfalls zuviel«, sagte Rebecca ärgerlich.
«Freut es Sie«, fragte ich,»daß die Tribüne jetzt in Trümmern liegt?«
Sie sagte trotzig:»Aber ja.«
«Und was soll nun werden?«
«Ein neuer Tribünenbau natürlich. Modern. Mit Glasfront. Alles neu. Nichts wie raus mit dem Scheiß-Oliver und dem verkalkten Roger.«
«Und den Laden selber schmeißen?«Ich meinte es nicht ganz ernst, aber sie stürzte sich im Flug darauf.
«Es spricht doch nichts dagegen! Großvater hat es ja auch gemacht. Jetzt sind Neuerungen gefragt. Neue Ideen. Aber ein Stratton sollte die Rennbahn leiten. «Ihr Gesicht glühte vor Eifer.»Sonst kann keiner in der Familie Anker und Anschlag auseinanderhalten. Vater muß zwar Stratton
Hays seinem Erben hinterlassen, aber das schließt das Rennbahngelände nicht ein. Seine Anteile an der Rennbahn kann er mir vererben.«
«Er ist erst fünfundsechzig«, sagte ich leise und fragte mich, welche aufrüttelnde Wirkung diese Unterhaltung wohl auf Marjorie und Dart gehabt hätte, ganz zu schweigen von Roger, Oliver und Keith.
«Ich kann warten. Ich möchte wenigstens noch zwei Saisons reiten. Es wird Zeit, daß mal eine Frau unter die ersten fünf auf der Jockeyliste kommt. Das erreiche ich dieses Jahr, solange ich nicht stürze oder von dämlichen Ärzten krankgeschrieben werde. Danach leite ich die Rennbahn.«
Ich hörte ihre Zuversicht und wußte nicht genau, ob sie sich Illusionen hingab oder wirklich dazu imstande war.
«Der Vorstand müßte Sie einsetzen«, sagte ich nüchtern.
Sie heftete abschätzend ihren Blick auf mich.»Müßte er wohl«, sagte sie gedehnt.»Und ich habe zwei volle Jahre, um dafür zu sorgen, daß er es auch tut. «Sie hielt inne.»Egal, aus wem er dann besteht. «Unvermittelt kam sie zu dem Schluß, daß sie sich lange genug mit mir abgegeben hatte, und pirschte zu ihrem scharlachroten Wagen zurück, nicht ohne dabei hungrige Blicke nach links und rechts zu werfen, auf das Reich, das sie zu regieren beabsichtigte. Marjorie würde dem einen Riegel vorschieben, aber ewig konnte sie das auch nicht, denn zwischen ihnen lagen Jahrzehnte. Daran hatte Rebecca gedacht.
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