«Na, hört mal«, blökte eine Männerstimme,»was ist denn hier los?«
Keith schüttelte Rogers Griff ab und sagte ungerührt:»Zieh Leine, Ivan. Das geht dich nichts an.«
Ivan hätte vielleicht sogar gehorcht, aber hinter ihm kam ein viel schwierigerer Kunde.
Marjories gebieterische Stimme drang durch den allgemeinen Kampfeslärm.
«Keith! Hannah! Zum Donnerwetter, was fällt euch denn ein? Colonel, rufen Sie die Polizei. Holen Sie sofort die Polizei.«
Die Drohung wirkte augenblicklich. Hannah hörte auf zu treten und zu schreien. Keith trat keuchend zur Seite. Jack rutschte auf allen vieren von mir weg. Roger stellte die Gehhilfe vor mich hin und streckte die Hand aus, um mich hochzuziehen. Das kostete ihn mehr Anstrengung, als er erwartet hatte, aber soldatische Entschlossenheit machte es möglich. Ich hievte mich mit der Kraft meiner Arme auf das Gestell, lehnte mich müde gegen die Wand und stellte fest, daß nicht nur Ivan und Marjorie hinzugekommen waren, sondern auch Conrad und Dart.
Einen sprachlosen Moment lang schätzte Marjorie die Lage ab, registrierte die rasende Wut, die Hannah noch anzusehen war, die unverbrauchte rohe Gewalt bei Keith und die rachsüchtige Flappe des aus der Nase blutenden Jack. Sie schaute zu Roger, umfing schließlich mich mit einem Blick von Kopf bis Fuß und ließ die Augen auf meinem Gesicht ruhen.
«Eine Schande«, sagte sie vorwurfsvoll.»Zu raufen wie die Tiere. Das sollten wir doch besser wissen.«
«Er hat hier nichts zu suchen«, sagte Keith belegt und fügte eine glatte Lüge hinzu:»Er hat mich mit der Faust geschlagen. Er hat angefangen.«
«Mir hat er das Nasenbein gebrochen«, beklagte sich Jack.
«Sagt bloß, er hat euch alle drei angegriffen«, spöttelte Dart.»Geschieht euch recht.«
«Halt den Mund«, befahl Hannah ihm giftig.
Conrad äußerte seine Meinung.»Durch irgend etwas hat er ja bestimmt die Sache ausgelöst. Ich meine, das liegt doch auf der Hand. «Er wurde zum Untersuchungsrichter, zur tragenden Figur des Verfahrens, zum Ankläger; zum Wichtigtuer.
«Also, Mr. Morris, weshalb haben Sie denn nun meinen Bruder geschlagen und seine Familie angegriffen? Was haben Sie dazu zu sagen?«
Zeit für den Angeklagten, sich zu verteidigen, dachte ich. Ich schluckte. Ich fühlte mich schwach — und war zu wütend, um der Schwäche nachzugeben oder sie offen zu zeigen, damit sich alle noch daran ergötzten.
Als ich sicher sein konnte, daß meine Stimme nicht als ein Krächzen herauskam, sagte ich gleichmütig:»Ich habe
Ihren Bruder nicht geschlagen. Ich habe gar nichts getan. Sie sind auf mich losgegangen, weil ich bin, der ich bin.«
«Das ergibt keinen Sinn«, sagte Conrad.»Niemand wird angegriffen, bloß weil er ist, was er ist.«
«Erzähl das mal den Juden«, meinte Dart.
Die ganze Runde war einen Moment lang bestürzt.
Marjorie Binsham sagte:»Geht nach draußen, alle miteinander. Ich regle das mit Mr. Morris hier. «Sie drehte den Kopf zu Roger.»Sie auch, Colonel. Raus.«
Conrad sagte:»Das ist gefährlich — «
«Quatsch!«unterbrach Marjorie.»Ab mit euch.«
Sie gehorchten ihr und schlurften hinaus, ohne sich anzusehen, geniert.
«Macht die Tür zu«, befahl sie, und Roger, der als letzter ging, schloß sie.
Sie setzte sich gelassen hin, heute in einem eng anliegenden marineblauen Mantel, unter dem sich wieder ein weißer Stehkragen zeigte. Das wellige weiße Haar, der sehr zart wirkende Teint und die stechenden Falkenaugen, all das war wie zuvor.
Sie musterte mich kritisch.»Gestern sind Sie in die Luft geflogen, und heute lassen Sie auf sich rumtrampeln. Sehr klug stellen Sie sich nicht an, was?«
«Nein.«
«Und gehen Sie von der Wand weg. Sie machen Blut drauf.«
«Ich streiche sie Ihnen.«
«Wo kommt das Blut denn überhaupt her?«
Ich erzählte ihr von den zahlreichen Prellungen, Schnittwunden und Klammern.»Es fühlt sich an«, sagte ich,»als wäre da einiges wieder aufgerissen.«»Verstehe.«
Sie wirkte einen Augenblick unschlüssig, nicht so energisch wie sonst. Dann sagte sie:»Wenn Sie wollen, entbinde ich Sie von unserer Abmachung.«
«Was?«Ich war überrascht.»Nein, die Abmachung steht.«
«Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie verletzt werden.«
Ich überlegte kurz. Verletzt zu sein war zwar unangenehm, in gewisser Hinsicht aber belanglos. Ich ignorierte es, so gut ich konnte. Konzentrierte mich auf anderes.
«Wissen Sie«, fragte ich,»wer den Sprengstoff gelegt hat?«
«Nein.«
«Wer von den Strattons besäße die nötigen Kenntnisse?«
«Keiner.«
«Was ist mit Forsyth?«
Auch sie machte die Schotten dicht.
«Forsyth mag sein, was er will«, sagte sie,»aber ein erfahrener Pyrotechniker ist er nicht.«
«Hätte er ein Motiv, Sprengstoff legen zu lassen?«
Nach einer Pause sagte sie:»Ich glaube nicht.«
Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich hob unwillkürlich die Hand, um ihn abzuwischen, wankte und faßte schnell wieder nach dem Gehgestell, um die Balance zu halten und nicht hinzufallen. Zu viele geprellte Muskeln, zuviel zerschnittenes Gewebe, insgesamt zu mitgenommen. Ich stand still und atmete tief durch; der kritische Moment war vorüber, das Gewicht ruhte auf meinen Armen.
«Setzen Sie sich«, befahl Marjorie.
«Das wäre vielleicht noch schlimmer.«
Sie riß die Augen auf. Ich lächelte.»Meine Kinder finden das komisch.«
«Aber Sie nicht.«
«Nicht besonders.«
Sie sagte gedehnt:»Zeigen Sie Keith wegen Körperverletzung an? Keith und Hannah?«
Ich schüttelte den Kopf.
«Wieso nicht? Die haben Sie getreten. Ich habe es gesehen.«
«Und würden Sie das auch vor Gericht aussagen?«
Sie zögerte. Sie hatte mit der Polizei gedroht, um den Streit zu beenden, aber es war eine Drohung gewesen und weiter nichts.
Ich dachte an den Pakt meiner Mutter mit Lord Stratton, über Keiths Gewalttätigkeit zu schweigen. Von diesem Stillschweigen hatte ich ungeheuer profitiert. Gefühlsmäßig neigte ich dazu, es wie meine Mutter zu halten. Ich sagte:
«Eines Tages werde ich mit Keith abrechnen — aber nicht, indem ich Sie öffentlich mit Ihrer Familie in Konflikt bringe. Es ist eine Sache, die er und ich unter uns abmachen müssen.«
Sichtlich erleichtert sagte sie förmlich:»Ich wünsche Ihnen Glück.«
Vor dem Fenster draußen heulte kurz eine Sirene auf, mehr ein Signal der Ankunft als der Dringlichkeit.
Die Polizei war also doch gekommen. Marjorie Binsham war wenig begeistert, und ich war sehr müde, und durch die sich öffnende Bürotür ergossen sich Leute in einer Zahl, für die der kleine Raum keineswegs gedacht war.
Keith versuchte erfolglos, den Gesetzeshütern einzureden, ich hätte mich der Körperverletzung an seinem Enkelsohn Jack schuldig gemacht.
«Jack«, bemerkte Roger ruhig,»sollte Leute, die am Boden liegen, nicht mit Füßen treten.«
«Und Sie«, entgegnete Keith ihm heftig,»Sie können einpacken. Hab ich ja schon gesagt. Sie sind entlassen.«
«Mach dich nicht lächerlich«, schnappte Marjorie.»Colonel, Sie sind nicht entlassen. Wir brauchen Sie. Bitte bleiben Sie bei uns. Nur durch ein Mehrheitsvotum des Vorstandes kann Ihnen gekündigt werden, und diese Mehrheit kommt nicht zustande.«
«Warte nur, Marjorie«, sagte Keith mit schwerer, vor Demütigung zitternder Stimme,»dich krieg ich auch noch.«
«Na hör mal, Keith — «, setzte Conrad an.
«Sei du bloß still«, sagte Keith haßerfüllt.»Du oder dein Architekt, dieser Erpresser, ihr habt doch die Tribüne hochgehen lassen.«
Das betretene Schweigen, die stumme Verblüffung aller Strattons gab der Polizei Gelegenheit, in ein Notizbuch mit zu erledigenden Punkten zu schauen und übergangslos die Frage vorzubringen, wer von der Familie normalerweise einen dunkelgrünen, sechs Jahre alten Granada mit rostigen linken Kotflügeln fahre.
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