Sie lachten natürlich trotzdem, in erster Linie aus Erleichterung, und das war völlig in Ordnung.
Mrs. Gardner äußerte ihr Mitgefühl.
«Was darf ich Ihnen bringen?«fragte sie.»Eine Tasse heißen Tee?«
«Einen dreifachen Scotch?«
Ihr liebenswertes Gesicht bekam Lachfältchen. Sie schenkte mir großzügig von dem scharfen Zeug ein und sagte, Roger habe den ganzen Tag an der Tribüne festgehangen und sich vor der Polizei, den Nachrichtenfritzen und den ebenso wütend wie zahlreich herbeigestürmten Strattons kaum zu retten gewußt.
Die Jungen und Mrs. Gardner warteten offenbar auf die Fernsehnachrichten, die dann auch bald kamen und den Sprengstoffanschlag auf Stratton Park besonders herausstellten. Mehrere Aufnahmen zeigten die Tribünenrückseite, auf der der Einsturz in der Mitte nicht zu übersehen war. Ein 5-Sekunden-Interview mit Conrad enthüllte seine innersten Gefühle (»Bestürzung und Zorn«).»Glücklicherweise wurde nur eine Person leicht verletzt«, sagte eine Stimme zu einer Aufnahme von mir (glücklicherweise unkenntlich) beim Abtransport von der Tribüne.
«Das bist du , Papa«, teilte Neil mir aufgeregt mit.
Eine kurze Einblendung von Toby, wie er an der Hand eines Feuerwehrmannes nach unten kam, ließ die Jungen Beifall rufen. Dem folgten zehn Sekunden mit Roger —»Colonel Gardner, Rennbahnverwalter«-, der sagte, die Familie Stratton habe versichert, die Rennveranstaltung am Montag werde abgehalten wie geplant.»Terrortaktiken darf man nicht nachgeben. «Zuletzt wurden die Strickmützen am Eingang mit ihren Plakaten gezeigt, Bilder, die den
Zuschauer auf eine unausgesprochene, aber finstere Folgerung hinlenkten. Unfair, dachte ich.
Als die Nachrichten sich einer Politikerrunde zuwandten, sagte ich Mrs. Gardner und den Jungen, ich wollte mir etwas anziehen, und humpelte mit dem Gestell hinaus zum Bus, dann freihändig, mit zusammengebissenen Zähnen, die Tritte hinauf, doch statt, wie vorgehabt, mich anzuziehen, legte ich mich schwach und zittrig auf das schmale Sofa, das zugleich mein Bett war, und gestand mir endlich ein, daß ich wesentlich schwerer verletzt war, als ich hatte wahrhaben wollen.
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür, und ich dachte, ein Kind sei gekommen, aber es war Roger.
Er setzte sich auf das lange, schmale Sofa gegenüber und sah müde aus.
«Geht es Ihnen gut?«fragte er.
«Ja«, sagte ich, ohne mich zu rühren.
«Meine Frau sagt, Sie sehen grau aus.«
«Sie sind auch nicht gerade rosig im Gesicht.«
Er lächelte kurz und massierte sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger, ein disziplingewohnter Soldat, hager und gepflegt, der sich nach den Manövern eines langen Tages eine Geste der Müdigkeit gestattete.
«Die Polizei und die Leute von der Unfallverhütung sind angerückt wie Bluthunde. Oliver hat sich mit ihnen befaßt — ich habe ihm sofort telefoniert, daß er kommen soll —, und er kann einfach glänzend umgehen mit solchen Leuten. Sie waren sofort mit ihm einig, daß wir, wenn Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, die Rennen am Montag abhalten können. Ein echter Überredungskünstler, der Mann. «Er hielt inne.»Die Polizei ist dann zum Krankenhaus gefahren, um Sie zu befragen. Da hätten Sie doch sicher ein Bett gekriegt, in Ihrem Zustand.«»Ich wollte nicht bleiben.«
«Aber ich sagte Ihnen doch, daß wir uns um die Jungen kümmern.«
«Weiß ich. Einer oder zwei wären ja auch gegangen, aber nicht fünf.«
«Es sind unkomplizierte Kinder«, wandte er ein.
«Sie sind still heute. Es war schon besser, daß ich wiedergekommen bin.«
Er machte keine Einwendungen mehr, aber als wäre er noch nicht bereit, das Thema anzuschneiden, das ihn am meisten beschäftigte, fragte er mich, wie man die Jungen auseinanderhielt.
«Damit ich sie mal auf die Reihe kriege«, meinte er.
Ich antwortete ihm bereitwillig und verstand es als eine willkommene Atempause vor den Fragen, die gestellt werden mußten und einer Antwort bedurften.
«Christopher, der große Blonde, ist vierzehn. Wie die meisten ältesten Kinder einer Familie kümmert er sich um die anderen. Toby, der heute mit mir auf der Tribüne war, ist zwölf. Edward ist zehn. Das ist der Ruhige. Wenn man den nicht findet, sitzt er irgendwo in einer Ecke und liest ein Buch. Dann haben wir noch Alan — «
«Sommersprossen und grinst«, sagte Roger nickend.
«Sommersprossen und grinst«, stimmte ich zu.»Und hat kein Bewußtsein von Gefahr. Er ist neun. Springt erst und schreit dann.«
«Und Neil«, sagte Roger.»Der kleine Neil mit den leuchtenden Augen.«
«Er ist sieben. Und Jamie, der kleinste, zehn Monate.«
«Wir haben zwei Töchter«, sagte Roger.»Beide erwachsen, aus dem Haus und zu beschäftigt, um zu heiraten.«
Er verfiel in Schweigen, und ich schwieg ebenfalls. Der Ernst des Lebens wartete, die Schonfrist lief allmählich ab. Ich verlagerte unter ziemlichen Schmerzen mein Gewicht auf dem Sofa, und Roger merkte es, aber äußerte sich nicht dazu.
Ich sagte:»Die Tribünen sind gestern gereinigt worden.«
Roger seufzte.»Sind sie. Und sie waren sauber. Kein Sprengstoff. Mit Sicherheit war keine Sprengschnur im Treppenhaus verlegt. Ich bin selbst überall herumgegangen. Ich gehe regelmäßig das Gelände ab.«
«Aber nicht am Karfreitagmorgen.«
«Gestern am späten Nachmittag. Um fünf. Kontrollgang mit meinem Vorarbeiter.«
«Es war kein Anschlag auf Menschenleben«, sagte ich.
«Nein«, stimmte er zu.»Die Haupttribüne sollte zerstört werden, und zwar an einem der wenigen Tage im Jahr, an denen nirgendwo in England Rennen stattfinden. Menschen sollten gerade nicht dabei umkommen.«
«Sie haben doch sicher einen Nachtwächter«, sagte ich.
«Ja, haben wir. «Er schüttelte frustriert den Kopf.»Er dreht mit einem Hund die Runde. Er sagt, er hat nichts gehört. Er hat nicht gehört, wie jemand Löcher in die Wände gebohrt hat. Er hat kein Licht auf der Tribüne herumwandern sehen. Er hat sich heute früh um sieben ausgestempelt und ist nach Hause gefahren.«
«Hat ihn die Polizei befragt?«
«Sie hat ihn befragt. Ich habe ihn befragt. Conrad hat ihn befragt. Der arme Mann ist völlig verpennt hierhergeschleift und ins Kreuzverhör genommen worden. Dabei ist er sowieso nicht der Aufgeweckteste. Er hat bloß dumm in die Gegend gepliert. Conrad wirft mir vor, daß ich einen Holzkopf eingestellt habe.«
«Jetzt regnet es Vorwürfe wie Konfetti«, meinte ich.
Er nickte.»Die Luft ist schon voll davon. Im Prinzip ist alles meine Schuld.«
«Wer von den Strattons war da?«fragte ich.
«Wer nicht?«seufzte er.»Alle, die auf der Hauptversammlung waren, mit Ausnahme von Rebecca, dafür aber Conrads Frau Victoria, Keiths Frau Imogen, blau wie ein Veilchen, und Hannahs fauler Sohn, Jack, sowie Ivans Frau Dolly, die furchtsame Maus. Marjorie Binsham hat ihr Mundwerk wie eine Peitsche gehandhabt. Conrad kommt ihr nicht bei. Sie hat die Polizei in den Boden gestampft. Vor allem wollte sie wissen, warum Sie die Sprengung nicht verhindert haben, nachdem Ihr Söhnchen Sie schon auf die Gefahr hingewiesen hatte.«
«Die gute Marjorie!«
«Jemand sagte ihr, daß Sie fast ums Leben gekommen sind, und sie meinte, das geschehe Ihnen recht. «Er schüttelte den Kopf.»Manchmal glaube ich, die ganze Familie ist geistesgestört.«
«In dem Schrank über Ihrem Kopf finden Sie einen Scotch und Gläser«, sagte ich.
Er lächelte unwillkürlich und nahm zwei Wassergläser für den Whisky.»Besser wird Ihnen davon auch nicht«, bemerkte er, als er das eine Glas auf den eingebauten Tisch mit Schubfächern am Fußende meines Bettes stellte.»Und wo haben Sie diesen fabelhaften Bus her? Noch nie gesehen, so was. Als ich mit den Jungs hierhergefahren bin, haben sie ihn mir vorgeführt. Es hieß, Sie hätten den Innenraum selbst gestaltet. Ich nehme an, Sie hatten einen Bootsbauer dafür.«
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