»Großer Gott«, schnaufte er und vergaß einen Augenblick lang seine Probleme. »Ich muß zugeben, ihr habt wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen.« Dann unterbrach er sich, verärgert darüber, daß er soviel Lob ausgeteilt hatte, und wechselte sofort in eine andere Gangart. »Hört jetzt auf zu kichern und bewegt eure Hintern!«
Und – rumms! Draußen war er.
Roy und ich standen mitten in unserer vorzeitlichen Landschaft und starrten uns an.
»Das wird ja immer eigenartiger«, sagte Roy. Dann fügte er hinzu: »Willst du das wirklich? Zwei Versionen des Drehbuchs schreiben? Eine für ihn, eine für uns?«
»Na klar!«
»Wie willst du das anstellen?«
»Mensch, ich bin jetzt seit fünfzehn Jahren im Training. Ich habe für die unterschiedlichsten Magazine einhundert Groschengeschichten geschrieben, eine pro Woche, einhundert Wochen lang. Zwei Exposes in zwei Tagen? Beide allererster Güte? Verlaß dich auf mich.«
»Na schön, von mir aus, ich verlasse mich drauf.« Es entstand eine lange Pause, dann sagte er: »Gehen wir jetzt nachsehen?«
»Nachsehen? Wonach denn?«
»Nach dem Toten, den du gestern beobachtet hast. Im Regen. Vergangene Nacht. Auf der anderen Seite der Mauer. Warte mal.«
Roy ging zu der großen luftdichten Tür hinüber. Ich folgte ihm. Er öffnete die Tür. Wir schauten hinaus.
Draußen fuhr gerade ein mit Schnitzereien reich verzierter schwarzer Leichenwagen mit Kristallscheiben die Studiogasse hinunter. Sein ausgelaugter Motor machte einen Heidenlärm.
»Ich kann mir gut vorstellen, wo der hinfährt«, sagte Roy.
8
Wir bogen mit Roys alter, klappriger Tin Lizzie aus dem Jahre 1927 in die Gower Street ein.
Wir hatten den schwarzen Leichenwagen nicht in den Friedhof einbiegen sehen, doch als wir vor dem Tor einparkten, kam uns die dunkle Karosse zwischen den Grabsteinen hindurch entgegengerollt.
Sie fuhr an uns vorüber. Sie transportierte einen Sarg ins grelle Sonnenlicht der Straße hinaus.
Wir drehten uns um und verfolgten die schwarze Limousine mit unseren Blicken. So lautlos glitt sie aus dem Tor, wie der Polarhauch, der die Eisschollen nach Süden treibt.
»Das ist mir noch nie vorgekommen, daß ein Sarg zum Friedhof herausgefahren wird. Wir sind zu spät gekommen!«
Ich reckte den Hals und sah, wie die Limousine nach Osten abbog, geradewegs zurück zum Studio.
»Zu spät für was?«
»Für deinen Toten, du Holzkopf! Los, schnell!«
Wir waren beinahe an der Friedhofsmauer angekommen, als Roy plötzlich stehenblieb.
»Alle Wetter – hier ist sein Grab.«
Ich folgte Roys Blick und schaute auf eine in Marmor gehauene Schrift, ungefähr drei Meter über unseren Köpfen:
J. C. ARBUTHNOT, 1884-1934, R. I. P.
Wir standen vor einer dieser Grabstätten, die wie griechische Tempelchen gebaut sind, für die Reichen, mit einem verschlossenen Eisengitter vor einer schweren Tür aus Holz und Bronze.
»Er kann ja wohl nicht dort herausgestiegen sein, oder?«
»Nein, und trotzdem war etwas auf dieser Leiter; ich habe sein Gesicht erkannt. Und jemand wußte, daß ich das Gesicht erkennen würde, deshalb wurde ich ja hierherbestellt.«
»Halt die Klappe. Los, weiter.«
Wir folgten dem Pfad ein Stück weiter.
»Vorsicht. Wir wollen uns bei diesem blöden Spielchen doch nicht erwischen lassen.«
Wir hatten die Mauer erreicht. Natürlich war nicht das Geringste zu sehen.
»Hab’ ich dir’s nicht gesagt. Falls die Leiche jemals hier gewesen ist, sind wir zu spät gekommen.« Roy schnaufte tief durch und warf mir einen skeptischen Blick zu.
»Ach was, sieh mal dort oben.«
Ich zeigte auf die Mauerkrone.
Da waren Spuren, Schleifspuren von etwas, das an die obere Kante der Mauer gelehnt worden war.
»Die Leiter?«
»Und hier unten.«
Das Gras zeigte einen guten Meter vor der Mauer, in einem vernünftigen Winkel also, zwei deutliche Leiterabdrücke von drei Zentimetern Tiefe.
»Und hier? Hast du das gesehen?«
Ich zeigte ihm eine längliche Mulde, in der das Gras von einem aufschlagenden Gegenstand niedergedrückt worden war.
»Eieiei«, murmelte Roy. »Sieht aus, als würde Halloween erst richtig losgehen.«
Er kniete sich ins Gras und streckte seine langen, knochigen Finger aus, um den Abdruck des schweren Körpers nachzuzeichnen, der nur zwölf Stunden zuvor hier im kalten Regen gelegen hatte.
Ich kniete neben ihm nieder. Dann starrte ich auf den Abdruck und fing an zu zittern.
»Ich …«, sagte ich und verstummte sofort wieder.
Ein Schatten war zwischen uns gefallen.
»Morgen!«
Über uns stand der Friedhofswärter.
Ich warf Roy einen raschen Blick zu. »Bist du sicher, daß das hier der richtige Grabstein ist? Es ist schon so lange her. Ist …«
Die nächste Grabplatte in unserer Reichweite war mit Blättern bedeckt. Ich scharrte den Staub von der Oberfläche. Zum Vorschein kam ein nur zur Hälfte leserlicher Name, SMYTHE. GEBOREN 1875 – GESTORBEN 1928.
»Aber sicher! Der gute alte Großpapa!« rief Roy. »Der arme Kerl. So jämmerlich an Lungenentzündung gestorben.« Roy half mir, den Staub wegzuwischen. »Ich habe ihn wirklich geliebt. Er …«
»Wo sind Ihre Blumen?« dröhnte die tiefe Stimme über uns.
Roy und ich erstarrten.
»Die bringt Ma mit«, sagte Roy. »Wir sind vorausgegangen, um den Grabstein zu suchen.« Er blickte über seine Schulter. »Sie ist irgendwo dort hinten.«
Der Friedhofswärter, ein Mann reich an Lebensjahren und voll ausgeprägtem Mißtrauen, mit einem Gesicht, das einem verwitterten Grabstein nicht unähnlich war, schaute zum Tor hinunter.
Weit hinten, beim Santa Monica Boulevard, kam eine Frau mit Blumen im Arm den Weg herauf.
Gott sei Dank, dachte ich.
Der Wächter schnaubte, kaute auf seinem Zahnfleisch herum, drehte sich rasch um und entfernte sich zwischen den Gräbern. Gerade rechtzeitig, denn die Frau hatte inzwischen haltgemacht und ging nun in eine andere Richtung, von uns weg.
Wir sprangen auf. Roy grabschte ein paar Blumen von einem nahegelegenen Grabhügel.
»Nicht!«
»Und ob!« Er beförderte die Blumen auf Großpapa Smythes Grab. »Damit der Kerl nicht zurückkommt und sich wundert, daß nach unserem ganzen Geschwätz keine Blumen hier sind. Jetzt komm!«
Wir gingen ungefähr fünfzig Meter weit und blieben dann stehen; wir taten so, als würden wir uns unterhalten, sagten jedoch nicht viel. Schließlich stieß mich Roy am Ellenbogen. »Vorsicht«, flüsterte er. »Schau nur aus dem Augenwinkel hin. Nicht direkt hinglotzen. Er ist wieder da.«
Tatsächlich war der alte Wachmann wieder an der Stelle vor der Mauer aufgekreuzt, an der noch immer der längliche Abdruck des aufgeschlagenen Körpers zu sehen war.
Er blickte auf und sah uns. Rasch legte ich meinen Arm um Roys Schulter, um ihn ein wenig zu trösten.
Jetzt beugte sich der Alte nieder. Mit gekrümmten Fingern rechte er das Gras. Bald schon war keine Spur mehr von einem schweren Gegenstand zu sehen, der in der vergangenen Nacht während eines fürchterlichen Regenschauers vom Himmel gefallen war.
»Glaubst du mir jetzt?«
»Ich frage mich«, entgegnete Roy, »wo der Leichenwagen hingefahren ist.«
9
Als wir das Haupttor des Studios passierten, glitt der Leichenwagen hinaus. Leer. Wie in einem letzten Herbstwind wehte es ihn davon, zurück in das Reich des Todes.
»Herrgott nochmal! Genau wie ich mir das gedacht hatte!« Roy saß am Steuer, schaute aber auf die leere Straße hinter uns. »Allmählich bekomme ich Spaß an der Sache!«
Wir fuhren weiter die Straße entlang, in die Richtung, aus welcher der Leichenwagen gekommen war.
Direkt vor uns überquerte Fritz Wong die Studiostraße. Er schimpfte und fluchte vor sich hin, als befehlige er einen unsichtbaren Trupp Soldaten, sein scharfes Profil zerschnitt die Luft in zwei Hälften; er trug ein schwarzes Barett – der einzige Mann in Hollywood, der ein Barett trug, und wehe, wenn einer eine Bemerkung machte!
Читать дальше