»Herrje! Wir sind kurz vor unserem ersten richtigen Schwergewichtskrach. Mach mal halblang.«
» Hast du ihn erkannt?«
»Er war nicht zu erkennen.«
»Seine Augen. Augen verändern sich nicht.«
»Laß mich in Ruhe!« brüllte sie.
»Na schön«, grummelte ich. »Ich lasse dich in Ruhe.«
»Da hast du’s.« Tränenperlen stoben ihr aus dem Gesicht. »Ich liebe dich schon wieder.« Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht, der kühle Fahrtwind zauste ihr Haar.
Dieses Lächeln ließ sämtliche Knochen in meinem Körper schmelzen. Mein Gott, dachte ich, so hat sie wohl immer gewonnen, jeden Tag, ihr ganzes Leben lang, mit diesem Mund und diesen Zähnen und diesen großen Augen, die einem Unschuld vortäuschen.
»Jawohl!« lachte Constance, die meine Gedanken gelesen hatte. »Sieh dir das an!«
Sie hielt vor den Studiotoren an. Eine Weile sah sie dort hinauf, ohne ein Wort.
»Oh, Gott«, sagte sie schließlich. »Das ist kein Krankenhaus. Es ist der Ort, an dem die großen Elefanten zum Sterben hingehen. Ein Friedhof für Verrückte.«
»Der ist drüben, auf der anderen Seite der Mauer, Constance.«
»Nein. Zuerst stirbst du hier, und dort drüben stirbst du ganz am Schluß. In der Zeit dazwischen …« Sie preßte die Hände an die Schläfen, als drohte ihr der Kopf zu platzen. »Irrsinn. Geh da nicht rein, mein Kleiner.«
»Warum nicht?«
Constance richtete sich hinter dem Lenkrad zu ihrer ganzen Größe auf und schrie Zeter und Mordio vor dem geschlossenen Tor, den fest verschlossenen nächtlichen Fenstern und den unerbittlichen blanken Mauern.
»Zuerst machen sie dich verrückt. Und wenn sie dich dann soweit haben, dann setzen sie dir zu, wenn du schon am Nachmittag willenlos vor dich hinplapperst und bei Sonnenuntergang völlig hysterisch wirst; wenn du bei Mondaufgang zum zahnlosen Werwolf wirst. Wenn du richtig schön durchgedreht bist, dann feuern sie dich und verbreiten das Gerücht, du seist unvernünftig, unkooperativ und phantasielos. Jedes Studio kriegt einen Wisch, auf dem dein Name gedruckt steht, damit die Großen deine Initialen auswendig wissen, wenn sie den päpstlichen Thron besteigen. Wenn du tot bist, rütteln sie dich wach, um dich noch einmal umzubringen. Dann hängen sie deinen Leichnam auf, Bad Rock, OK Corral oder in Versailles, Atelier 10, sargen dich wie einen künstlichen Embryo aus einem Jahrmarktsfilm in Glas ein, kaufen dir nebenan ein billiges Grab, lassen deinen falsch buchstabierten Namen in Stein meißeln und heulen wie die Krokodile. Dann die letzte Schande: Keiner erinnert sich an deinen Namen in all den Filmen, die du in deinen guten Jahren gemacht hast. Wer erinnert sich an die Drehbuchautoren von Rebecca? Wer weiß noch, wer Vom Winde verweht für die Leinwand umgeschrieben hat? Wer half Welles dabei, Citizen Kane zu werden? Frage die Leute auf der Straße. Mensch, die wissen doch nicht mal mehr, wer zu Hoovers Regierungszeiten Studiopräsident war.
Also, da hast du’s. Gleich nach der Premiere wieder vergessen. Sie haben Angst, auch nur zwischen zwei Filmen kurz vor die Tür zu gehen. Kennst du einen Filmschreiber, der jemals in Paris, Rom oder London gewesen ist? Die machen sich vor Angst in die Hosen, die großen Bosse könnten sie vergessen, wenn sie mal auf Reisen sind. Von wegen vergessen, die haben sie nie gekannt! Stellen Sie den Wieheißternoch ein! Das soll der Dingsbums schreiben. Der Name über dem Titel? Der Produzent? Klar. Der Regisseur? Vielleicht. Erinnere dich: Es sind Die Zehn Gebote von DeMille, nicht von Moses. Aber Scott Fitzgeralds Der Große Gatsby ? Kannst du in der Pfeife rauchen. Schieb’s dir in deine verpickelte Nase. Willst du deinen Namen in Großbuchstaben lesen? Bring den Liebhaber deiner Frau um, fall mit seiner Leiche die Treppe hinunter. Wie ich immer sage: so geht’s zu beim Film, das ist Kino. Denk daran, ihr seid die blinden Stellen zwischen den Bildern, beim Klicken des Projektors. Hast du die Hochsprungstäbe an der hinteren Mauer des Studiogeländes gesehen? Die stehen da, um den Stabhochspringern in den Steinbruch auf der anderen Seite hinüberzuhelfen. Verrückte Idioten stellen sie ein und feuern sie wieder, ein Dutzend für’n Groschen. Man kriegt sie dran, weil sie die Filme lieben, wir nicht. Das verleiht uns die Macht. Bring sie so weit, daß sie trinken, dann schnapp dir die Flasche, bestelle den Leichenwagen, borge dir einen Spaten. Wie gesagt, Maximus Films. Der reinste Friedhof; und zwar für Verrückte.«
Ihre Rede war zu Ende. Constance stand da, als wäre die Studiomauer eine riesige Flutwelle, die jeden Augenblick über ihr zusammenschlagen könnte.
»Geh da nicht rein«, sagte sie abschließend.
Verhaltener Applaus ertönte. Hinter dem spanisch verschnörkelten, schmiedeeisernen Tor saß der Mann vom Wachschutz, grinste und klatschte in die Hände.
»Ich bleibe nicht für alle Zeiten da drin, Constance«, beruhigte ich sie. »Vielleicht noch einen Monat, dann mache ich mich auf in den Süden, um meinen ersten Roman zu beenden.«
»Darf ich dich begleiten? Noch einmal nach Mexicali und Calexico, südlich von San Diego, kurz vor Hermosillo, nackt baden im Mondlicht, ha, nein, du in lumpigen Shorts.«
»Schön wär’s. Aber jetzt heißt es ich und Peg, Constance, Peg und ich.«
»Ach, von mir aus. Küß mich.«
Ich zögerte, und so gab sie mir einen Schmatzer, der das gesamte Tanksystem eines Wohnblocks in Wallung gebracht, das kalte Wasser im Nu erhitzt hätte.
Das Tor öffnete sich.
Wir fuhren hinein, zwei Verrückte um Mitternacht.
Als wir uns dem großen Platz näherten, auf dem es von Soldaten und Kaufleuten wimmelte, kam Fritz Wong mit großen Schritten auf uns zu. »Herrgott noch mal! Alles ist bereit für deine Szene. Aber dieser besoffene unitarische Baptist ist verschwunden. Weißt du, wo sich der Schweinepriester versteckt?«
»Haben Sie bei Aimee Semple McPherson angerufen?«
»Die ist tot!«
»Oder bei den Holy Rollers. Oder bei den Manly P. Hall Universalisten. Oder –«
»Herrgott nochmal«, brüllte Fritz. »Es ist Mitternacht! Die haben alle zu.«
»Haben Sie auf dem Kalvarienberg nachgesehen? Er treibt sich dort wirklich manchmal herum.«
»Kalvarienberg!« Fritz stürmte von dannen. »Sucht auf dem Kalvarienberg! Gethsemane!« Fritz flehte die Sterne an. »Vater im Himmel, warum hast du mir diesen Manischewitz geschickt? Kann mal jemand herkommen? Wir müssen für morgen zwei Millionen Heuschrecken für die Plage mieten!«
Eine Unzahl von Assistenten zerstob in alle Richtungen. Auch ich machte mich auf den Weg. Constance hielt mich am Ellbogen fest.
Mein Blick wanderte über die Fassade von Notre Dame.
Constance folgte meinem Blick.
»Geh nicht dort hinauf«, flüsterte sie.
»Ein perfektes Versteck für J. C.«
»Dort oben ist alles nur Fassade, nichts dahinter. Du mußt nur über irgend etwas stolpern, und schon fällst du herab wie die Steine, die der Glöckner auf die Menge schleuderte.«
»Das war doch nur ein Film, Constance!«
»Hältst du das hier für die Wirklichkeit?«
Constance schauderte. Ich sehnte mich nach der alten Rattigan, die immer nur lachte. »Ich habe gerade eben etwas gesehen. Dort oben am Glockenturm. Es hat sich bewegt.«
»Vielleicht ist es J. C.«, lenkte ich ein. »Solange die anderen den Kalvarienberg auf den Kopf stellen, kann ich mich dort oben umsehen.«
»Ich dachte, du leidest unter Höhenangst.«
Ich sah Schatten über die Fassade von Notre Dame huschen.
»Verdammter Narr«, murmelte Constance. »Dann mal los. Hole Jesus von dort oben herunter, bevor er sich in einen steinernen Dämon verwandelt. Rette Jesus.«
»Er ist bereits errettet!«
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