Vor meiner Wohnung kletterte ich aus seinem Wagen.
»Sieg Heil!« sagte ich.
»Das ist schon besser!« Fritz rauschte davon und ließ mich in einem stillen, so verlassenen Haus zurück, daß ich nur einen Gedanken kannte: Crumley.
Kurz nach Sonnenuntergang fuhr ich mit dem Fahrrad hinaus nach Venice.
23
Ich bin nachts wirklich nicht gerne mit dem Fahrrad unterwegs, doch ich wollte sichergehen, daß mir niemand folgte.
Außerdem brauchte ich ein bißchen Zeit, um mir zu überlegen, was ich meinem Freund, dem Privatdetektiv, sagen sollte. Irgend etwas wie: Hilfe! Rette Roy! Sorge dafür, daß er wieder eingestellt wird! Löse das Rätsel um das Monster!
Wenn ich daran dachte, wäre ich am liebsten wieder umgedreht.
Ich konnte Crumley schon hören, wie er bei meiner unglaublichen Geschichte tiefe Seufzer ausstieß, die Hände über dem Kopf zusammenschlug und mit großen Schlucken sein Bier herunterkippte, um damit seine Abscheu vor meinem Mangel an soliden, handfesten, feuergehärteten Fakten zu ersäufen.
Ich parkte mein Rad vor seinem kleinen, hinter Weißdorn verborgenen Safari-Bungalow, der eine Meile vom Strand entfernt stand. Durch einen Hain afrikanischer Fliederbüsche führte ein Pfad, dessen Staub erst gestern, das spürte man, von Okapihufen aufgewirbelt worden sein mußte.
Gerade als ich anklopfen wollte, wurde die Tür aufgerissen.
Aus der Dunkelheit schoß eine Faust auf mich zu, die eine schäumende Dose Bier umschlossen hielt. Der Mann, der sie ausstreckte, blieb unsichtbar. Ich griff zu. Die Hand verschwand. Ich hörte Schritte, die sich im Innern des Hauses verloren.
Mit drei Schluck trank ich mir Mut an. Dann ging ich hinein.
Das Haus war leer.
Der Garten nicht.
Elmo Crumley saß vor einem Dornbusch, den Bananenhändlerhut auf dem Kopf, und betrachtete das Bier in seiner sonnengebräunten Hand, an dem er friedlich nuckelte.
Ein Telefon mit Verlängerungsschnur stand neben seinem Ellbogen auf dem Rattantisch. Crumley wählte eine Nummer und schaute dabei mit einem starren, apathischen Blick unter der Krempe seines Tropenhuts hervor.
Am anderen Ende nahm jemand ab. »Wieder mal ’ne Migräne«, sagte Crumley. »Ich melde mich krank. Wir sehen uns in drei Tagen, okay? Okay.« Er legte auf.
»Ich vermute, ich bin die Ursache für die Kopfschmerzen«, sagte ich.
»Jedesmal, wenn du auftauchst … zweiundsiebzig Stunden Krankmeldung.«
Er nickte. Ich setzte mich. Er machte ein paar Schritte und blieb am Rand seines Privatdschungels stehen, in dem Elefanten trompeteten und Riesenhummeln, Kolibris und Flamingos sich tummelten, ehe sie ein zukünftiger Naturforscher für ausgestorben erklären konnte.
»Wo zum Teufel hast du gesteckt?« wollte Crumley wissen.
»Hab* geheiratet.«
Crumley dachte darüber nach, schnaubte kurz, schlenderte dann zu mir herüber, legte mir die Arme um die Schultern und gab mir einen Kuß auf den Scheitel.
»Akzeptiert!«
Lachend schleppte er eine ganze Palette Bier herbei.
Wir saßen in der kleinen Rattan-Laube hinten in seinem Garten und aßen Hotdogs.
»Okay, mein Junge«, sagte er schließlich. »Dein alter Paps hat dich vermißt. Aber ein junger Mann, der zwischen den Bettlaken steckt, hat keine Ohren. Altes japanisches Sprichwort. Ich wußte, daß du eines schönen Tages zurückkommst.«
»Kannst du mir vergeben?« sprudelte es aus mir heraus.
»Freunde vergeben nicht, sie vergessen. Spül dir die Kehle damit: Ist Peg eine tolle Ehefrau?«
»Wir sind schon ein Jahr verheiratet und haben den ersten Streit ums Geld noch vor uns.« Ich errötete. »Sie bringt das meiste davon nach Hause. Aber mein Gehalt im Studio ist in die Höhe gegangen – einhundertfünfzig die Woche.«
»Zum Henker! Das sind zehn mehr, als ich verdiene!«
»Nur für sechs Wochen. Bald schreibe ich wieder Groschenromane.«
»Noch dazu wunderschöne Sachen. Ich bin drangeblieben, trotz der Funkstille …«
»Hast du die Vatertagskarte bekommen, die ich dir geschickt habe?« sagte ich rasch.
Er sah zu Boden, strahlend. »Und ob.« Er sah wieder auf. »Aber dich haben doch nicht nur familiäre Gründe hierhergetrieben, habe ich recht?«
»Es sterben Leute, Crumley.«
»Nicht schon wieder!« rief er.
»Na ja, beinahe jedenfalls. Oder sie sind aus dem Grab zurückgekehrt, nicht wirklich lebendig, aber als Pappmachepuppen …«
»Mal sachte, du Molch!« Crumley flitzte ins Haus und kam mit einer Flasche voll Gin zurück, aus der er sich einen kräftigen Schluck ins Bier goß, während ich schneller redete. In seinem kenianischen Tropengarten hörte man den Rasensprenger und die Schreie von Steppenviechern und Vögeln aus dem tiefsten Dschungel. Schließlich hatte ich mir alles, angefangen bei den letzten Stunden von Halloween bis zum heutigen Tag, von der Seele geredet. Ich verstummte.
Crumley stieß einen klagenden Seufzer aus. »Also Roy Holdstrom wurde gefeuert, weil er eine Büste aus Ton angefertigt hat. War das Gesicht des Monsters denn so schlimm?«
»Allerdings!«
»Ästhetik. Da kann dir dein alter Schnüffler nicht weiterhelfen.«
»Du mußt. Roy befindet sich in diesem Moment noch immer auf dem Studiogelände und wartet auf eine günstige Gelegenheit, um seine prähistorischen Figuren herauszuschmuggeln. Die sind Tausende wert. Doch Roy hält sich dort illegal auf. Kannst du mir nicht helfen herauszubekommen, was das alles zu bedeuten hat? Und was könnten wir anstellen, damit Roy seinen Job zurückbekommt?«
»O Herr«, seufzte Crumley.
»Genau«, sagte ich. »Wenn sie Roy dabei erwischen, wie er Sachen vom Gelände schleppt, dann Gnade ihm Gott.«
»Verdammt«, sagte Crumley. Er kippte noch mehr Gin in sein Bier. »Weißt du, wer der Kerl im Brown Derby gewesen ist?«
»Nein.«
»Hast du irgendeine Vermutung, wer das vielleicht wissen könnte?«
»Der Priester von der St. Sebastian Kirche.«
Ich erzählte Crumley von der mitternächtlichen Beichte, der Stimme, dem Weinen, und von der ruhigen Antwort des Geistlichen.
»Das bringt nichts. Hat keinen Zweck.« Crumley schüttelte den Kopf. »Geistliche kennen keine Namen, oder geben sie zumindest nicht weiter. Wenn ich dort nachfragen würde, fände ich mich in zwei Minuten vor der Tür wieder. Weiter.«
»Der Oberkellner vom Brown Derby vielleicht. Außerdem wurde er in dieser Nacht draußen vor dem Derby von jemandem erkannt. Von jemandem, den ich aus der Zeit kenne, als ich noch mit meinen Rollschuhen herumgekurvt bin. Clarence. Ich habe mich überall nach seinem Nachnamen erkundigt.«
»Erkundige dich weiter. Wenn er uns sagt, wer das Monster ist, wüßten wir, wo anfangen. Mensch, ist das blöd. Roy gefeuert, du bei einem neuen Job, und das alles nur wegen einer Lehmfigur. Durchgedreht. Aufruhr. Und wieso der ganze Zirkus wegen dieser Figur auf der Leiter?«
»Ja, wieso?«
»Und ich dachte schon«, seufzte Crumley, »als ich dich vor der Tür stehen sah, es würde mich glücklich machen, daß du wieder in mein Leben getreten bist.«
»Bist du’s denn nicht?«
»Nein, verdammt nochmal.« Seine Stimme wurde weich. »Doch, klar. Aber mir wäre wohler, wenn du den Haufen Mist vor der Tür gelassen hättest.«
Er schielte zum Mond, der über seinem Garten aufstieg, und sagte: »Junge, Junge … Du machst mich wirklich neugierig.« Dann fügte er hinzu: »Riecht verdammt nach Erpressung.«
»Erpressung?«
»Warum sollte sich sonst jemand die Mühe machen, Einladungen zu verschicken, Unschuldige wie dich und Roy zu provozieren, Vogelscheuchen auf Leitern zu bugsieren, euch dazu zu bringen, eine Kreatur ins Leben zu rufen, wenn das alles nicht irgendwohin führt? Was für einen Sinn hat es, Panik zu verbreiten, wenn man nicht davon profitiert? Bestimmt hat es noch mehr Nachrichten, noch mehr Briefe gegeben, oder?«
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