»Mist«, zischte ich.
»Wo wir gerade dabei sind …« Charlottes Ma beäugte die Karte, die ich signiert hatte. »Wie ruft man Sie denn?«
Ich buchstabierte ihr meinen Namen.
»Wenn Sie beim Film arbeiten wollen«, meinte Ma verächtlich, »dann sollten Sie sich einen neuen Namen zulegen.«
»Nennt mich einfach den Verrückten.« Ich verabschiedete mich: »Charlotte. Ma.«
»Mach’s gut, Verrückter«, sagten sie.
21
Fritz wartete im ersten Stock auf mich, draußen vor Mannys Büro.
»Die da drinnen sind im Blutrausch«, klärte er mich auf. »Und was ist mit Ihnen los?«
»Ich hatte mit den Dämonen ein Zwiegespräch.«
»Was? Sind sie schon wieder von Notre Dame heruntergestiegen? Kommen Sie, hier rein!«
»Warum nur? Vor einer Stunde waren Roy und ich ganz oben, auf dem Everest. Jetzt hat man ihn zum Teufel geschickt, und ich hänge mit Ihnen in Galiläa fest. Können Sie mir das erklären?«
»Sie und ihre Art, sich beliebt zu machen«, sagte Fritz. »Wer kann das schon wissen? Vielleicht ist Mannys Mutter gestorben. Oder seine Geliebte hat sich besonders dumm angestellt. Oder Verstopfung? Magenverstimmung? Suchen Sie sich was aus. Roy wurde gefeuert, und Sie und ich drehen jetzt sechs Jahre lang Die kleinen Strolche. Los, rein!«
Wir betraten Manny Leibers Büro.
Manny Leiber stand mit dem Rücken zu uns und präsentierte uns seinen Nacken.
Er stand mitten in einem rundum weißen Zimmer: weiße Wände, weißer Teppich, weiße Möbel, ein vollkommen weißer Schreibtisch, auf dem nichts außer einem weißen Telefon stand. Da hatte wohl einen Schneeblinden aus der Ausstattungsabteilung die Inspiration wie ein Schneesturm erwischt.
Hinter dem Schreibtisch hing ein großer Spiegel; man konnte sich, wenn man den Kopf umwandte, beim Arbeiten zusehen. In dem Zimmer gab es nur ein Fenster. Es ging auf die rückwärtige Mauer des Studiogeländes hinaus, die nicht weiter als zehn Meter entfernt war; ein Panoramablick über den angrenzenden Friedhof. Ich konnte meine Augen kaum davon losreißen.
Doch Manny Leiber räusperte sich. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Ist er schon weg?«
Ich nickte wortlos in Richtung seiner verkrampften Schultern.
Manny verstand und atmete hörbar aus. »Ich möchte seinen Namen nie mehr hören. Er hat niemals existiert.«
Ich wartete darauf, daß er sich umdrehte und lauernd um mich herumging, um seine aufgestauten Gefühle abzureagieren. Sein Gesicht war ein Konglomerat nervöser Ticks. Seine Augen bewegten sich nicht im Einklang mit den Augenbrauen, die Augenbrauen nicht mit dem Mund oder mit dem Kopf, der auf dem Hals wilde Verrenkungen veranstaltete. Wie er so auf und ab marschierte, kam er mir auf gefährliche Weise außer Kontrolle geraten vor. Er konnte jeden Augenblick in seine Einzelteile zerbersten. Dann bemerkte er, daß Fritz Wong uns beide beobachtete. Er stellte sich neben Fritz, als wolle er ihn zu einem Wutausbruch provozieren.
Der weise Fritz tat das einzig Richtige, eine Handlung, die ich schon öfters bei ihm beobachtet hatte, wenn ihm die Welt zu sehr auf den Leib rückte. Er nahm sein Monokel ab und ließ es in die Brusttasche gleiten. Das wirkte wie eine wohlüberlegte Zerstreuung der Aufmerksamkeit, wie eine subtile Zurückweisung. Zusammen mit dem Monokel steckte er Manny in die Tasche.
Manny Leiber redete ununterbrochen und ging auf und ab. Halb flüsternd wandte ich ein: »Schön und gut: aber was machen wir mit dem Meteorkrater?«
Fritz warnte mich durch das Zucken seiner Hand: Halt die Klappe !
»So!« Manny tat, als habe er nichts gehört. »Unser nächstes Problem, unser Hauptproblem ist … wir haben noch keinen Schluß für Christus und Galiläa .«
»Würden Sie das bitte wiederholen?« bat Fritz mit staubtrockenem Ernst.
»Keinen Schluß!« entfuhr es mir. »Haben Sie es schon mal mit der Bibel probiert?«
»Wir haben genug Bibeln hier! Aber unser Drehbuchautor hält sie immer falsch rum. Ich habe Ihre Kurzgeschichte in Esquire gelesen. Es klang wie Salomo.«
»Hiob«, murmelte ich.
»Ruhe! Was wir brauchen, ist …«
»Matthäus, Markus, Lukas und mich !«
Manny Leiber schnaubte. »Seit wann können es sich Schriftsteller am Beginn ihrer Karriere leisten, den größten Job des Jahrhunderts abzulehnen? Wir brauchen das Ding lieber gestern als heute, damit Fritz endlich wieder zu drehen anfangen kann. Schreiben Sie was Gutes, dann wird Ihnen eines Tages all das gehören!«
Er machte eine weit ausholende Bewegung mit dem Arm.
Mein Blick fiel nach draußen, auf den Friedhof. Es war ein strahlender Tag, doch über den Grabsteinen ging unsichtbarer Regen nieder.
»O du lieber Gott«, flüsterte ich, »hoffentlich nicht.«
Das genügte. Manny Leiber wurde blaß. Er war wieder in Halle 13, im Dunkeln, mit mir und Roy und dem Monster.
Ohne ein Wort lief er zur Toilette. Die Tür knallte ins Schloß.
Ich wechselte Blicke mit Fritz. Manny übergab sich hinter der Tür.
»Herrschaft nochmal«, stöhnte Fritz. »Ich hätte doch auf Göring hören sollen!«
Einen Augenblick später kam Manny wieder herausgewankt, schaute sich um, als sei er verwundert darüber, daß das Zimmer noch immer schwankte, schaffte es bis zum Telefon, wählte, blökte: »Sofort zu mir!« hinein und stürzte zur Tür.
Ich hielt ihn zurück.
»Wegen Halle 13 …«
Manny hielt die Hand auf die Lippen gepreßt, als könne ihm wieder schlecht werden. Seine Augen weiteten sich.
»Ich weiß, daß Sie das Atelier räumen lassen«, sagte ich rasch. »Aber ich habe noch einen Haufen persönlichen Kram dort. Und ich muß den restlichen Tag mit Fritz über Galiläa und Herodes reden. Könnten Sie den ganzen Müll noch bis morgen dort lassen, dann hole ich morgen früh alles, was mir gehört? Anschließend können Sie immer noch klar Schiff machen.«
Mannys Augen flackerten; er überlegte. Dann nickte er, mit der Hand auf dem Mund, einmal heftig, drehte sich um und traf auf einen großen, hageren, bleichen Mann, der gerade eintreten wollte. Sie flüsterten kurz miteinander, dann ließ uns Manny ohne ein Abschiedswort stehen. Der große blasse Mann war I. W. W. Hope, einer der Produktionsplaner.
Er blickte mich an und sagte schließlich leicht verlegen: »Sieht so aus, als hätten wir noch keinen Schluß für den Film.«
»Haben Sie es schon mal mit der Bibel probiert?« sagten Fritz und ich unisono.
22
Die Menagerie war verschwunden, der Bürgersteig vor dem Studio menschenleer. Charlotte, Ma und die anderen waren zu einem anderen Filmstudio, zu einem anderen Restaurant weitergezogen. Über ganz Hollywood verteilt mußte es so an die drei Dutzend von ihnen geben. Einer von ihnen würde bestimmt Clarences Nachnamen kennen.
Fritz fuhr mich nach Hause.
Unterwegs sagte er: »Machen Sie mal das Handschuhfach auf. Das Etui dort. Machen Sie es auf.«
Ich öffnete den kleinen, schwarzen Behälter. Darin befanden sich sechs glänzende Monokel aus Kristallglas in sechs kleinen, rotsamtenen Vertiefungen.
»Mein Reisegepäck«, sagte Fritz. »Das ist alles, was ich in Sicherheit und mit herüber nach Amerika bringen konnte, abgesehen von meinem unersättlichen Unterleib und meinem Talent.«
»Ganz beachtlich.«
»Stop.« Fritz gab mir eine Kopfnuß. »Immer schön beleidigen, Sie Bastard. Ich habe Ihnen das hier gezeigt«, er nickte zu den Monokeln hinüber, »um zu beweisen, daß noch nicht alles verloren ist. Alle Katzen, und Roy, landen immer auf den Pfoten. Was gibt es denn noch im Handschuhfach?«
Ich fand eine dicke Drehbuchkopie.
»Verleib dir das ein, ohne dich zu übergeben, und du bist ein wahrer Mann, mein Sohn. Kipling. Geh nun. Bis morgen, halb drei, in der Kantine. Dort reden wir weiter. Später dann zeigen wir Ihnen den Rohschnitt von Jesus geht stempeln oder Vater, warum hast Du mich verlassen. Einverstanden?«
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