Hornblower maß ihn mit einem kalten, mitleidlosen Blick.
»Bitte tun Sie das Ding weg. Ich verspreche Ihnen, daß ich nichts mehr tun oder sagen werde, was Ihren Absichten als Führer dieses Bootes zuwiderläuft.«
»Schwören Sie mir das?«
»Ja, ich schwöre es.«
»Und Ihre Leute?«
Der Kapitän wandte sich um und redete so lange auf seine Männer ein, bis sie sich widerstrebend seinem Willen fügten.
»Sie schwören es ebenfalls.«
»Gut, ich will Ihnen glauben.«
Daraufhin steckte Hornblower die Pistole wieder in sein Koppel, wobei ihm grade noch rechtzeitig einfiel, den Hahn auf halbe Ruhe zu stellen, damit er sich nicht womöglich noch selbst in den Leib schoß.
Nach der aufgeregten Szene von eben versank jetzt alles in stumpfe Müdigkeit. Das Boot ritt in schwingendem Gleichmaß über die Seen, was nach dem ewigen Reißen am Treibanker eine wahre Wohltat war. Hornblower stellte zu seiner Freude fest, daß sich seine überreizten Magennerven zusehends beruhigten.
Er hatte nun schon zwei Nächte keinen Schlaf gefunden, jetzt sank ihm der Kopf auf die Brust, er lehnte sich seitwärts an Hunter und entschlummerte friedlich, während das Boot mit etwa halbem Wind in stetiger Fahrt der Küste Englands zustrebte.
Er wachte erst spät am Tage wieder auf, als Matthews müde und verkrampft die Pinne an Carson abgab, weil er am Ende seiner Kräfte war. Von da an gingen sie Wache um Wache, einer an der Schot und einer am Ruder, die beiden anderen ruhten sich aus, so gut es gehen wollte. Hornblower ging seinen Törn an der Schot, die Pinne getraute er sich, besonders bei Nacht, nicht zu führen, weil er wußte, daß er den Kniff noch nicht herausgefunden hatte, ein Boot nur nach dem Wind zu steuern, den man auf der Wange fühlte.
Sie hatten am folgenden Tag das Frühstück längst hinter sich, ja, es ging schon stark auf Mittag zu, als das Segel in Sicht kam.
Einer der Franzosen sah es zuerst, und sein erregter Schrei riß alle hoch. Voraus in Luv waren drei rechteckige Marssegel über der Kimm aufgetaucht und näherten sich auf konvergierendem Kurs so rasch, daß die Fläche der Leinwand jedesmal ein Stück größer erschien, wenn das Boot wieder den Kamm einer See erreichte.
»Was halten Sie davon, Matthews?« fragte Hornblower, während die Franzosen wie ein aufgeregter Bienenschwarm durcheinanderschwatzten.
»Ich kann noch nichts Bestimmtes sagen, Sir«, meinte Matthews unsicher, »was man bis jetzt sehen kann, will mir allerdings nicht gefallen. Bei dieser Brise müßte das Schiff auf jeden Fall seine Bramsegel führen und die Untersegel natürlich auch. Warum, frage ich, tut es das nicht? Und der Schnitt des Klüvers kommt mir auch verdächtig vor, Sir. Hm, ich möchte fast sagen, es könnte ein Franzmann sein, Sir.«
Jedes Schiff auf friedlicher Reise führte natürlich alle Segel, die es tragen konnte. Jenes Schiff dort tat das offenbar nicht.
Also konnte man schließen, daß es in Kriegsdiensten stand.
Aber auch in diesem Fall durfte man sogar hier in der Biskaya eher damit rechnen, einem Briten zu begegnen als einem Franzosen. Hornblower sah sich das Fahrzeug lange und gründlich an. Es war nicht besonders groß und doch als Vollschiff getakelt. Jetzt kam schon ab und zu der Rumpf über der Kimm zum Vorschein - ein Glattdecker mit einer Reihe Geschützpforten -, man sah ihm seine Schnelligkeit schon von weitem an.
»Der Schlitten sieht mir von vorn bis hinten nach einem Franzosen aus, Sir«, bemerkte Hunter, »wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein Kaperschiff.«
»Klar zum Halsen!« befahl Hornblower.
Sie brachten das Boot vor den Wind und kehrten dem Schiff jetzt das Heck zu. Aber im Krieg gilt das gleiche Gesetz wie im Dschungel, wer flieht, fordert damit zu Verfolgung und Angriff heraus. Das Schiff setzte seine Untersegel und Bramsegel und fegte hinter ihnen her. Es passierte sie in einer Kabellänge Abstand und drehte dann vor ihnen bei, so daß es kein Entkommen mehr gab. An der Reling drängte sich ein seltsames Volk, die Besatzung schien für ein Schiff dieser Größe ungewöhnlich zahlreich zu sein. Jetzt drang von drüben ein Anruf über das Wasser. Die Worte waren französisch. Die englischen Matrosen ergingen sich in wilden Flüchen, als der französische Kapitän begeistert Antwort gab und seine Besatzung das Boot längsseit brachte.
Ein gutaussehender junger Mann in pflaumenblauem Rock mit Spitzenkragen begrüßte Hornblower, als er das Deck betrat.
»Willkommen auf der Pique , Monsieur«, sagte er auf französisch. »Ich bin Kapitän Neuville, Kommandant dieses Kaperschiffs. Und mit wem habe ich die Ehre?«
»Fähnrich Hornblower von Seiner Britischen Majestät Schiff Indefatigable «, knurrte ihn Hornblower an.
»Monsieur scheinen schlechter Laune zu sein«, sagte Neuville. »Ich bitte Sie, regen Sie sich nicht über die Wechselfälle des Krieges auf. Sie werden bis zu unserem Einlaufen an Bord dieses Schiffes jede Bequemlichkeit genießen, die wir Ihnen auf See irgend bieten können. Fühlen Sie sich also ganz zu Hause. Die Pistolen in Ihrem Koppel sind Ihnen zum Beispiel sicher recht lästig, erlauben Sie mir daher, daß ich Sie von ihrem Gewicht befreie.«
Während er das sagte, zog er Hornblower die Pistolen mit spitzen Fingern aus dem Koppel, musterte ihn mit einem scharfen Blick von oben bis unten und fuhr dann fort:
»Dann wäre noch über den Dolch an Ihrer Seite zu reden, Monsieur. Würden Sie vielleicht die Güte haben, ihn mir leihweise zu überlassen? Ich versichere Ihnen, daß ich ihn zurückgeben werde, wenn wir uns trennen. Solange Sie hier an Bord sind, muß ich leider besorgt sein, daß Sie sich im Sturm und Drang Ihrer Jugend zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lassen, wenn Sie eine Waffe tragen, die Ihr jugendliches Gemüt für tödlich halten könnte. Tausend Dank dafür! Und jetzt darf ich Ihnen wohl die Kammer zeigen, die eben für Sie klargemacht wird.«
Mit einer höflichen Verbeugung nahm er den Vortritt und führte Hornblower nach unten. Zwei Decks tiefer, wahrscheinlich schon ein paar Fuß unter der Wasserlinie, gelangten sie in ein geräumiges, völlig kahles Zwischendeck, das nur durch die Niedergänge ein wenig Licht und Luft empfing. »Unser Sklavendeck«, bemerkte Neuville obenhin.
»Sklavendeck?« fragte Hornblower.
»Ja, hier waren während der Reise die Sklaven eingesperrt.«
Mit einem Male wurde Hornblower vieles klar. Ein Sklaventransporter war besonders leicht in ein Kaperschiff zu verwandeln. Diese Schiffe waren ja an und für sich schon reichlich mit Geschützen bestückt, damit sie sich gegen heimtückische Überfälle zur Wehr setzen konnten, wenn sie auf den Strömen Afrikas ihre »Ware« einhandelten. Sie waren schneller, als Handelsschiffe im allgemeinen zu sein pflegten, weil sie keinen bauchigen Laderaum brauchten und weil man eine so leicht verderbliche »Ware« wie Sklaven am vorteilhaftesten mit schnellen Schiffen verfrachtete. Sie waren überdies von vornherein darauf eingerichtet, eine Menge Menschen und dazu gewaltige Bestände an Proviant und Wasser mit sich zu führen, so daß sie auch dann keinen Mangel litten, wenn sie die Jagd auf Prisen einmal länger als gewöhnlich vom Hafen fernhielt.
»Der Markt in San Domingo ist uns neuerdings leider verlorengegangen«, erzählte Neuville in leichtem Plauderton, »ich nehme an, Monsieur, daß Sie von den traurigen Ereignissen gehört haben, denen dieser Ausfall zuzuschreiben ist. Ich habe daher meine Pique in ein Kaperschiff verwandelt, damit sie mir weiter gute Revenuen abwirft. Da ich außerdem feststellen mußte, daß gegenwärtig unter dem Regime des Komitees für öffentliche Sicherheit in unserem Paris ein weniger zuträgliches Klima herrscht als selbst an der Westküste Afrikas, habe ich mich entschlossen, persönlich die Führung meines Schiffes zu übernehmen. Daß ein wenig Entschlußkraft und Draufgängertum dazu gehören, ein Kaperschiff zu einer guten Kapitalsanlage zu machen, sei nur am Rande vermerkt.«
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