»Das ist die alte Indefatigable , Sir«, sagte er, »ich möchte es beschwören!« Er sprang auf die Reling, hielt sich an den Wanten fest und starrte unter der schützenden Hand hervor nach der Kimm.
»Ja, sie ist's, Sir! Jetzt machen sie die Royals los, Sir! Wir kommen gerade noch recht zur Schnapsausgabe!«
Ein französischer Maat langte in die Höhe, zerrte Matthews am Hosenboden von seinem Ausguck herunter und jagte ihn mit Hieben und Stößen nach vorn. Einen Augenblick später gab Neuville den Befehl aufzubrassen und hieß den Rudergänger so weit abfallen, daß das Schiff der Indefatigable das Heck zeigte.
Dann winkte er Hornblower heran.
»Wie ich höre, ist das Ihr früheres Schiff?«
»Ja, es ist die Indefatigable .«
»Mit welchem Wind läuft sie am besten?« Hornblower maß Neuville mit einem stummen Blick. »Schauen Sie mich nicht so hochnäsig an«, sagte Neuville und verzog seine schmalen Lippen zu einem Lächeln. »Ich könnte Sie ohne weiteres dazu bringen, mir zu sagen, was ich wissen will, dazu gibt es ein probates Mittel. Ihr Glück, daß ich es nicht anzuwenden brauche, denn auf der ganzen Welt gibt es kein Schiff - vor allem keine der schwerfälligen Fregatten Seiner Britischen Majestät -, das meine Pique vor dem Wind aussegeln könnte.
Sie werden sich bald selbst davon überzeugen können.«
Er schlenderte an die Heckreling und blickte lange und mit gespannter Miene durch seinen Kieker achteraus. Hornblower tat es ihm mit bloßem Auge nach und sah dabei womöglich noch gespannter drein. »Nun, habe ich recht oder nicht?« sagte Neuville und reichte ihm das Glas. Hornblower nahm es, aber nicht so sehr, um seine Beobachtung bestätigt zu sehen, als um einen Blick auf sein altes Schiff zu erhaschen. Dabei überkam ihn wieder einmal bitteres, verzweifeltes Heimweh nach seiner Indefatigable , die nun offensichtlich immer weiter zurücksackte.
Ihre Bramsegel waren schon hinter der Kimm verschwunden, nur die Royals waren noch zu sehen.
»In zwei Stunden ist sie ganz aus Sicht«, sagte Neuville, nahm das Glas zurück und schob es mit einem lauten Klick zusammen.
Dann ließ er den verzweifelten Hornblower kurzerhand stehen und eilte zum Rudergänger, um ihn heftig anzulassen, weil er nicht genau genug Kurs hielt. Hornblower hörte zwar sein tobendes Geschimpfe, aber die Worte drangen ihm nicht ins Bewußtsein. Der Wind blies ihm ins Gesicht und wehte ihm die Haare um die Ohren, unter ihm kochte und brodelte das Kielwasser, das die Pique bei ihrer rauschenden Fahrt hinter sich ließ. Mit ähnlichen Gefühlen mochte schon Adam nach dem verlorenen Paradies zurückgeblickt haben. Hornblower dachte an die luft- und lichtlose Fähnrichsmesse, an all die seltsamen Gerüche und die knarrenden Verbände, an so manche bitterkalte Nacht, in die er hinaus mußte, wenn ihn der Ruf »Alle Mann!« aus seiner warmen Hängematte schreckte. Er dachte an das madige Hartbrot und das knochendürre Salzfleisch - und sehnte sich doch so brennend nach jenem Leben zurück, daß sich sein Herz zusammenkrampfte. Mußte er sich doch zugleich sagen, daß es für diese Sehnsucht keine Erfüllung mehr gab. Die Freiheit verschwand für immer hinter dem Horizont.
Und doch waren es nicht diese persönlichen Gefühle, die ihn jetzt unter Deck gehen ließen, um dort irgend etwas zu unternehmen. Sie beflügelten vielleicht seinen Verstand, was ihn jedoch zum Handeln aufrief, war einzig und allein sein Pflichtbewußtsein.
Das Sklavendeck war, wie immer bei Allemannmanövern, verlassen und menschenleer. Hinter dem Schott stand seine Koje mit den Büchern und der schwingenden Tranlampe, die ihm Licht gab. Was sollte man hier schon unternehmen? Es fiel ihm beim besten Willen nichts ein. Weiter achteraus war ein zweites Schott mit einer verschlossenen Tür, die in eine Art Bootsmannshellegatt führte. Zweimal hatte er schon gesehen, wie man Farben und Ähnliches von dort holte. Farbe! Halt, das war es - und schon in der nächsten Sekunde war sein Plan fix und fertig. Sein Blick wanderte von der Tür zur Tranlampe und wieder zurück, dann zog er sein Bordmesser und begann damit die Tür zu bearbeiten. Aber er gab es bald wieder auf und mußte über seine eigene Torheit lächeln. Die Tür hatte nämlich keine Füllung, sie bestand vielmehr aus zwei festen Bohlen, die durch Querriegel an der Innenseite zusammengehalten wurden. Auch am Schlüsselloch ließ sich das Messer nicht ansetzen. Er hätte Stunden und Stunden gebraucht, um ein Loch in diese Tür zu schneiden, jetzt aber war jede Minute kostbar. Sein Herz pochte wie im Fieber, noch fieberhafter arbeiteten seine Gedanken. Er sah sich noch einmal suchend um. Ein kurzer Griff an die Lampe: sie war fast voll. Eine Sekunde lang rang er noch mit dem Entschluß, dann riß er sich zusammen und machte sich in rasender Eile ans Werk.
Mit roher Hand fetzte er die Seiten aus Grandjeans Grundlagen der 'Navigation, ballte sie einzeln zu losen Knäueln und häufte sie an der Schwelle der Tür. Er zog seine Uniformjacke aus und zerrte sich seinen blauen Jumper über den Kopf. Den riß er mit seinen schlanken kräftigen Händen kurzerhand der Länge nach auf und begann in aller Hast ihn auseinanderzurupfen. Als er ein paar Fäden herausgezogen hatte, verlor er jedoch die Geduld und warf das Ding, so wie es war, auf den Papierhaufen. Noch ein suchender Blick. Richtig, die Kojenmatratze! Sie war mit Stroh gestopft, ein Schnitt mit dem Messer schlitzte sie auf, so daß er den Inhalt bündelweise herauszerren konnte. Der dauernde Druck seines Körpergewichts hatte das Stroh fest zusammengepreßt, aber es ließ sich leicht so weit auflockern, daß ihm der Haufen bis zu den Hüften reichte. Das gab ein kräftiges Feuer, so wie er es brauchte. Er hielt einen Augenblick inne und zwang sich, klar und logisch zu denken; weil er in seinem Ungestüm immer das Denken vergaß, war ihm die Marie Galante untergegangen, und jetzt hatte er aus dem gleichen Grund schon wieder kostbare Zeit mit seinem Jumper vergeudet. Darum war es vor allem wichtig, genau zu überlegen, was der Reihe nach zu geschehen hatte. Er riß eine Seite aus dem Manuel de Matelotage, faltete sie zu einem langen Fidibus und entzündete diesen an der Lampe. Dann goß er Tran - er war in der heißen Lampe schön flüssig - auf die Papierknäuel, über das Deck' und über die Schwelle der Tür. Eine kurze Berührung mit dem Fidibus setzte eines der Knäuel in Brand, und das Feuer fraß sich augenblicklich weiter. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er warf das Stroh in die Flammen, riß mit der Kraft eines Wahnsinnigen seine ganze Koje von der Wand, so daß sie dabei in Trümmer ging, und häufte auch ihre Bretter und Pfosten auf das Stroh.
Zuletzt nahm er die Lampe vom Haken und feuerte sie oben auf den Haufen. Dann griff er rasch nach seinem Rock und ging. Als er schon im Begriff war, die Tür hinter sich zuzuziehen, fiel ihm ein, daß sie besser offenblieb - je mehr Luft das Feuer bekam, desto besser brannte es. Er fuhr in seinen Rock und eilte den Niedergang hinauf.
An Deck gab er sich alle Mühe, den lässigen Müßiggänger zu spielen. Er lehnte sich gelangweilt an die Reling und verbarg seine zitternden Hände in den Hosentaschen. Die Aufregung raubte ihm alle Kraft und wurde während dieses qualvollen Wartens eher größer als geringer. Jede Minute, die der Brand unentdeckt blieb, war kostbar.
Ein französischer Offizier sprach ihn mit stolzem Triumph in den Augen an und deutete dabei über das Heck nach achtern, wahrscheinlich ließ er sich darüber aus, wie rasch die Indefatigable zurückblieb. Hornblower reagierte darauf nur mit einem müden Lächeln, weil ihm zunächst nichts anderes einfiel, dann aber überlegte er, daß Lächeln in diesem Fall durchaus nicht am Platz war, und versuchte, recht düster und verdrossen dreinzuschauen. Der Wind hatte so stark aufgefrischt, daß die Pique kaum noch alle ihre Segel tragen konnte, und Hornblower fühlte, wie er um seine brennenden Wangen strich. An Deck herrschte ein ganz ungewohntes Getriebe, jeder Mann der Besatzung schien vollauf beschäftigt zu sein. Neuville überwachte den Rudergänger und warf dabei ab und zu einen Blick nach oben, um sicherzugehen, daß jedes Segel richtig zog, die Männer machten die Geschütze los, ein Maat und zwei Matrosen holten eben die Logleine ein. Mein Gott, wie lange ging das noch so weiter!
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