Was seine Pläne seien, fragt Cathrin, und Anton sagt, dass er erst einmal den Prozess abwarten wolle.
Hermann findet das nur vernünftig. «Wir sind dabei», sagt er, «wir lassen dich nicht im Stich.»
«Wessen Idee war das eigentlich?», fragt Cathrin.
Anton und Hermann schweigen, als würden sie es nicht wissen.
«Anton», sagt Cathrin schließlich, und Anton weiß, was jetzt kommt: der Riegel.
«Anton, wir haben dir geholfen, die Prozesskostenbeihilfe zu beantragen, wir vertreten dich vor Gericht, obwohl ich von Anfang an dagegen war. Ich bin auch jetzt mit an Bord, ich lasse dich nicht im Stich. Aber was wir nicht machen können, ist, dich ganz aus der Scheiße zu hieven. Wenn wir den Prozess verlieren, können wir nicht zahlen. Ich schätze dich sehr, aber das können wir nicht. Wir haben selbst Schulden, und nicht zu knapp. Das hier», und sie macht eine Handbewegung, die das ganze Haus meint, «das hier sind alles Schulden. Das sind alles Schulden.»
«Seit wann sagst du eigentlich alles zweimal», platzt Hermann der Kragen.
«Seit du alles erst verstehst, wenn man es dir zweimal sagt», kontert Cathrin.
«Leute», sagt Anton.
«Das ist ein Fass ohne Boden», sagt Cathrin. «Es geht auch um Verantwortlichkeiten.»
«Das hat der Gutachter auch gesagt», sagt Anton.
«Natürlich geht es auch um Verantwortlichkeiten», sagt Hermann, «aber muss man ihm die jetzt an die Stirn nageln?»
«Ich weiß», sagt Anton, «der Wille zur Rückkehr in die Gesellschaft muss von mir kommen, das weiß ich.»
«Da kann dir keiner helfen», sagt Cathrin, «es tut mir leid, ich muss da so strikt reden.»
«Aber seine Schulden mit unseren zu vergleichen, ist doch grotesk», sagt Hermann.
«Natürlich ist es das», sagt Cathrin, «ich vergleiche auch gar nicht, ich stelle nur Fakten nebeneinander.»
«Natürlich vergleichst du, und du weißt, dass unsere Schulden nur negativer Reichtum sind.»
«Negativer Reichtum», spottet Cathrin, «und was ist dann positive Armut?»
Peinliches Schweigen.
«Die sitzt mit am Tisch», sagt Hermann. «Und jetzt zügle deine Zunge.»
Er wollte schon gehen, aber Cathrin hat ihn fast genötigt. Sie hat das Gästebett hergerichtet, Anton dabei einen unsicheren Blick zugeworfen und es nach der zu harten Diskussion nicht zulassen wollen, dass er noch den Heimweg antreten muss. Schlechtes Gewissen, vielleicht. Ihr voreiliges Schandmaul mit den dünnen Lippen. Sie sitzen bei einem letzten Schluck Wein zusammen, und Anton ist wieder ins Gespräch eingebunden, obwohl er nichts mehr zu sagen hat. Er liebt seinen Anzug, den er den ganzen Abend schon trägt. In der Spiegelung der Terrassentür sieht er sich sitzen, eine skurrile Mischung aus Eleganz und Verkommenheit. Dazu sirrt Jazz aus edlen Boxen.
Als Cathrin kurz auf der Toilette ist, steckt Hermann Anton zweihundert Euro zu.
«Echt?», flüstert Anton.
Hermann winkt nur ab und legt den Finger an die Lippen, woraufhin Anton das Geld stillschweigend einsteckt. Hermann macht eine Schreibbewegung, er notiere schon mit. Ratlos streckt Anton den Daumen nach oben. Sie wissen beide, dass er sich nachher still aus dem Staub machen wird.
Als Cathrin zurückkommt, schlägt Hermann vor, als Absacker noch einen Scotch zu nehmen. Cathrin stutzt, ihr Blick fragt Muss-das-sein, aber ihr Mund sagt: «Warum nicht?» Sie will die beiden wohl auch nicht zu lange alleine lassen, schon gar nicht alkoholisiert. Wer weiß, was da zur Sprache käme.
Anton fühlt sich wie angeleimt in seinem Sessel, aber auf angenehme Weise. Er lässt es alles geschehen, die Worte, das Geld, den Scotch, und die Ratlosigkeit verfliegt für einen Augenblick und weicht der altbekannten, so geliebten wie fatalen Gleichgültigkeit.
*
Schlampenbashing galore. Heike und Martina sind zu Besuch, und zu dritt zerreißen sie sich das Maul über die Möchtegernmodels, die sich ihrerseits das Maul über Marie zerreißen. Marie ist dieses Jahr die Kandidatin mit dem höchsten Aufmerksamkeitspotenzial, diejenige, die nicht gewinnen, aber im Gedächtnis haftenbleiben wird. Sie fläzen sich auf dem Sofa, beiderseits des Bildschirms, und lästern, was das Zeug hält.
«Marie ist eine Schlampe, klar, wenn die mal stirbt, braucht’s einen dreieckigen Sarg», sagt Heike und macht zur Erklärung die Beine breit. Martina und Denise prusten los.
«Aber wie die anderen Bitches da jetzt abgehen, geht auch auf keine Kuhhaut», wendet Martina ein und lutscht eine saure Zunge.
«Ich bin für Tessa, die ist geil», sagt Denise, «die wird noch ihren Auftritt haben, glaubt mir.»
Nach einem Schnitt, in dem der sexy Coach seine Expertise mitteilt, staksen die Möchtegernmodels schon wieder über den Catwalk, ihren kantigen Beckenknochen hinterher.
Denise genießt jede Erniedrigung, der sie nicht selbst ausgesetzt ist. Sie wäre gern dort, auf der anderen Seite. Gleichzeitig weiß sie, dass sie diesem Druck keinen Moment lang standhalten könnte und ihre Schadenfreude fehl am Platz ist. Und doch steigt Trotz in ihr hoch: Warum nicht hämisch sein? Zum Ausgleich, dass sie nicht dort ist, darf sie so schadenfroh sein, wie sie will. Wer in die Öffentlichkeit geht, muss auch einstecken können. Da wird ihr plötzlich heiß, und sie sieht sich als Thumbnail. In welche Öffentlichkeit hat sie sich hineinbegeben?
«Hat Gina-Lisa nicht vor kurzem einen Porno gedreht?», fragt Heike.
«Nee, die wurde beim Sex gefilmt und dann geleakt.»
«Ge-was?»
«Ins Internet gestellt.»
«Ahso.»
Denise weiß nicht, ob dies als Stichwort gemeint ist, auf das sie reagieren soll. Sie traut sich nicht, ihre Freundinnen anzusehen. Wissen sie etwas? Wollen sie ihr das Geständnis erleichtern? In ihrem Rücken piekst es. Sie vertieft sich in die Werbung und sagt nichts. Da springt Martina unverhofft ein und eröffnet den anderen die große Neuigkeit.
Der Fernseher ist auf stumm gestellt. Gerade sah sich Denise noch auf dem Pornotablett, jetzt ist sie plötzlich Expertin für Schwangerschaften. Sie will weder zu- noch abraten.
«Du wirst schon wissen, was du willst», sagt sie. Sie will sich gar nicht erinnern, wie es bei ihr war, aber Martina drängt sie dazu. Denise antwortet mit Gegenfragen, wieso haben sie nicht verhütet, wieso denn dieser alte Technospacken, ist doch klar, dass der immer nur auf Droge ist, Push and pull ein Leben lang. Gleichzeitig hat sie Bilder von sich im Kopf, wie sie nur noch heulte auf dem Wochenbett, das Kind ein Alien im Arm, der Vater ein Loser vor dem Herrn.
«Ist das Sperma eigentlich kontaminiert bei so Druggies?», will Martina wissen und muss lachen, auch aus Stolz über das Wort «kontaminiert».
«Keine Ahnung», sagt Denise. Sie weiß es wirklich nicht.
«Googeln hilft immer», schlägt Heike vor und zückt ihr Smartphone, und Denise denkt, wir sind dumm, so dumm, bräuchte man einen Führerschein für Kinder, sie hätten ihn schon zehnmal eingezogen.
«Hat Marc eigentlich Drogen genommen damals», will Heike wissen.
«Wieso», fragt Denise.
«Nur so», sagt Heike.
«Nur so gibt es nicht», sagt Denise. Es ist klar, es geht um Linda.
«Könnte ja sein», sagt Heike.
«Du schleppst sie halt die ganze Zeit von Arzt zu Arzt», wirft Martina ein, «ich verstehe gar nicht, warum. Mir kommt sie eigentlich ganz normal vor. Was soll das denn für eine Krankheit sein?»
Denise kocht innerlich, in ihr hallt die ewige Frage ihrer Mutter nach: Ist sie nun behindert oder nicht? Sie stellt den Ton wieder an.
«Es ist keine Krankheit. Sie hat Wahrnehmungsstörungen», sagt Denise, «sie sieht den Raum nicht so wie wir.»
«Gab’s früher nicht, genau wie dieses ADHS», murmelt Heike.
«Meint ihr vielleicht, ich find das schick?», zischt Denise.
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