Klick.
Vorsichtig, wie auf Stelzen, gingen Magnus und seine altneuen Freunde (die sich jetzt die üblichen Umnachteten nannten) die Friedrichstraße hinunter, am Morgenstau vorbei, geblendet vom Chrom-Futurismus, der den Gendarmenmarkt umzingelt hatte. Acht Uhr morgens. Eine weitere Party war vorbei und vergessen; es hatte geregnet. Die Reifen zischten die Straße an wie mürrische Tiere, und die Straße zischte den Reifen hinterher.
Das Four Seasons schob sich ihnen in den Blick. Es leuchtete. Die Buchstaben flirrten in der Nässe. Tauben waren nicht zu sehen. Magnus hatte schon jetzt den Duft von frischen Croissants in der Nase, von schokoladenbestreutem Milchkaffee und locker-flockigem Speckrührei, obwohl er wusste, dass es nur der süßliche, von der Morgensonne aufgeweichte Schmutz war, den er roch.
Ab und rein, ohne Frage, den Blick gefasst, das Kreuz durchgedrückt, Selbstbewusstsein ausstrahlen, und Selbstverständlichkeit. Treppe hoch, an dramatisch posierenden Pflanzen vorbei, an hochschießenden Orchideen und Palmen, die ihre Arme weit von sich streckten. Weiter, in den Aufzug, nicht zu eilig, aber auch nicht zu lax. Ding , Tür auf, Tür zu, hoch. Vierter Stock, Ding , Tür auf, raus, den in seiner Gleichförmigkeit schönen Gang entlang. Zwei Zimmer finden, die das DO-NOT-DISTURB-Schildchen am Türknauf hängen haben, Zimmernummern merken. Ding , wieder runter, erster Stock, Ding , zum Frühstücksbuffet. «Guten Morgen», der nette iranische Boy in Frühstückslivree nickte ihnen freundlich zu, und unaufgefordert sagten sie die Zimmernummern an, die Mädchen in roten Jacketts blinzelten fröhlich herüber, mit erröteten Wangen. «Guten Appetit, Herr Heinrich», sie passierten mit einem pochenden Glücksgefühl im Hals die unsichtbare Schleuse, griffen sich Teller und Besteck und ließen sich eine geräucherte Makrele oder auch die erste Portion Bacon and Egg auftun.
Es war in den letzten Sommermonaten eine Art Sport unter den Freunden geworden, sich morgens nach durchzechter und durchtanzter Nacht ein Frühstück in einem Nobelhotel zu erschleichen. Es war einer dieser Thrills, den sie noch brauchten, wenn die Nacht sie nicht genügend ausgelutscht hatte (nur wenn sie leere Hüllen wären, könnten sie sich endlich in die kalten, weißen Laken legen und schlafen) und zu viel Energie noch durch die Nervenbahnen flippte; wenn es einfach unbefriedigend war, jetzt nach Hause zu gehen, weil wieder nichts passiert war. Andere holen sich zu diesem Zweck ein tschechisches Model in die Wohnung; Magnus und seine Freunde gingen ins Hotel, umsonst frühstücken. Es ließ sich einfach besser schlafen danach.
Dumm war nur, dass Magnus gerade an diesem Morgen nach dem Frühstück unbedingt einen Morgenmantel aus dem Wellness-Bereich im Souterrain stehlen musste; das heißt, das war noch nicht so dumm, denn sie entkamen gerade noch; richtig dumm war aber, als Raoul sich vor dem Four Seasons den Finger in den Hals steckte, um dem Four Seasons vor die Schuhe zu kotzen, eine neue Eigenart von ihm, die er auch vor neueröffneten Clubs auslebte, um irgendein Missfallen zu äußern; und der Hotelmanager hatte die Polizei alarmiert und seine uniformierten Hoteljungen auf sie gehetzt, und nun hieß es laufen; das Dümmste aber war, dass Magnus auf dem pfützenglatten Gehweg ausrutschte und sich den Anzug und die Schuhe ruinierte; er würde sich neue kaufen müssen, um am Montag bei RADIKAL dem Dresscode zu genügen; die gute Sache aber war, dass er den Morgenmantel dabei nicht losgelassen hatte und mit einer Prellung am Steißbein davonkam.
Dieser Schlüssel musste für paar Arschlöcher produziert worden sein, oder für paar scheißzölibatäre Filigrantechniker , dachte Magnus matt. Der passte vielleicht in deren verkrampftes Arschloch , so er, aber in dieses Schlüsselloch passte er sicherlich nicht . Mannomann! Ja jaa , ich weiß ja, keuchte er, dass er eigentlich passt, schon gut ! Nur jetzt passt er halt nicht! Das gibt’s wohl! Und ob’s das gibt!
Seine Hand wogte hin und her, der Schlüssel spastete zittrig herum.
«Mann, geh auf, Tür, mach kein Terror. Ich hab echt genug für heute. Du Scheiße. Du Scheißfaschistentür. Ich hocke mich ja schon vor dich, mit den Händen am Türknauf, damit ich nicht falle. Ich hänge ja schon am Türknauf wie ein gottverdammter Surfer und surfe so hin und her, gegen Killerwellen, ohh, oohhh !»
Als Magnus endlich mit der Tür in die Wohnung fiel und fast hinstürzte, hörte er sofort das Gedudele aus dem Jazzradio, von rechts oben, auf der Anrichte. Scheiße. Sie waren also aus dem Urlaub zurück. Nun ja, dann einmal Terror, bitte, mal wieder. Nicht anders zu erwarten.
Es war Frühstückszeit. Walter und Carmen saßen am Küchentisch, das hörte er. Obwohl sie nichts sagten, keinen Mucks taten, obwohl kein Kaffeetassenklirren, kein Zeitungsrascheln, kein einziges Geräusch zu hören war — außer natürlich der krebskranken Jazzkacke aus dem Radio, aber die zählte nicht als Geräusch.
Magnus hörte auch, dass Walter und Carmen am Tisch saßen, und nicht nur Walter allein — aber das war kein großes Kunststück. So hörte es sich meistens an in dieser verfehlten Links-Spießer-WG. Magnus hatte sofort ein schlechtes Gewissen, wie immer, wenn er Walter und Carmen in seiner Nähe wusste. Er fühlte eine Erklärungsnot. Er ging den Flur entlang, hin zur weit offenstehenden Küchentür. Da waren sie auch schon, die Maßhalter , winkten freundlich her. Magnus winkte freundlich zurück, sagte auch einen freundlich vernuschelten Gruß und ließ sich gleich weitertreiben in Richtung Klo, sprang hinein, verriegelte die Tür hinter sich, atmete durch.
Zu Hause.
Hoffentlich hatten sie nichts von seinem verwahrlosten, zerrütteten Zustand bemerkt. Er drehte den Wasserhahn auf. Waschen, einsprühen, den gröbsten Dreck unten wegscheuern, und die Hände um Gottes willen unter erst laues, dann warmes, dann heißes Wasser halten. Wie das schmerzte! Wie gut das tat. Dann die Füße, uh, uhh. Das Gesicht einreiben, den Mund ausspülen. Mehr, mehr. Mehr von den weißen Handtüchern. Mehr von dem beißenden Mundwasser. Mehr von der ganzen kranken After-Hour-Hygiene. Gott, wie blöd, dachte Magnus: After-Aua-Hygiene. Ha, ha, aua, autsch. Was für Gedanken. Magnus musste nun wirklich ins Bett, aber schnell.
Er war zuvor irgendwo aufgewacht, weil ein Rentner mit dem Spazierstock in seiner Seite gestochert hatte, um zu testen, ob das Dings da noch am Leben sei. Das hätte es unter Ulbricht oder dem anderen nicht gegeben, hatte der Rentner lauthals geschimpft und Magnus, dem die Hose noch in den Knien hing, aus seinem Versteck gescheucht. War dieser Rentner also Magnussens Lebensretter gewesen? Ach, vergiss es. Mit alten Zeitungen hatte Magnus sich notdürftig das Schlimmste von Haut und Kleidung gewischt, dann hatte er, jeder Schritt ein Schmerz irgendwo, den übelsten Heimweg seines Lebens angetreten. Endlich eine U-Bahn gefunden. Und darin dann wüste Paranoia geschoben, und Furcht davor gehabt, erneut einzuschlafen oder ohnmächtig zu werden. Ob es seine Zehen noch gab, war ungewiss gewesen.
«Hey, was ist denn los? Alles in Ordnung?», fragte Walter vor der Klotür, nach diskretem Klopfen.
«Jaja, alles in Ordnung, ich komme gleich», antwortete Magnus, wartete kurz, bis Walters Schritte wieder Richtung Küche verschwanden, und schlich den Flur hinab in sein Zimmer, um sich schnell ein paar andere Sachen anzuziehen.
Dann stolzierte er möglichst dynamisch-postheroisch in die Küche, ins Licht. Walter und Carmen lächelten ihn an, aber es kam Magnus vor wie das verzerrte Lächeln der Plastikmenschen im Soundgarden-Video «Black Hole Sun». Er lächelte dennoch zurück. Das Terrorlächeln hat mich wieder, dachte er. Und riss die Kühlschranktür auf.
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