Irgendwann wachst du auf und merkst, jetzt schläfst du wieder ein, und das wird der letzte Schlaf dieser Krankheit sein, wenn du das nächste Mal aufwachst, wirst du genesen sein. Er ließ sich seufzend fallen.
Als er zu sich kam, war er alleine in der Wohnung. Er lag lange da und horchte — ja, allein —, bewegte vorsichtig die Augen, bevor er den Kopf bewegte. Es fühlte sich an wie nach einem vergangenen Schmerz.
Er lag in einem schmalen Zimmerchen, die Wände bis Türoberkante gelb, darüber rosa gestrichen, weiße Decke. Ein Kojenbett, ein Tisch, darüber ein Wandregal, darauf Bücher, ein Kleiderschrank, eine Truhe oder ein Wäschekorb. Das Bett stand am Fenster. Wenn man sich aufsetzt (langsam) und die orangefarbenen Verdunkelungsvorhänge (zu kurz in Länge und Breite, unten und in der Mitte bleibt ein Spalt) lupft, kann man ein Sammelsurium verschiedenster Hinterhöfe sehen. Die linke Hälfte von der Krone eines großen Nussbaums verdeckt. Rechts eine Reihe Schornsteine vor blassblauem Himmel, genau in Augenhöhe (wenn sie im Winter rauchen?), wozu braucht das Nachbargebäude so viele Schornsteine? (eine Bäckerei; der Duft entschädigt für alles), in der Mitte eine Schneise aus niedrigen Ziegeldächern. Zwischen Hochhäusern übrig gebliebene dörfliche Bebauung. Im nächstgelegenen Hof eine von fünf Seiten begrünte Terrasse. Ein Käfig aus Kletterpflanzen, darin eine Großmutter, wieder kaum älter als Kopp, sie spielte mit einem Säugling. Ende August oder Anfang September in Tirana.
Der kurze Weg zur Toilette erwies sich als so anstrengend wie lange nichts mehr und löste eine Schweißattacke aus. Kopp saß da, mit dem Bauch auf den Oberschenkeln, horchte in die Wohnung hinein und hinter der Wohnung auf die Stadt hinaus. Rauschen ohne besondere Kennzeichen. Er stieg fröstelnd in die Dusche, das ist so ein Automatismus, aber das hier war nicht sein Badezimmer — er blieb in der kalten Duschtasse stehen. Und entschied dann, dass dieser Geruch nach Krankheit abgewaschen werden musste, jetzt gleich, egal wie. So war das natürlich schlecht vorbereitet, am Ende konnte er nur ein blasses Handtuch nehmen, das offenbar eine der Frauen benutzt hatte. Die verschwitzten, getrockneten und erneut verschwitzten Schlafsachen mochte er nicht wieder anziehen. Im Übrigen waren es nicht einmal seine Sachen: ein zeltartiges ehemals weißes T-Shirt und gestreifte Boxershorts. Habe ich die Sachen einer lebenden oder einer toten Person getragen? Wie man unversehens in das Innerste von jemandes Familie gerät.
Er hielt sich die klammen Stoffe vor, während er ins Zimmer zurückging. Sie haben meine Tasche hochgebracht. Die Sachen darin sind schmutzig. Sie nach einer zermürbenden Krankheit auf der Suche nach noch Brauchbarem zu durchwühlen zeigt einem, dass jede einzelne Bewegung einen Kraftakt des gesamten Organismus erfordert. Um sich abzulenken, versuchte er, sich in der Zeit einzuordnen. Was war zuletzt? Auch das war anstrengend. Erst fielen ihm nur isolierte Sachen ein. Die Maus, die im Friedhof in Budapest auf dem Weg saß oder die flatternden Stofffetzen in den Lampen an der Poolbar in Losinj. Aber ab da wusste er es dann wieder. Losinj. Mein Vater. Und Oda. You should visit Albania. Und hier bin ich. Aber wo bist du? Er war gerade dabei, die Vorhänge ganz zu öffnen, um sich mit voller Brust der Aussicht zu stellen, als er Bewegung an der Wohnungstür hörte.
Es war die Großmutter. Sie registrierte, dass er also wieder auf den Beinen war. Socken hatte er nicht gefunden, stand barfuß vor ihr. Meine behaarten Zehen unter den Hosenbeinen.
Sie spricht beileibe nicht so viel wie ihre Enkeltochter, vielleicht, weil uns die gemeinsame Sprache fehlt, sie schneidet Grimassen. Hört etwas, nickt oder schüttelt den Kopf, schneidet eine Grimasse. Mal spricht sie albanisch, mal italienisch, mit beidem ist Kopp nicht geholfen, die Großmutter schneidet eine Grimasse und wechselt zu einem kaum verständlichen Englisch. Schließlich wird wenigstens so viel klar: Doktor. Dass ein Doktor kommen wird.
You was malato.
Ja, ich war krank.
Wait, sagte die Großmutter streng. Kopp verstand es, obwohl es dafür keinen Grund gab, so, dass er das kleine Zimmer nicht verlassen dürfe. Er dachte an das Handtuch, das er benutzt hatte. Ich hätte es auf den Boden werfen sollen, damit sie versteht. Aber er hatte es zurück auf den Halter gehängt. Er wusste nicht, wie er das jetzt lösen sollte. Auf das durchschwitzte Bett mochte er sich nicht wieder setzen, er zog den Schreibtischstuhl zu sich — Lautes Rumpeln! — und setzte sich so, dass er beim Fenster hinausschauen konnte.
Die Großmutter kam und wechselte die Bettwäsche. Er bedankte sich. Das erste Mal, dass eine Grimasse eindeutig als Lächeln verstanden werden konnte.
Zeit verging, dann kamen eine Ärztin und eine weitere Frau. Eine Schweizerin, die hier lebt. (Wo ist Oda?) Dolmetschen ist nicht nötig, die blond gefärbte Ärztin mit den Strichlippen spricht englisch.
Sie hatten eine Meningitis. Sie wissen, was das ist? Eine Hirnhautentzündung. Wir haben die Zecke gefunden. Aber Sie haben es überstanden.
Ich habe es überstanden?!?!
Wenn es das Gehirn selbst nicht befällt, geht es von alleine vorbei. Es sind Viren. Da kann man nicht viel machen. Schmerzmittel, Fiebermittel und warten. Ich musste Ihnen nur einmal eine Infusion geben. Wegen der Flüssigkeit.
Danke, sagte Kopp und verneigte sich leicht in die Richtung der Ärztin. Sie lächelte ein wenig, die Schweizerin mehr.
Eine letzte Untersuchung, während die Großmutter und die Schweizerin sich in der Küche unterhielten. Warten, bis das Thermometer fertig misst. Ich weiß, wo ich mir das Vieh gefangen habe. Der Friedhof in Budapest. Der verwilderte Teil. Scharenweise. Eine hat es geschafft. Sie saß in der Kuhle über dem Steißbein. Keine Chance, sie zu sehen. Sie haben mich hin und her gedreht, mein Haar durchgesehen, meine Ohren, meine Halsfalten, meine Achselhöhlen, meine Schenkel auseinandergedrückt, meinen Hodensack angehoben, bevor sie schließlich am Ansatz der Pofalte eine Zecke gefunden haben.
Die Temperatur ist normal. Sie sind gesund und ab nun ein Leben lang immun, auch gegen andere Variationen des FSME-Virus. Sie sollten aber zu Hause noch einmal zu einem Arzt.
#
[Datei: Jobs]
10. Sept
Osloer Straße. Probeübersetzung. Bedienungsanleitungen für Kleingeräte. Der Mann kann nicht Ungarisch, vergleicht meine Lösung mit einem Mustertext. Welcher fehlerhaft ist. Umsonst erklärst du
ihm, dass deine Lösung die richtige ist.»Bekräftigen Sie die Taste.« Sinnlos.
4. Okt
Wäre sowieso befristet gewesen. In einem Antiquariat aufräumen. Als ich ankam, schrie der Chef gerade seinen Helfer an und ich ging hinaus, ohne mich vorzustellen. Wie man mit sich ringt, ob man zurückgehen und ihm sagen sollte: Ich arbeite für niemanden, der so mit seinen Mitarbeitern umgeht. Jetzt bin ich eine von denen, die gar nicht zum Job erschienen sind, und das Arschloch wird nie erfahren, dass der Grund dafür er selbst war.
15. Nov
3 Wochen in einem Coffeeshop. Der äthiopische Kaffee ist mein Favorit. Ich empfehle ihn allen. Man war sogar nett. Aber nach 3 Wochen haben sie mich doch entlassen. Der Bedarf wäre da, das Geld
fehlt.
15. Dez
Suppenküche. Als ich hätte anfangen sollen, wurde ich krank. Eitrige Mandeln. Als ich wieder gesund war, arbeitete schon jemand anderes da. Ein leicht rot werdendes Mädchen. Natürlich verstehe ich das.
#
[Datei: pilinszk]
Pilinszky János: János Pilinszky:
Önarckép Selbstporträt
Ingem, mint egy tömeggyilkosé,
fehér és jól vasalt,
de fejem, mint egy kisfiúé,
ezeréves és hallgatag.
#
[Datei: Workpower] Protokoll: 29.01. Workpower
Читать дальше