Oh, dann… hätten wir uns ja… begegnen können… Beinahe.
Du hast dir auch die Zeugnisse der römischen und osmanischen Herrschaft in Esztergom, Buda und Pecs angesehen?
Nein, ich. bin nur so herumgestreunt. Und jetzt streunst du weiter nach Slowenien? (Slowenien, begriff Kopp. SLO! Nicht: LOS!) Nein… actually…
Oh, das macht ihr gar nichts aus. Sie muss ohnehin bis nach Tirana. Lacht. Und Kroatien, ja, Kroatien ist wunderschön. Kennst du es?
Als ich ein Kind war, war ich… (wie sagt man» auf Kur«?) auf Losinj… Ich wollte immer schon… nicht früher geschafft. Verstehe, sagt sie, schaut und kichert.
(Das ist jetzt nicht gut. Dass sie immer kichern müssen. Mädchen. Du hast nie gekichert. Kein einziges Mal.)
Darius Kopp mag es nicht, provokant mit Frauen zu reden. Auch mit Männern nicht. Aber es geht jetzt nicht anders.
You do? Sie verstehen das? Wirklich?
Zwanzig Jahre sind schnell vorbei, sagt sie und macht dabei ein Gesicht wie eine altkluge 10-jährige. Kopp muss lachen. Verzeihen Sie. Aber wie alt sind Sie?
Vierundzwanzig. Aber ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen. Und außerdem studiere ich Geschichte.
Sie sind bei Ihrer Großmutter aufgewachsen und außerdem studieren Sie Geschichte? (Hör auf mit diesen blöden Wiederholungen und dem dämlichen Grinsen. — Gleich.)
Indeed, sagt sie lächelnd. Geduldig verzeihend. (So seid ihr. Verzeih mir gefälligst nicht!) Von den großen Reichen der Antike bis zur Moderne, das heißt bis zur Gründung des Albanischen Nationalstaates 1912.
Kleine Pause, damit sich das setzen kann, dann weiter, langsamer, geduldiger, sie hat gemerkt, dass etwas nicht gut läuft — (Auch so seid ihr) —, sie erzählt jetzt, um zu besänftigen:
Bis zum frühen 20. Jahrhundert, also quasi bis gestern, war das, was wir heute Albanien nennen, immer Teil eines oder mehrerer der großen Reiche: des Illyrischen, des Griechischen, des Römischen, des Byzantinischen, im Mittelalter teilweise des Bulgarischen und des Serbischen und danach für 400 Jahre des Osmanischen. (Zeichnet mit beiden Zeigefingern Umrisse in die Luft. Blindkarten untergegangener Reiche.) Das fand ich schon immer faszinierend. Wie sich die Großen ausbreiten und die Kleinen dabei überleben. Die Römer, zum Beispiel, interessierten sich fast ausschließlich für die Küsten und das Flachland. Sie machten sich keine Mühe mit den schwer zugänglichen Bergregionen. Anders als die Osmanen. Die haben sich die Täler und die Pässe gesichert. Wenn ein Land, wie zum Beispiel das heutige Albanien, aus Küste (Schlangenlinie) und Gebirge (ein umgedrehtes W) besteht, halten sich häufig zwei Lebensweisen und zwei Religionen. An den Küsten und im Flachland Christentum, im Gebirge der Islam bzw. Lebensformen, die noch ältere Wurzeln haben.
(Die Blutrache, denkt Kopp.)
The blood feud, yes. (Blood. Feud. Dass er ein Wort von ihr lernen durfte, besänftigte ihn noch ein wenig mehr. (Gleichzeitig ein kleiner Schrecken: Habe ich es laut gesagt?))
Die Blutrache, die Bunker und der Pyramidenskandal. Das ist, was jeder weiß. Und der Kosovo. You see: der ist immer noch Teil des Serbischen Reichs. That's the way, it goes. Tito hat uns auch nicht wegen unserer schönen blauen Augen unterstützt, sondern weil er Albanien über kurz oder lang in Jugoslawien inkorporieren wollte.
Well, sagt Darius Kopp, um zu zeigen, dass er auch… Jugoslawien war ja lange Zeit… (Sag nicht fröhliche Baracke, sag nicht fröhliche Baracke!).
Ja?
Well. Es ist am Ende doch schiefgegangen. Yes, it is. Sie lachen.
We lough, sagt Darius Kopp. Ja, sagt Oda. Weil es traurig ist.
…
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[Datei: vulnus]
Die Vulnerabilität für eine Depression ist durch eine Störung der Stressverarbeitung gekennzeichnet. Vulnerabilität-Stress-Modell
lat. Vulnus = Wunde = Anfälligkeit, Verletzlichkeit genetische bzw. biologische Faktoren psychosoziale und biografische Krisen Hirnareale werden stark beeinflusst und verändert Verminderung des Stoffwechsels im orbitofrontalen Cortex (Emotionen, Entscheidungen), im dorsolateralen präfrontalen Cortex (Erinnerung, Denken, Aktion) und im Thalamus (sensorische Informationen)
Überaktivität der Hypothalamus- Hypophysen- Nebennierenrinden- Achse
Abnorm reaktive Amygdala asthenisches Insuffizienzsyndrom griech. Astheneia : Schwäche, Kraftlosigkeit
Die hochsensible Person (highly sensitive person) reagiert empfindlicher als der Durchschnitt auf äußere Reize. Dies wird mit einer Abweichung in der Funktion der die Sinnesreize verarbeitenden Nervenzentren erklärt. Laut Theorie ist nicht die Reizschwelle niedriger, die Informationen werden aber weniger gefiltert. Das hat manche Vorteile, führt allerdings auch zu früherer Erschöpfung und scheinbar geringerer Belastbarkeit.
(Scheinbar geringerer Belastbarkeit? Was bin ich? Ein Scheinzwerg?)
Kreisförmiges Modell:
Traumen führen zu Depressionen, und Depressive haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, wieder Traumen zu erleben (oder zu konstellieren).
Das Persönlichkeitsmerkmal» vegetative Labilität «in Verbindung mit dem Merkmal» Rigidität «im Persönlichkeitsprofil erhöht das Risiko zu erkranken. lat.
Rigiditas :»Starre, Härte«
Resilienz (v. lat. resilire ›zurückspringen‹ ›abprallen‹, deutsch etwa Widerstandsfähigkeit) ist die reaktive Fähigkeit eines Systems, kraftvolle, wiederkehrende oder schockartige Einwirkungen von außen erfolgreich zu adaptieren. In der Psychologie bezeichnet es jene Eigenschaft, oder, richtiger, Fähigkeit, nach körperlichen oder seelischen Leiden oder dem Durchleben schwerer Lebenskrisen seinen ursprünglichen guten Zustand wiederzuerlangen. (Meinen» ursprünglichen guten Zustand«? Wie reizend Sie sind.)
Coping = Bewältigungsstrategie
Erlernte Hilflosigkeit
Der Hund, die Stromstöße.
Das kann sein oder auch nicht. Wiederholte Erfahrung von Hilflosigkeit kann zu emotionalen, kognitiven und motivationalen Zuständen führen, deren Merkmale die der Depression ähnlich sind.
Siehe auch: Armutsdepression, Altersdepression. Ich bin zwar arm, aber nicht im Geiste, mein Körper ist in einem relativ guten Zustand, dass ich keinen schädlichen Leidenschaften fröne, zeigt bereits seine positiven Auswirkungen. Und dennoch ist es da.
Stress = erhöhter Kortisol-Spiegel = Schädigung des Lernvermögens.
*
Depressionsmodell nach Beck
«Negative kognitive Triade«:
1. Negatives Selbstkonzept;
2. Negative Interpretation der eigenen Erfahrungen mit der Umwelt;
3. Negative Zukunftsperspektive;
Beck geht davon aus, dass einer Depression eine kognitive Störung zugrunde liegt. Die dysfunktionalen Kognitionen Depressiver sind gekennzeichnet durch
willkürliche (negative) Schlussfolgerungen
Generalisierungen
moralisch-absolutistisches Denken, überhöhte Ansprüche an die
eigene Person Formal laufen diese Kognitionen:
unfreiwillig, automatisch und wiederholt ab und scheinen dem
Depressiven plausibel Die Schemata sind:
überdauernde, stabile Muster der selektiven Wahrnehmung,
Kodierung und
Bewertung von Reizen; Die Schemata entstehen durch:
belastende oder traumatische Erfahrungen Zirkuläres Feedbackmodell. Alle negativen Erfahrungen werden so eingebaut, dass das negative Welt- und Selbstbild erhalten bleibt Hauptproblem mit diesem Modell:
Das Ende einer Depression wird nicht erklärt (!), die soziale Umwelt wird nicht berücksichtigt.
*
Wenn depressiven Patienten glückliche Gesichter angeboten werden, werden limbische, subkortikale und extrastriatale Rindengebiete weniger aktiv als bei Kontrollpersonen, nach erfolgreicher Behandlung gleicht sich dies wieder an. (Am J Psychiatry 2007; 164: 599–607)
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