Das Ende war, dass er jaulend aus dem Bett sprang und anfing, an der Heizung herumzudrehen, während eine nie gehörte Schimpftirade aus seinem Mund spritzte, weil der beschissene scheiß Knopf auf 5 stand, der verdammte Heizkörper trotzdem keinerlei Wärme abgab, dann werde ich eben die Drecksheizung in diesem muchtigen Hotelzimmer selber reparieren, wenn es die Wichser nicht hinkriegen, und er drehte so lange an der Entlüftung herum, bis es, begleitet von Zisch- und Knackgeräuschen, aus der Heizung zu tropfen begann — was bis zu ihrer Abreise so bleiben sollte. Sie legten ein dünnes weißes Handtuch unter die tropfende Stelle und hatten fortan nur noch eins, um sich abzutrocknen. Er entschuldigte sich tausendmal bei ihr, aber bei solchen Sachen winkte sie nur ab.
Aus Darius Kopp aber war die Rage nicht mehr herauszubekommen. Einen großen Teil des nächsten bitterkalten Tages versaute er durch ständiges Telefonieren. Er netzwerkte, wie er noch nie in seinem Leben genetzwerkt hatte. Flora stand geduldig 40 Minuten hinter einer überwindigen Ecke und wartete, bis er sich mit allen seinen» wichtigsten Informationsträgern «ausgetauscht hatte. Tatsächlich hatte er am Ende sogar einen Namen in Budapest bekommen:»ein Herr Fekete«. Hilfst du mir, Herrn Fekete anzurufen?
Nein, sagte Flora.
Warum nicht?
Weil es Nonsens ist, was du machst.
Warum ist das Nonsens? Was ist dein Problem? Kannst du mir erklären, was dein Problem ist? Kannst du mir endlich erklären.
Darius Kopp, auf schockgefrorenen Pester Straßen krakeelend.
Bitte, sagte Flora leise. Sprich so nicht mit mir. Beruhige dich und sprich nicht so mit mir und krakeele hier nicht auf der Straße herum. Oder, sagte sie, leise, ruhig, ich werde sofort abreisen.
Und er tat so, als würde er sich beruhigen, nahm ihre Hand, küsste sie, entschuldigte sich, hakte sie bei sich ein. Du hast recht, wir wollten uns die Stadt ansehen.
Pneumonie als Komplikation nach Grippeinfektion.
Dass ich kein Geld für ein Taxi habe, ist offensichtlich, er ruft mir einen Krankentransport.
Krankenhaus, ein Viererzimmer, Infusionen, großer Appetit, ich verschlinge das Krankenhausessen, kann's kaum erwarten, wann es wieder etwas gibt. Tee, Wasser, soviel du willst, man muss nur in den Flur hinaus, es gibt auch eine Cafeteria, aber ich will nichts ausgeben, ich frage nach Zwieback, ich bekomme immer 2 Stück, ich schaue den ganzen Tag und die halbe Nacht fern, euphorisch. Was es alles zu sehen gibt!
Schließlich schlief ich mit schmerzendem Rücken (das Bett! Du kannst es verstellen, soviel du willst) ein. Als ich erwachte, weinte ich.
Hast du schlecht geträumt, Kleines?
Nein, ich habe nichts geträumt, ich erinnere mich an nichts, ich könnte auch jetzt nicht sagen, was ich fühle, ich fühle nichts Konkretes, aber ich kann nicht aufhören zu schluchzen. Meine Bettnachbarn sagen kein Wort, aber die eine, ich habe es gesehen, hat den Schwesternrufknopf gedrückt. Ich gehe sicherheitshalber auf den Flur, ich weiß nicht, wieso ich denke, es wäre gut, wenn ich mehr Möglichkeiten hätte zu fliehen. Im Grunde habe ich hier vor niemandem Angst. Ich gehe zum Teewagen. Dort stehe ich, als sie mich finden: eine Schwester und zwei junge Ärzte, die gerade zufällig in meiner Nähe stehen und sich freuen, dass der eine zur gleichen Zeit Dienst hat wie die andere.
Sie hatten gute Laune, dann sahen sie mich. Was ich denn hätte.
Ich sage, ich hole mir grad einen Tee. Aber warum ich weinte? Ich sage, schluchzend, dass ich es nicht weiß.
Sie begleiten mich ins Zimmer zurück, der männliche Arzt trägt meinen Tee.
Sie reden irgendwas mit der Schwester über mich. Später kommt sie mit einer Pille und noch einem Tee. Beruhigungstee, ich soll lieber den trinken als immer die Pfefferminze.
Ich weine den ganzen Tag, die ganze Nacht und den darauf folgenden Vormittag durch. Da schicken sie eine Psychosomatikerin. So einen Trampel hast du noch nicht gesehen.
Sie kommt nicht, sie bricht herein, wie eine Dampflokomotive, oder eher ein Raupenfahrzeug in voller Fahrt, fährt mich an, ich solle nicht immer sagen, ich wüsste nicht, was ich hätte, ich solle hübsch herausrücken damit. Eine Zimmergenossin hat sofort das Weite gesucht, die andere schickt sie raus. Sie gehen bitte raus! Sie können sie doch nicht einfach so hinausschicken, schluchze ich. Das solle ich ihr überlassen. Ob es mir schon mal so gegangen sei. Nein, sage ich. (Lüge.)
Was passiert sei, bevor ich hierhergekommen sei.
Lungenentzündung.
Und davor?
Nichts.
Fängt an, meine Kindheit ins Spiel zu bringen. Ist die denn meschugge? Jetzt und hier?
Kommt auf einen Sprung vorbei, zehn Minuten, fragt nach meiner Mutter und trifft dann davon ausgehend eine Entscheidung?
Am liebsten würde ich dich aus dem Fenster werfen, dämliche Plantschkuh! Elfter Stock. Aber irgendein Werbelaken ist davor. Und man kann die Fenster hier ohnehin nicht öffnen. In meinem ganzen Leben hab ich noch keinen so gehasst wie die jetzt hier! Wie kann j emand Psychosomatikerin werden, wenn es doch klarer als die Sonne ist, dass sie nicht mal einen Fliegenschiss an Einfühlungsvermögen besitzt? Wieso werden Sie nicht lieber Straßenwalze, Sie großärschige Kuh!
Sie unter himmelstürmendem Gebrüll aus dem Zimmer schubsen, wie ich es vom Sumoringer gesehen habe nachts im Fernsehen, den anderen mit riesigen Ohrfeigen aus dem Ring hinaus, ich sah ihnen kichernd zu, raus mit dir! und dann, pausenlos weiterbrüllend, mein Blut überallhin schmieren in diesem stinkenden Krankenhauszimmer! Bis sie die Tür mit einer Axt eingeschlagen hätten, wäre es für alles zu spät!
Aber natürlich saß ich nur da und schluchzte und sagte gar nichts mehr. Die Fette ließ einen großen Seufzer los, wie jemand, der sehr genervt ist, ging hinaus, kam mit jemandem zurück, sie gaben mir eine Spritze.
Ich schlief/döste noch zwei Tage, am dritten Tag sagte ich, ich ginge jetzt nach Hause. Meine Versicherung ist so, dass sie zum Glück nicht sonderlich interessiert daran waren, dass ich bleibe, aber auch so haben sie noch einen ganzen Tag verplempert, zeigten mich auch noch dem Chefarzt, nicht speziell, sondern im Rahmen der Großvisite. Gefällt es Ihnen nicht bei uns? fragte er scherzend.
Bist du bescheuert, mein Junge? Was denkst du, wo wir hier sind? Ist jemand zu Hause bei Ihnen etc. ?
Nein, aber ich bekomme morgen Kohlen, ich muss da sein, die Kohlen sind alle! Übrigens stimmte das, aber mir fiel es auch erst in dem Moment wieder ein. Die Kohlen! Wobei ich sowieso den Ölradiator benutze, weil mir die Kraft fehlt, die Kohlen hochzuholen. Sie gaben mir Schmerzmittel mit und dass die Beruhigungsspritze insgesamt eine Woche wirkt, und hier ist eine Adresse, ich solle mich bei dieser Psychiaterin nahe meiner Wohnung melden. Gut, sagte ich.
Sie ließen mich auf eigene Verantwortunge gehen. Auf eigene Verantwortung, worauf sonst. Ist ihr Blutdruck immer so niedrig? Ja. Zu Fuß nach Hause. Alles so genau gesehen. Die Fugen zwischen den Pflastersteinen. Alle vier Steine ein großer Nagel. Vermutlich etwas zur Verankerung. Der ganze Müll. Dieser unendliche Müll. Die Scheiße. Ein Kondom. Ein rotes Blütenblatt. Ein schönes, rotes Blütenblatt, woher nur um diese Zeit des Jahres?
2 Tage lang hatte ich noch Angst, sie kommen mich mit Gewalt holen, dann war ich hinreichend gesammelt, dass ich begriff, das macht man nicht einmal mit Gemeingefährlichen immer. Dass ich also frei bin. Hier fiel mir die Sekretärin des Senators wieder ein. Drauf gepfiffen. Ich habe Kohlen hochgeholt, was zu essen gekauft, am nächsten Tag schon zur Uni. Eine Kommilitonin hat mir ihren Junost-Fernseher geschenkt. Schwarzweiß, winzig, mit einer Zimmerantenne. Ich schau und schau hinein.
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