«Wir verstehen schon. Aber in Zukunft können meine Partner und ich nicht mit der Regionalbahn kommen. Und wir haben nichts zu verbergen.«
«In Zukunft«, sagt der Oberst, während sie zum Parkplatz gehen, wo ein russischer Wolga steht, lang und schwarz und feucht glänzend im Licht einer Laterne,»machen wir die Zukunft. Und alles legal.«
Und später, als er in seinem Hotel auf dem Bett liegt, in voller Robe, weiß er nicht genau, wie er die Dinge einordnen soll. Die Rezeption wird ihn um drei Uhr morgens anrufen, wecken, falls er schläft, er ist mit dem Oberst verabredet, sie wollen sich zusammen den Mike-Tyson-Kampf auf Premiere anschauen. Er macht sich nicht allzu viel aus Boxen. Aber darum geht es nicht. Er hat den Graf von Homburg ein paarmal getroffen, das muss fünfundzwanzig Jahre her sein. Hat einen Gin Tonic mit ihm getrunken in der» Ritze«. Wo sich die Welt und die Luden und die Boxer und die Trinker und überhaupt alle trafen. Der Mann war eine Berühmtheit damals. Kein besonders guter Boxer und auch kein Graf, hat sich trotzdem mit der Weltspitze in den Ring gestellt. Davor hatte er Respekt. Dieser Argentinier, wie hieß der nochmal … Oscar Fueventura oder so ähnlich, der vorher schon gegen Ali und Frazier boxte, hat dem Grafen von Homburg das blaue Blut endgültig aus dem Leib geprügelt.
Nein, Prinz von Homburg hieß er. Prinz Wilhelm von Homburg. Eine Art Künstlername. Der ist im Pelz und mit Hut und Zigarre über den Kiez in Hamburg flaniert. Der Graf und der Prinz, aber er war nur ein Zugereister aus München. Viel haben sie nicht geredet. Über München hat er ihn ausgefragt, das weiß er noch. Ob er den und den kennt. Später haben sie ihn drangekriegt wegen Zuhälterei und Drogen und Verstrickungen in organisierte Kriminalität, er hat Geschäfte mit den Engeln in Hamburg gemacht.»Wer Geld machen will, ist immer organisiert. «Er lacht, wieder eine seiner Weisheiten, nimmt sein Zigarettenetui vom Nachttisch, aber das ist leer. Er rollt sich vorsichtig auf die Seite und steht auf. Nach langen Tagen und langen Nächten tut ihm der Rücken manchmal weh. Er hat einen guten Physiotherapeuten in Frankfurt/Main, aber allzu oft schafft er’s nicht zu ihm, obwohl er fast jede Woche nach Frankfurt fährt. Mit dem Audi ist er in vier Stunden dort. Auch wenn die Autobahnen im Osten beschissen sind. Der renkt ihn auch schön wieder ein. Er staunt jedes Mal über dieses Krachen und Knacken seiner Knochen und Gelenke. Wenn er vorher mit dem Bauch auf dem Ball liegt und all diese Übungen macht, kommt er sich richtig bescheuert vor.
Er geht zu seinem Koffer, der noch neben der Tür steht. Zieht seinen Mantel aus und hängt ihn in den Schrank. Sein Schal ist feucht, und er schüttelt ihn, streicht ihn glatt und legt ihn über einen Bügel. Das Hotel ist ganz gut, gleich neben dem Rathaus. Die Stadt kam ihm sehr klein vor, als sie mit dem Wolga erst in ein Restaurant und dann zum Hotel fuhren. Die Sache mit den Fledermäusen geht ihm nicht aus dem Kopf. Was sollte das?
«Und weißt du, was ich vorhin meinte, die Stadt der Humanisten?«
«Henry Maske?«
«Ein Boxfan! Natürlich. Und eigentlich gehört unser guter Henry da mit rein. Im großen Zusammenhang. Aber …«
«Aber?«
«Wie gefällt dir eigentlich mein Wolga?«
«Schönes Auto. Sieht man selten. Gut gepflegt.«
«Nicht wahr? Im Osten habe ich immer von einem Chevrolet geträumt. Keine Chance.«
«Und ich dachte immer, die Stasi wäre die Nummer drei. Nach CIA und KGB.«
«Waren wir, waren wir. Aber ein Chevy im Osten? Selbst Honecker fuhr einen Volvo. Und ich bin nicht Mielke. Aber dieser Wolga … Habe ihn fünfundachtzig direkt aus Moskau geholt. KGB-Ware. Kein Kratzer dran. Sieht einem Chevy durchaus ähnlich. Für mich, und das sage ich dir nicht, weil mir der Kommunismus fehlt, ist der Wolga eins der besten Autos des zwanzigsten Jahrhunderts.«
«Die Zeit der Humanisten.«
Er wühlt in seinem Koffer. Legt die frisch gebügelten und gut gefalteten Hemden aus der Wäscherei auf den Tisch. Er hat eine Röver-Filiale in der Stadt seiner Dependance, mit der ist er mehr als zufrieden. Die alten ostdeutschen Weiber, die dort arbeiten, wissen, wie man Hemden wäscht, bügelt und legt. Und dass sie gut riechen müssen. Nicht zu aufdringlich, nicht nach irgendeinem scheiß Weichspüler oder parfümiert. Einfach frisch. Das ist eine eigene Wissenschaft, man muss sich wohlfühlen in einem glatten, frischen, weichen Hemd. Er hat eine Hemdenkarte für fünfzig Mark. Die haben drei Filialen in der Stadt und weitere Geschäfte in den kleineren Nachbarstädten und in Dresden an der Elbe. Waschen, Bügeln, Nähen, Schlüsseldienst. Machen gutes Geld. Er mag diese Firma. Er kannte einen Mann in Neuss, der hat sein ganzes Geld in einen Wäscheservice gesteckt, als es mit den Weibern nicht mehr so lief und die Konkurrenz in den Schleudergang schaltete. In Düsseldorf. Keine schlechte Idee. Einer der Marktführer mittlerweile.
Er nimmt die zwei Schachteln Davidoff Filter, legt eine wieder in den Koffer zurück, reißt die andere auf. Zieht zwölf Zigaretten aus der Packung, Zigarette für Zigarette, seine Hand ist ruhig, das ist gut, das sieht er gern, und schiebt sie hinter das Gummiband seines Lederetuis. Zigarette für Zigarette. Als er wieder zum Bett gehen will, er braucht Ruhe und Zeit zum Nachdenken, sieht er seinen kleinen Weltempfänger zwischen seiner Waschtasche und dem Stapel mit Unterhosen und Unterhemden. Er beugt sich wieder über den Koffer, und dann liegt er auf dem Bett, das Etui neben dem Kissen, der Weltempfänger auf dem Nachttisch, und dann muss er nochmal aufstehen, weil sein Feuerzeug noch in der Manteltasche steckt. Schaut er auch gleich in die Minibar. Der Whisky bei Mondauge ist längst verdampft, und in diesem italienischen Restaurant hat er nur einen Campari vor dem Essen und ein Glas Chianti zum Essen getrunken. Und das ist auch verdampft inzwischen, bei den Fledermäusen.
Auf Bier hat er keinen Appetit. Auch wenn’s gutes Holsten ist. Bei DAB, der Dortmunder Aktienbrauerei, die anfangs den ganzen Osten überschwemmt und übernommen hat mit ihren Aktien, hätte er vielleicht eins getrunken. Wegen der Heimat. Die ja eigentlich gar nicht seine richtige Heimat ist. Kalter Chianti muss auch nicht sein. Obwohl, schlechter als der beim Italiener kann der auch nicht sein. Jim Beam? Nee. Geht gar nicht. Jägermeister? Hasst er, seit er siebzehn ist. Zu süß. Obwohl da irgendwelche Kräuter drin sein sollen, die aggressiv machen. Bei Dauerkonsum. Goldkrone. Na, wenn das nichts ist. Hatte er anfangs ganz schön zu kämpfen in der Stadt im Osten.»Wie wär’s mit einem Cognac?«, hat ihn allen Ernstes ab und zu, und ziemlich oft sogar, jemand gefragt und dann diese Granate auf den Tisch gestellt. Aber mittlerweile schmeckt’s ihm ganz gut. Ist zumindest nicht zu scharf. Zweiunddreißig Umdrehungen. Gut zum Nachdenken. Auch über die Fledermäuse. Er hockt im Licht des Kühlschranks, schraubt die beiden 4-cl-Fläschchen auf und gießt den Schnaps in ein Glas. Schließt den Kühlschrank, geht zum Bett.
Er raucht, der Aschenbecher steht auf seiner Brust und bewegt sich, wenn er tief einatmet oder den Rauch ausstößt. Schimanski hat die ganze Zeit die Schnauze gehalten, während sie gegessen haben, Tomatensoße im Schnurrbart. Der Oberst hat Pizza bestellt, ohne ihn zu fragen. Drei verschiedene Pizzen. Meeresfrüchte. Quattro Formaggi. Salami. Eine Flasche Chianti, eine Flasche San Pellegrino. Und ein Glas Cola für sich. Schimanski nimmt ein Glas Fanta.
Er isst ganz gerne Pizza, aber hätte lieber eine Pasta genommen, obwohl er sich nicht sicher ist, ob die die in diesem Laden gut hinkriegen. In seiner Dependance im Osten gibt es jetzt ein, zwei ganz gute Italiener. Bei dem einen sollen die Paten mit drinstecken, aber das erzählt man sich über jede Ittaker-Bude. Geldwäsche. Aber deswegen macht man kein Restaurant auf am anderen Ende der Welt. Und weil die Paten scharf auf ostdeutsche Immobilien sind. Wären sie schön baden gegangen im ostdeutschen Meer, als der gewaltige Furz seine Wellen schlug. Die sitzen faul und bequem in München und im Ruhrpott, das weiß er. Und vielleicht in Berlin. Wo Geld zu machen und zu waschen ist, investieren die Pizzas gerne. Quattro Formaggi. Aber das tangiert seine Geschäfte nicht.
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