«Und wir, also der nimmermüde Strom der Freier, zahlt für das dritte S.«
«Sexus. Ich will nur zeigen, wie sich das Geld verteilt, ich biete auch bestimmte Rücklagen an, falls da ein Wunsch besteht, und wir dürfen ja nicht vergessen, lieber Ecki, dass die Objekte arbeitsbereit an meine Mieterinnen übergeben werden. Ich bin immer für die Mädels da, meine Firma ist sauber. Rufen Sie bei den Bullen an, meine Firma ist sauber.«
«Dieser Mensch, wie Sie ihn nennen, der Verfasser dieser Anklage, behauptet, die Polizei würde die Zwangsprostitution in Ihren Objekten decken, das …«
«… ist absurd, wollten Sie hoffentlich fortführen.«
«So etwas in der Art. Ich meine, wir sind doch nicht in einer Bananenrepublik.«
«Sie sagen es, mein lieber Ecki. Ich bewege mich voll und ganz in den Bahnen unseres kapitalistischen Rechtsstaates. Früher versuchten sie uns beizubringen, dass das unvereinbar sei.«
«Lange her, die Internationale erkämpft das Menschenrecht .«
«Lange her, Ecki. Diese Welt muss unser sein, nicht der mächtgen Geier Fraß . Natürlich gibt es den Menschenhandel, die Zwangsprostitution undsoweiter. Ein Auswuchs des Systems. Den wir hier in unserer Stadt nie haben wollten, von dem wir nicht profitieren wollten. Keine soziale Marktwirtschaft. Sklavenhalter. Und letztlich, lieber Ecki, sind wir alle irgendwo Sklaven des Systems.«
«Und Sie könnten also garantieren, dass in Ihren Objekten keine Zwangsprostituierten arbeiten, dass es keine Hintergrundorganisation gibt, von der Sie vielleicht nichts wissen …«
«Ja. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass ich mich in jenem Jahr, als die Schüsse fielen, für eine Dame einsetzte. Marschall Titos Leute betrachteten sie als ihr Eigentum. Lange her. Jede der Frauen, die in meinen Objekten arbeiten, hat ihre eigene Geschichte. Ich besitze nach all den Jahren ein gewisses Menschenverständnis. Ich erkenne, wenn etwas faul ist. Und rein pragmatisch gesprochen: Wozu soll ich mir Probleme in meine Objekte holen, wenn eine einfache Zeitungsannonce reicht, ich habe keinen Mangel an Mieterinnen, freiwilligen mündigen Mieterinnen. Natürlich wird es die ein oder andere geben, wo eine gewisse materielle Not eine Rolle spielt. Schulden. Eine große Familie. Keine Lust auf Hartz IV. Wenn Sie das Zwang nennen, lieber Ecki, dann bin ich schuldig. Dann sind wir alle schuldig. In allen Teilen unserer Gesellschaft. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte. Das, mein lieber Ecki, müssen die Leute lernen, tolerieren, und nicht alles über einen Kamm aus Blei scheren.«
«Kamm aus Blei?«
«Nur so eine Redensart.«
«Sie sprachen eben über die Schüsse in der Vergangenheit, Mister Orpheus. Aber vor allem in den letzten Monaten waren wir alle sehr besorgt. Fremdinvestoren drohten mit feindlichen Übernahmen. Die Engel kamen in die Stadt … Wie ist die Situation jetzt?«
«Sie ist stabil. Sie werden verstehen, dass ich zur aktuellen Lage nichts Konkreteres sagen kann.«
«Mister Orpheus, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch und habe nur noch eine letzte Frage …«
«Ja?«
Ein Strom aus Licht, ein Strom aus Stimmen, Gesichter, Frauen, silbernes Lächeln, Haare aus Kupfer, Drähte, Leitplatten, Straßen … Bin ich immer noch on-line? Ecki? Hallo? Sind Sie noch da. Dreh dich nicht um und sieh nie in den Spiegel. Hallo? Hallo. Es ist kalt.
Er schiebt den Pappteller mit dem halbgegessenen Käsebrötchen zur Seite, wischt die Finger mit der Serviette ab, die er zusammenknüllt und neben das Brötchen legt. Er zieht den Mantelkragen hoch, rückt seinen Schal zurecht. Kalt für November. Er wirft den halbleeren Kaffeebecher in den Papierkorb neben dem Stehtisch, lässt den Pappteller aber stehen, nimmt seinen Lederkoffer, steckt die Zeitung in die Manteltasche und geht durch die Halle zu den Bahnsteigen. Erst muss er suchen; der Tunnel links. Sein Atem dampft. Eine junge Frau versucht, einen Kinderwagen die Treppe hochzuziehen. Klack. Klack. Stufe für Stufe.»Warten Sie …«
«Danke. Der Fahrstuhl ist kaputt.«
Er greift mit einer Hand nach der Stange zwischen den Rädern. Das Kind im Wagen kann er nicht sehen, dick eingepackt und versteckt zwischen Decken und Kissen. Als sie oben am Bahnsteig sind, fängt es an zu weinen. Die Frau bedankt sich nochmal, und er sagt:»Keine Ursache. «Er überlegt, wo sie herkommen könnte. Nach Osten klang sie nicht. Eher Hannoveraner Ecke. Der Zug ist noch nicht da, und er nimmt sein Zigarettenetui aus der Innentasche. Er muss seinen Mantel aufknöpfen und spürt den Herbstwind kalt am Hals und auf der Brust. Er hat Davidoff Filter in seinem Lederetui, die sehen am elegantesten aus. Lang und weiß und mit einer kleinen goldenen Banderole vorm langen weißen Filter. Und bei dieser Reise zählt der Eindruck, wie meistens, und er hat oft genug drüber nachgedacht. Er zieht einen Handschuh aus zum Rauchen. Sein silbernes Feuerzeug liegt kühl in seiner Hand. Vor zwanzig Jahren hätte er einen Hut aufgesetzt. Borsalino oder irgendwas Nobles in der Richtung. Heute trägt kein Mensch mehr Hut, schon gar nicht in der Branche, und schon gar nicht im Osten.
Er hat immer wieder überlegt, ob er nicht doch mit dem Auto anreisen soll. Aber sein Nummernschild wäre aufgefallen, egal ob er den Bielefelder Benz nimmt oder den Audi aus der Stadt. Und am Telefon haben sie ihm nahegelegt, die Dinge erstmal langsam anzugehen, sie hätten sowieso einen Fahrer, der Oberst kann für alles garantieren, aber die Grenze ist nah undsoweiter. Und er hat seinen Wagen, den Audi, bei einem Freund in Neukölln abgestellt. Mit dem Taxi zum Ostbahnhof, der jetzt Hauptbahnhof heißt. Er hatte kurz überlegt, ob er sich gleich zur Grenzstadt fahren lässt. Aber manchmal ist es gut, sich den Dingen langsam zu nähern. Er war eine Weile nicht in Berlin gewesen, das letzte Mal neunzehnhundertachtundachtzig, vor acht Jahren, und da hat keiner geglaubt, dass ein Jahr später das Land hinter der Mauer zusammenbrechen wird, so schnell und plötzlich wie eine Spielzeugburg. Die Stadt ist anders, fühlt sich anders an als damals. Aber er hat Berlin nie gemocht.»Wie gehen die Geschäfte?«, hat er seinen Bekannten gefragt.
«Ach, weißt du, die Zeiten sind nicht einfach. Die Russen, die Jugos, die Libanesen. Wo soll man da Platz haben? Die alten Deals gelten nicht mehr. Aber man schlägt sich durch.«
«Das ist er, das ist er. Immer noch.«
«Und du? Aufbau Ost hab ich gehört?«
«Auch. Du kennst mich doch.«
«Komm, darauf nehmen wir einen.«
«Whisky am Mittag. Ist doch noch alles beim Alten. «Und da saßen sie in dem dunklen Laden in Charlottenburg und tranken Johnnie Walker Black Label und redeten über die alten Zeiten, die mit jedem Whisky besser wurden und sie selbst jünger, während die Putzfrau hinter ihnen die Spuren der Nacht wegwischte.
Er beobachtet die Frau mit dem Kinderwagen, die einige Meter von ihm entfernt steht und ebenfalls raucht. Das gefällt ihm nicht. Mütter sollten nicht rauchen. Da ist er altmodisch oder neumodisch, wie man’s nimmt. Aber wer weiß, vielleicht raucht sie nur zwei, drei Zigaretten am Tag, weil sie’s nicht ganz schafft aufzuhören, das wäre o.k. Die Ostweiber qualmen wie die Schlote, mehr als die von drüben, also aus seiner Heimat. Denkt er manchmal. Kommt ihm so vor. Kann er sich aber auch täuschen. Denn gequalmt haben sie früher doch alle in der alten Republik; Politiker, Huren, Schauspieler, Hausfrauen. Einmal, gar nicht so lange her, hat er einer Hure, die im sechsten oder siebten Monat war, die Kippe aus der Hand geschlagen. Also einer Ex-Hure. Bei ihm hat sie nicht mehr gearbeitet. Nur bis zum vierten. Obwohl die Kunden auf sowas stehen. Wenn da eine Schwangere arbeitet, sowas spricht sich rum. Da kommen die Kunden und wollen alle drauf. Den hohen Leib bespritzen. Aber nicht bei ihm. Sie hat aber weitergeackert, hat er später erfahren. Also nichts mit Ex. Erst auf eigene Rechnung und dann woanders. Schwanger und geil . Er hat ihr ein-, zweimal die flache Hand durchs Gesicht gezogen. Wegen der Kippe. Wegen dem Kind. Das andere ging ihn nichts an. Aber sitzt in seiner Lounge, weil sie noch Papiere bei ihm hat oder irgendeine Schlamperei am Laufen, für die sie Stempel und Unterschrift und sonstwas braucht, und qualmt eine nach der anderen, mit einem Bauch bis zum Kinn. Blöde Kuh.
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