«Ich bemühe mich, Mister Orpheus.«
«Die französische Variante wäre Orphée.«
«Wie …?«
«Nein. Vergessen Sie’s. Mein lieber Ecki, Sie haben recht: Wir wollen transparent sein. Transparenz ist mir in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Sie haben mich als einen angesehenen Bürger vorgestellt. Tatsächlich liegen die Dinge aber etwas anders. Was weiß die Öffentlichkeit von mir? Ganz sicher weiß sie nicht, dass ich nicht unerhebliche Summen an verschiedene Organisationen spende, auch an die Hurenorganisation Hydra, aber ich will das auch weiterhin nicht an die große Glocke hängen …«
«Wahrscheinlich würden die wohlfeilen Bürger sagen: Er will sein Gewissen beruhigen.«
«Gewissen? Eine Dame hat es vorhin sehr schön ausgedrückt: Wir versuchen, fair zu sein. Und wir sind es. Geben und nehmen. Was die absurde Behauptung betrifft, einige der Frauen in meinen Objekten würden fünfzehn, sechzehn Stunden am Stück arbeiten, kann jeder auf den Sedcards sehen, dass das natürlich nicht so ist. In den meisten Objekten arbeiten mindestens zwei Damen, die ihre Arbeitszeiten, und das sind selten mehr als neun Stunden, miteinander abstimmen. Und spazieren gehen, Pause machen, mal was einkaufen, ich bin Vermieter, Ecki, kein Schließer. Fragen Sie ruhig weiter, Ecki, wenn Sie dahingehend Fragen haben.«
«Meine Lieben, ihr hört ›Eckis Edelkirsch‹, die Sendung für die Freunde und Gäste der Huren. Mir liegen wie immer die Kalauer auf der Zunge, aber hier geht es um ernste Dinge. Also, lieber Mister Orpheus, der Verfasser dieser …, ich sage jetzt mal ›Anklageschriften‹ … spricht beziehungsweise schreibt von Zwangsprostituierten in Ihren Objekten, spricht beziehungsweise schreibt von Zwängen, von Ausbeutung, von Organisationen im Hintergrund, ungarischen Zuhältern, Bündnissen, die Sie, Mister Orpheus, mit den Behörden, sprich den Ämtern und der Polizei, hätten. Schreibt weiterhin von mit Druck erzwungenen Vorgaben, was die Dienstleistungen der Frauen betrifft, er bezieht sich damit auf die ungarischen Sexarbeiterinnen, die ich in meinen letzten Sendungen zugegebenermaßen ironisch und werbewirksam Puszta-Pussies nannte, was aber ganz und gar nicht respektlos klingen sollte, sondern nur der Sicht der hungrigen, aber durchaus respektvollen Sicht der Gäste Rechnung tragen sollte …«
«Ecki, Ecki, Sie verstricken sich. Sie müssen sich nicht rechtfertigen für Ihre Wortwahl. Die ich zugegebenermaßen manchmal auch für recht drastisch halte …«
«Sie sind also ein treuer Hörer meiner kleinen Sendung?«
«So würde ich das jetzt nicht ausdrücken. Aber worüber reden wir? Natürlich kenne ich die Dinge, natürlich versuche ich zu verstehen, wie ticken die Gäste. Am schlimmsten sind doch die, die alles in sich behalten, die ihre Lust und ihren Sex nicht ausdrücken können. Dann lachen wir doch lieber gemeinsam über Puszta-Pussies, über blonde Duschen, über die Umwege des Sex-Alphabets, über die kleinen und großen Sünden, und was heißt schon Sünden? Ihr könnt Gas geben, wenn ihr den Respekt nicht verliert. Nun, lieber Ecki, das ist bei deiner kleinen Sendung manchmal hart an der Grenze. Aber wenn ihr kommt und euch respektvoll auslebt, dann kommt. Und dann sprecht, wie ihr sprecht. Nicht einmal habe ich das Wort ›Nutte‹ bei dir vernommen. Denn das ist das.«
«Das ist das.«
«Ja, Ecki. Du kennst doch unsere Sedcards, unsere Annoncen. Wenn wir euch Gäste geil machen, haben wir doch alles richtig gemacht. Ihr bewegt euch in der Scheinwelt, die wir euch schaffen. Glaubt weiter. Und duscht vorher. Die Damen werden sachlich sein und gleichzeitig den Schein wahren.«
«Einen Applaus wollen wir hören, weit über die Dächer der Stadt, einen dröhnenden Applaus für unseren geschätzten Mister Orpheus, für unsere geschätzten Damen, denen unsere Geilheit gilt, die wir mehr schätzen als unsere eigenen Frauen, nun ja, mal so, mal so, einen Applaus, der das Dröhnen der Flugzeuge übertönt, die tief fliegen über die Randbezirke, Ladies und Gentlemen, live aus Eden City …«
«Ecki, der Entertainer. Ich glaube, Sie haben den Faden verloren.«
«Zurück auf Los. Die Vorwürfe dieses Menschen. Sie haben das Wort, Mister Orpheus. Wir haben Zeit, Jahrhunderte Zeit.«
«Was soll ich weiter groß dazu sagen? Bündnisse mit der Polizei, mit den Behörden? Jede der Damen, die in meinen Objekten arbeiten, ist angemeldet, jede meiner Wohnungen ist den Behörden bekannt. Ich zahle meine Steuern, die Damen zahlen ihre Steuern, das ist der einzige Pakt. Und was den großen selbstgerechten Chefankläger betrifft, der aus dem Schatten des Netzes auf mich schießt …, aber lassen wir das …, denn ein Verfahren wegen Verleumdung und übler Nachrede läuft bereits gegen ihn.«
«Eine anonyme Anruferin teilte mir vor der Sendung mit, dass er sich wohl in eine der Frauen, die in Ihren Objekten gearbeitet hat, verliebt hätte …«
«Ich möchte das hier weder bestätigen noch dementieren. Fakt ist, es kommt hin und wieder vor, dass sich ein Gast in eine Sexdienstleisterin verliebt und den Drang verspürt, sie rauszuholen, auch wenn die betreffende Dame sich möglicherweise gar nicht als Opfer fühlt, sondern aus freien Stücken ihrer Arbeit nachgeht. Das kann dann bis zum Stalking führen. Von vielen meiner Mieterinnen, vor allem denen aus dem osteuropäischen Ausland, weiß ich, dass sie ihr Geld in Geschäfte oder Immobilien gesteckt haben, meistens in ihrer Heimat. Ich könnte ihnen genügend Beispiele für Damen aus Ungarn, Tschechien oder Russland geben, die längst nicht mehr als Sexdienstleisterinnen arbeiten, die nach einigen Jahren wieder zurück in ihre Länder gegangen sind.«
«Ja. Wir vermissen sie.«
«Was die große ominöse Vermittlungsorganisation betrifft, die die Mädchen angeblich hierherschleust, kann ich nur sagen, dass meine Geschäftsmaxime ist: von frei zu frei.«
«Und können Sie ausschließen, dass es da jemanden, wie immer man das nennen will, Organisation, Zuhälterring oder wie auch immer, gibt, dass so etwas im Hintergrund existiert?«
«Sie nennen mich doch Herr Orpheus.«
«Mister Orpheus.«
«Und wir beide wissen doch genau, warum.«
«Hm. Alle wissen das.«
«Nein. Wissen tut keiner etwas von euch. Ihr speist euch aus Legenden. Damals habe ich mich in eine Organisation hineinbewegt. Frontal. Es ging um ein bulgarisches Mädchen. Die in Ruhe bei mir arbeiten wollte. Den Jungs von Marschall Tito hat das nicht gefallen.«
«Marschall Tito?«
«Lieber Ecki, habe ich da gerade ein Feuerzeug klicken gehört?«
«Das haben Sie.«
«Filter?«
«Ja.«
«Brandbeschleuniger.«
«Wie …?«
«Im Zigarettenpapier befinden sich Brandbeschleuniger. Es gibt deklarierte Zigaretten, müsste es mittlerweile überall geben, früher bekam man die nur in Tabakläden, die sind ohne Brandbeschleuniger. Ich würde Ihnen von den Brandbeschleunigern abraten.«
«Rauchen Sie?«
«Habe es aufgegeben, mein lieber Ecki. Und deswegen schmerzt mir heute das Bein, wenn das Wetter umschwingt.«
«Beide Beine?«
«So sagen die Legenden. Und seitdem bin ich allergisch gegen Organisationen, die meinen Mieterinnen Druck machen. Ich brauche keine Brandbeschleuniger. Aber wenn es sein muss, neige ich den Kopf und bin frontal.«
«Verstehe.«
«Natürlich ist Transparenz wichtig. Aber alle Geschäfte tätigt man nicht im grellen Licht. Wir sind, wer wir sind.«
«Und wer sind Sie?«
RÄUSPER RÄUSPER.
«Was sagt die Sendezeit?«
«Wir machen modernes Theater, Mister Orpheus, wir haben die ganze Nacht Zeit.«
«Stellen Sie mir noch einige konkrete Fragen.«
«Mieten.«
«Das ist keine Frage. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie werden verstehen, dass ich Ihnen hierauf nicht konkret antworten kann, aber was den Umsatz und die Gewinne betrifft, liegt bei mir alles offen. Dieser Mensch, gegen den bereits mehrere Verfahren laufen, hat in seinem Pamphlet einige Zahlen genannt. Ich könnte im Gegenzug Ihnen und Ihren Hörern natürlich einige grobe Pi-mal-Daumen-Zahlen nennen, aber Sie werden verstehen, dass ich da nicht ins Detail gehen kann. Der Mietpreis, den die Damen für ihre jeweiligen Objekte entrichten, setzt sich schließlich aus mehreren Faktoren zusammen. Die Zeitungsannonce zum Beispiel kostet mehr als dreißig Euro pro Tag, dazu kommt die Internetwerbung, dazu ein Anteil an der Grundmiete, dann die Tagessteuerpauschale, dazu kommen anteilige Personalkosten, und das ist noch nicht alles, meine Mieterinnen wissen genau, für was sie zahlen, Sicherheit, Sauberkeit …«
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