Der Behaarte fragt mich manchmal, ob ich ihn nicht auch privat besuchen könnte, also natürlich wäre er da auch entsprechend spendabel. Er hätte ein Haus, eine Villa, am Stadtrand. Na klar, und bestimmt gibt’s da auch einen Keller. Er ist paarmal mit Beatriz aufs Zimmer, und die hat erzählt, dass er ein Switcher ist. Hat ich noch nie gehört. Dass er von ihr mit ’nem Dildo hart gestoßen werden will und dass er aber auch gerne ihren Po stößt und sie beschimpft dabei. Irre. Da wird mir kalt.
Nicht das Geringste habe ich dir gestohlen! Was? Nein, nichts, es geht Richtung Feierabend. Manchmal denke ich, hier spukt’s. Spuk unterm Rotlichtbogen. Wie hieß dieser Film, dieser DDR-Kinderfilm gleich nochmal? Spuk unterm Riesenrad? Spuk im Hochhaus? Oder warn das zwei Filme, zwei verschiedene Filme? Ich habe die später, also nach der Wende, im Fernsehen gesehen, auf dem Zonensender bringen sie ja immer diese alten Dinger, aber sehr schön, nein, wirklich. Da habe ich Vater verstanden. Dass der so …, traurig wär da jetzt das falsche Wort …, nach der Wende, als die Wende kam. War ich noch sehr klein. Bald ist Weihnachten. Lichterbögen in den Fenstern. Quatsch, was erzählst du, Mädchen, noch über ’n Vierteljahr. Manchmal denke ich, hier spukt’s. Wie in einem großen alten Schloss. So wie die Kollegin B. immer von diesem Studio erzählt hat, hab ich mir das immer als Schloss vorgestellt. Zumindest wie ’ne große alte Villa. Wo die dieses Mädchen, diese Frau, diese Sub, fast tot gemacht haben. Die sie da als Zofe ausgebildet und in den Schrank gehängt haben. Mit Nadeln gespickt. Und lauter so Sachen. Und irgendwie ist das dann wohl außer Kontrolle geraten. In diesem Film konnte der eine mit dem Kopf durch die Wand, und einmal kam er aus dem Abfluss vom Waschbecken, und da haben ihm die Kinder immer wieder eins mit der Bratpfanne übergebraten. Das war sowas wie ein Geist, der mit seiner Frau, die auch Geist natürlich, gute Taten vollbringen müssen in diesem DDR-Hochhaus, weil sie vor hundert Jahren oder länger einen Polizisten umgebracht haben, der ihnen auf die Schliche gekommen ist, weil sie Räuber waren. Hatten eine Schenke und haben dort die Gäste ausgeraubt und auch gleich totgemacht. Und haben sie die nicht auch in den Schrank gehängt erst, aber vielleicht kommt da jetzt was durcheinander bei mir. Im Kopf im Kopf. Da klopft’s. Nee, natürlich nicht.
Und dann könnte ich mir ja eine Wohnung mit der Steffi teilen, wenn ich jetzt so drüber nachdenke. Er ist fertig. Liegt neben mir. Ruh dich nur aus, hast dich ganz schön abgerackert.
Und dann könnten wir auch mal ins Kino gehen, nach Feierabend, gemeinsam. Was war das nur für ein Film, den wir mit den Mädels damals gesehen haben zusammen? Die meisten sind weitergezogen inzwischen. Manchmal kommen sie wieder, und dann gibt’s ’n Hallo, du wieder! Ist schon ein Kommen und Gehen. Das fahrende Volk. Aber ich hab irgendwie meinen Platz gefunden hier. Sitze an der Bar, lasse mich treiben im Strom der Musik, der Lichter, der Stimmen, die Tür öffnet sich, Gäste, Kundschaft, Gäste, Hans musste vor kurzem eine neue Lüftung einbauen, wegen der Rauchergesetze, das ist schon deutlich besser, und ich habe mir echt vorgenommen, mal ganz aufzuhören, aber noch bin ich jung und kann das alles ab. Der Rauch und die Nacht und der Sekt, das zehrt auf Dauer. Muss mir keiner was erzählen. Aber ich mag die Nacht.
Ja. Man ist irgendwie auf der anderen Seite. Auch wenn das komisch klingt jetzt. Was Besonderes. Nachtarbeiter. Wir sind mit der Stille verbündet. Ich denke manchmal, dass wir alle Schlafwandler sind. Auch wenn’s hier immer und oft hoch hergeht.
Halt das Kondom nur schön fest, das war ein Fest, was? warte, ich nehm’s sofort in die Küchenrolle.
Hans wollte, dass ich mich Mandy nenne. Fand ich erst blöd, aber hab mich dran gewöhnt. Wie die Mandy, sagte er anfangs manchmal. Relativ oft. Weil da vor Jahren schon mal eine Mandy in seinem Club gearbeitet hat. Ich glaub, dass er in die verliebt war. Jedenfalls stell ich mir das manchmal vor. Und denke dann, dass ich auch wieder gerne verliebt wäre. Dass dann vielleicht alles anders werden würde. Mit Sex und Spaß und Rock ’n’ Roll. Aber ich glaube, das ist durch. Obwohl ich ja noch jung bin. Dort, wo ich herkomme, da gibt’s den Max, der war bis letztes Jahr Jungfrau. Mit Ende zwanzig, muss man sich mal vorstellen. Obwohl, ich kann’s. Also mir das vorstellen. Und jetzt hat der geheiratet. War seitdem nicht mehr da. Und als ich da war, und kurz auf seine Hochzeit, da habe ich Mutter auch nicht gesehen. Weil sie’s nicht wollte. Alles geht irgendwie immer weiter.
Leicht verdientes Geld, sage ich mir oft. Der Typ sitzt auf der Bettkante und zieht sich an. Sein Rücken ist feucht. Wer verdient schon hundertzwanzig in der Stunde. Zehn Minuten auf der Uhr. Jetzt redet er. Sagt, er heißt Holger. Bietet mir eine Zigarette an. Danke. Er gibt mir Feuer, und ich reiche ihm sein halbvolles Glas Gin Tonic. Er trinkt und raucht und erzählt so dies und das.
Während ich kurz abschalte und in mir versinke und Kraft sammele, kleine Fünfzehn …, und so ein hübsches Mädchen wie du … Ach, nee. Hör auf bitte. Fang jetzt bloß nicht an, dass ich das nicht nötig hätte. Ich mach’s nämlich, weil ich will, verstehst du?
Und unten an der Bar und oben auf dem Zimmer, Bar, Zimmer, die größten Hits der 80er , Hans, dieses supergute Gel ist alle! Rotkäppchen, nein, Großmutter …, vor kurzem ist Maike hier aufgetaucht, Hans, ich glaube, das Bett ist mal wieder hinüber , hat dann paar Wochen hier gearbeitet. Letztens waren Engländer hier und die Japaner. Ich glaub, mein Englisch ist noch ganz gut. Ist eine Freundin von Olaf, die Maike. Oder war’s jedenfalls. Bin ich aber schon längst drüber weg. Im Prinzip. So lange her schon. Die Maike ist schon in Ordnung. Hat mir damals im» Deluxe «alles gezeigt, alles erklärt.
Und wieder wird es Morgen. Und wieder wird es Morgen. Und später, im warmen Wasser des Schwimmbeckens drehe ich mich auf den Rücken, liege einfach, ohne zu sinken, treibe und fühle eine große Ruhe in mir, als ich durch das gewölbte Glasdach in den bewölkten, trüben Himmel blicke. Der dann blau wird, in dem ich mich spiegele und sehe, wie ich da treibe und liege. Wie gut sich das anfühlt.
Der Flic, le Bulle, der Hauptmann, der ewige Greifer, der Schnüffler, der alte Cop liegt im Herzen der Meere, als sie draußen vor der großen Stadt die Moore ausräumen, trockenlegen und urban machen (wie einst die Bauern das Land urbar machten, seine Großväter den Boden, die harten Erden einst noch mit Hilfe von Sprengstoffen lockerten), neues Bauland erschaffen, weil dort die Stadt hindrängt, die Vorstädte expandieren, Waben von Einfamilienhäusern, Siedlungen, durchbrochen von den flachen Quadern der Großmärkte, Supermärkte, Baumärkte, er erinnert sich, während er langsam aus diesem Traum auftaucht, den er immer träumt, von einer unendlichen Fläche Wasser, kein Schiff, kein Land, nur hin und wieder ein Fisch, ein Wal, etwas Großes zumindest, das aus der Tiefe kommt, diesem Blau , diesem Schwarz , er erinnert sich und spürt das Kribbeln seiner eingeschlafenen Hände.
Als sie die Körper finden, im Boden, im Moor, wälzt er sich von der großen dicken Frau, mit der er sich abquält, als wollte er sich selbst quälen, denn für sie scheint das alles keine Qual zu sein, aber was weiß man schon, sie versteckt sich ja inmitten ihres ungeheuren Fleisches. Er taucht auf, aus den Tiefen, Tausende Meter.
Bluthochdruck. Stechen im Kopf. Er spürt seine Gefäße und sein Hirn hinter den Glaskörpern seiner Augen, ein Druck, hinter der Aderhaut, hinter der Netzhaut, wo sich alles spiegelt, wo der blinde Fleck sitzt. Punkte, Striche, Ellipsen flimmern vor ihm durch den Raum. Er muss eine Tablette nehmen. Kommt sicher von dem Sekt.
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