Und dann ist man wohl immer alleine. Ich meine, wenn keine Gäste da sind. Und wie viel Gäste da wohl kommen müssen, damit man bisschen Geld weglegen kann, schon richtig was bei rauskommt, wenn das so hundert Miete kostet am Tag, wenn man eine Wohnung beim Alten mietet, hab ich gehört …, aber o.k., da ist wohl dann alles mit drin, und kann alles in mein eigenes Portemonnaie tun, und die Gäste wären nicht so oft besoffen oder angetrunken …, die Steffi war schon clever, ja, das war sie, und sie wird sich schon was bei gedacht haben, als sie hier raus ist und in ’ne Wohnung rein ist. Hat der Hans nicht gerne gesehen, dass sie wegwollte, weil sie gut mit ihm auskam, mehr als gut, wenn du verstehst, wie das Bett wieder mal knarrt heute, als ich mich immer schneller immer schneller auf ihm bewege, ihn abreite, obwohl, mal bisschen langsam, sind noch zwanzig Minuten, und nicht, dass er dann nochmal will oder kann, wobei ich mir das bald nicht vorstellen kann, weil er ja nun auch keine zwanzig mehr ist, ich mache mir nichts aus …, hörst du! , und eigentlich bin ich doch gerne allein, oft allein, aber wenn ich auf Arbeit noch die meiste Zeit allein wäre … Und da spritzt er. Ich spüre ihn pumpen, spüre seinen Schweiß. Und da beugt er sich zu mir rüber, legt seine Hand kurz auf meine, die neben dem Ascher auf dem Tresen liegt, und dann gibt er einen aus. Hey, Rotkäppchen. Danke.
Und ich möchte gerne mal wieder am Tag arbeiten. Abends nach Feierabend dann in der Bahn sitzen und mit den anderen Feierabendfahrern nach Hause …, früh schweigen wir, abends reden wir und tuscheln wir, weil wir uns auf zu Hause freuen, die ganze Straßenbahn freut sich auf zu Hause, Feierabend. Und dann könnte ich auch mal abends wieder weggehen, könnte vielleicht mal wieder ins Kino gehen, ein paar Freundinnen besuchen, aber wenn ich so drüber nachdenke, die meisten sind weg aus der Stadt, und die anderen wohnen in meiner Heimatstadt, das ist nämlich nicht hier, und die Mädels von Arbeit …, na ja, die will ich nun nicht ständig sehen, obwohl wir früher manchmal schon was zusammen gemacht haben, aber die meisten hingen dann bloß im Star-Club ab.
Dort um die Ecke, wo Steffi in der Wohnung arbeitet, ist immer der Rummel. Ich war noch nie bei ihr, also bei ihr auf der Arbeit, aber ich weiß ungefähr, wo das ist. Wir sind da als Kinder immer hin. Ich, meine Mutti und meine Schwester. Und in der Geisterbahn, wie wir da gekreischt haben manchmal. Wir waren immer ganz wild auf den Rummel und vor allem auf die Geisterbahn. Obwohl die eigentlich nicht wirklich gruselig war. Und da gab’s auch so eine kleine Eisenbahn, die haben so zwei alte Leutchen betrieben, sie hat die Fahrkarten verkauft, und er war der Schaffner, und links und rechts waren lauter Holzfiguren und Gebäude, Ritter und Zauberer und Schlösser und Hexenhütten, ein kleines Märchenland, Runde um Runde sind wir da durchgerattert, und manchmal kam’s uns vor wie Stunden und länger noch, und da könnt ich mit Steffi doch mal hingehen, also nicht unbedingt in die Eisenbahn, sowas gibt’s da bestimmt auch nicht mehr, aber Achterbahn und richtig schnelle Karussells, ich bin manchmal dran vorbeigegangen oder mit der Bahn dran vorbeigefahren, und hab das Knallen der Luftgewehre gehört, vielleicht konnte man das gar nicht hören in Wirklichkeit, also die Luftgewehre, aber ich hab’s genau gehört, weil ich doch so gut Luftgewehrschießen kann, und ich hab lange überlegt, einfach mal reinzugehen, mich da treiben zu lassen, von Bude zu Bude, von Fahrgeschäft zu Fahrgeschäft, und eben mal den größten Bären, oder was die da haben, zu erschießen. Also den mir zu erschießen. Aber wäre mir blöd vorgekommen, mit so ’nem Riesen-Pink-Bär durch die halbe Stadt, obwohl das vielleicht auch irgendwie schön gewesen wäre.
Und Steffi, die würde staunen, die würde aus dem Staunen gar nicht mehr raus …, wie ich da uns Plüschtier um Plüschtier und Sangria und Kulis und Aschenbecher, der Olaf hat mir das damals beigebracht. Nein, Vater hat’s mir beigebracht. In der kleinen Stadt, wo ich herkomme, da gibt’s auch ’ne Sternwarte. Waren wir mit der Schule drin, war ich auch mal mit Olaf drin. Wir haben viel zusammen gemacht, auch wenn’s nur kurz war. Vati hat mir das beigebracht, das mit dem Luftgewehr. Ganz früher, als ich noch klein war, vor der Wende, da ist er oft jagen gegangen mit so Leuten aus der Politik oder so, hat er manchmal von erzählt, aber nicht so viel jetzt. Aber er hatte kein richtiges Gewehr mehr, nur das Luftgewehr noch. Das sah schick aus, glänzendes Holz, wie so Edelholz, der Kolben. Im Garten haben wir oft geschossen. Meine Schwester war nicht so gut. Ich glaube, dass sie das Gewehr jetzt hat. Sie hat das meiste von Vati mit zu sich genommen, als er gestorben ist. Möchte ich nicht dran denken. Ich würde sie gerne mal besuchen fahren. Ist aber nicht mehr so einfach, seit Mutti das weiß. Mutti, sage ich, ich tanze da nur. Meine Schwester wohnt wieder im Haus, seit sie den Job nicht mehr hat. Könnte ja hier anfangen, jederzeit. Aber nee …, ich bin müde langsam. Sitze an der Bar und warte auf einen Gast, der nett ist und mit mir ’ne Stunde nach oben geht. Oder zwei, drei Quickies. Nach Mitternacht kommt immer noch ’n Schwung.
Mein Handy hat die ganze Zeit geklingelt, und ich bin nicht rangegangen, kannte ja die Nummer. Mutti schreibe ich oft noch. Im Juli hatte sie Geburtstag. Ich arbeite in einer Bar, Mutti, habe sogar einen Cocktaillehrgang gemacht. Warum ich es ihr nicht erzählen kann …, ich bin sechsundzwanzig und hab mich selbst entschieden. Und wie sie mich angeguckt haben, als sie’s wussten. Als hätt ich irgendwas, als wär ich krank. Weil’s jemand im Internet gesehen, weil mich da jemand erkannt hat, irgendeine von Muttis blöden Freundinnen. Ich würde gern wieder mal in die Sternwarte gehen. Wir durften durch das große Fernglas schauen. Planeten und Sterne. Wenn man mit sowas in die Sonne schaut, wird man blind.
Manchmal beneide ich Steffi, weil die mit ihrer Familie nichts mehr zu tun hat. Und auch gar nichts mehr zu tun haben will. Ich hoffe und glaube, dass Mutti das akzeptiert, dass ich das mache, was ich mache, weil ich mich entscheiden kann. Jederzeit.
Und ich kann das verstehen, dass die Steffi da keinen Kontakt mehr hat und will. Ihre Eltern sind in den Westen gegangen, abgehauen, da war sie noch ganz klein. Und da musste sie dann eine Zeitlang ins Heim, in so eine Art Heim, und dann zu einer Pflegefamilie. Sie ist dort dann ein paarmal abgehauen, hat sie mir erzählt, als wir mal auf einen unserer eher seltenen Absacker waren, an die ich so gerne zurückdenke. Die Frau hätte ihre Großmutter sein können. Was o.k. gewesen wäre, sagte sie, aber sie war wohl einfach ’ne furchtbare Alte. ’ne richtige Vettel muss die gewesen sein. Und da hat sie die Speisekammer leer geräumt, alles in den Rucksack rein, was da eben so reinpasste in den kleinen blauen Campingbeutel, und ist abgehauen. Und da das nicht so einfach war, in der DDR abzuhauen, ich meine, heute geht das auch nicht richtig, mal eben so als Neunjährige abzutauchen, aber Bahnhof Zoo und Co., nein, Mutti, das hat überhaupt nichts, aber auch gar nichts mit meiner Arbeit zu tun.
Renn, Mädchen, und versteck dich im Wald …
Ich kann mich kaum noch an was aus dem Osten erinnern, war eben noch zu klein, fünf Jahre zur Wende, aber Vater hat oft erzählt. Hat Zeit gehabt, war meistens zu Hause, hat mir’s Luftgewehrschießen beigebracht.
Er wird immer schneller, na komm, na komm, spritz, spritz, ja, ja, ja! Meistens kommen sie ja schneller, wenn man sie anfeuert. Kann ein Stammgast werden. Der sieht zufrieden aus. Stammgäste sind echt wichtig. Da geht vieles leichter. Wenn sie denn halbwegs sympathisch und vor allem gepflegt und sauber sind. Einen Stammkunden habe ich, der ist mir richtig unangenehm. Fragt jedes Mal, ob ich nicht doch ohne Gummi blase. Komm in fünf Jahren wieder, vielleicht muss ich …, nee, müssen tu ich nix, aber vielleicht mach ich’s dann wirklich oder habe mich zur Ruhe gesetzt. Kleines Haus. Müsst mir einen suchen, der nett ist, Geld hat und mir viel meine Ruhe lässt. Sex können wir schon haben, denn aus Sex mach ich mir nichts … Die Steffi, die hat immer gerne Sex gehabt. Viel. Schon zeitig. Bei mir ist das eben alles rein …, klingt jetzt blöd …, mechanisch, und dann eben professionell, dass mir das nicht nahegeht. Normal, sag ich mal. In meiner Kindheit …, ich war immer spät. Meine Schwester, die ist anderthalb Jahre jünger, die hat masturbiert, da habe ich …, ach, was weiß ich. Vielleicht verpass ich ganz viel, und vielleicht kommt das noch. Glaub ich aber nicht. Weil ich doch mehr Sex gehabt habe als die meisten, rein geschäftlich. Streicheln, kuscheln, ja. Schön ist das, ja. So wie mit Olaf. Damals. Ist nicht so, dass ich da nicht dran denke, manchmal.
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