«Was unser Geschäft betrifft, Hans …«
«Nun, ich höre. «Hans beugt sich wieder vor, bläst den Rauch an dem Mann vorbei ins Innere des Wagens.
«Im Prinzip ist ja alles geklärt«, sagt der Mann und dreht sich kurz zum Beifahrer um, ein kleiner dicker Türke, oder sowas in der Art , der scheinbar teilnahmslos und ohne sich groß zu rühren durch die Frontscheibe auf den Flachbau und in die Sonne blickt. Hans wirft seine Zigarette, von der er nur wenige Züge genommen hat, weg, bewegt den Arm, so dass er seine Glashütte sehen kann, und sagt:»In Tokio ist es jetzt genau dreißig Minuten nach Mitternacht.«
«Bestens, dann können wir ja gleich ins Büro.«
Hans hatte Lust zu bumsen. Scheiße, dachte er, was ist denn jetzt los? Er klopfte sich den Staub von den Schultern und lief durch Neukölln. Die Türen der Spielhallen waren geschlossen, in den getönten Scheiben sah er sein Spiegelbild, Hauptsache, kein Licht stört die Zocker, dachte er.
Rathaus Neukölln, auf der anderen Straßenseite ein gläsernes Einkaufszentrum. Er ging kurz in den Eingangsbereich, stand still zwischen den vielen Menschen, die an ihm vorüberliefen, kamen und gingen, sah die Werbung eines Juweliergeschäftes, das in der oberen Etage war. Daneben die Werbung eines Buchladens im Untergeschoss. Bis zur Pannierstraße war es nicht weit. Als er merkte, dass er Lust aufs Bumsen hatte, war er in einen Zeitungsladen gegangen und hatte sich eine Bildzeitung gekauft. Und noch eine Berliner Tageszeitung, aber die brauchte er nicht, er hatte beim Studium der Annoncen was gefunden, das gleich ums Eck war. Eigentlich hatte er am Morgen noch vorgehabt, zu Mondauge zu fahren auf einen Schluck, aber dann fiel ihm ein, dass es den Laden gar nicht mehr gab.
Hatte ihm vor kurzem jemand erzählt. War das nicht sogar AK gewesen? Aber der konnte ja nicht wissen, dass er in die Hauptstadt fuhr, keiner wusste, dass er hier Geschäfte machte. Und hier bewegten sich die Kulissen, und hier wurden die Silberdrähte neu verlegt. Und hier hatten die Engel fast alles übernommen. Der Mann hinter dem großen Hauptstadtspiegel war jetzt ein Türke. Was man so hörte, weit weg, in der kleinen großen Stadt, und doch nah. Aber was ging ihn dieser ganze Scheiß an? Hans hatte Lust zu bumsen. Verdammt, dachte er, was ist denn jetzt los.
Er lief an unzähligen Spielhallen und Zockerbuden vorbei, die Sonne im Rücken, die Sonne im Gesicht, kurz nach halb eins auf seiner Uhr. Die Glashütte ging immer paar Minuten vor. Und er stellte sie immer ein bisschen zurück, alle zwei, drei Tage. Hatte sie schon zweimal generalüberholen lassen.»Das ist normal«, hatte der alte Uhrmachermeister, der vor Hunderten von Jahren in Glashütte gelernt hatte, gesagt,»das ist das alte Spezimatic-Laufwerk …«
«Aber die hat Erich Honecker persönlich …«
«Sind Sie da sicher«, sagte der alte Uhrmachermeister, die Lupe im linken Auge, beugte er sich über das geöffnete Gehäuse.
«Vollkommen sicher«, sagte Hans,»schauen Sie doch auf die kleinen Brillanten links und rechts auf …, auf den Halterungen fürs Armband, und da sieht man auch die Initialen.«
«In der Tat, ein schönes Stück.«
«Sag ich doch.«
Hans hielt die Uhr an sein rechtes Ohr. Er bewegte den Arm hin und her und hörte das leise Rascheln des Spezimatic-Laufwerkes, das jede Bewegung registrierte, auffing und in Energie umwandelte. So würde er es formulieren. Und das leise stetige Ticken der Glashütte in seinem Ohr, blickte er über die Pannierstraße.
Bäume wuchsen in regelmäßigen Abständen auf beiden Seiten der Straße. Daddelbuden wie in der Flughafenstraße konnte er keine erkennen. Früher hatte er ab und an gezockt und gedaddelt. Nichts Besonderes. Nur um die Nerven zu beruhigen. Automaten, Roulette, Poker. Nichts Besonderes, hatte auch nach einigen Jahren die Lust dran verloren. Kostete nur Zeit. Hatte AK nicht mit zwei Spielhallen begonnen, damals, in den ersten Jahren nach der großen Wende? Das Sonnenlicht zerfaserte sich in den Baumwipfeln, die Straße sah still und ruhig aus, und er schaute noch einmal auf die Annonce, die er aus der Zeitung gerissen hatte, und verglich sie mit den Hausnummern. Na, dann wolln wir mal, dachte er und lief los.
Im» Sweet Life «entschied er sich für eine blonde Russin. Der Laden lag ebenerdig, die Tür direkt neben dem Fußweg, er hatte geklingelt, es hatte gesummt, und die Chefin, Mitte fünfzig, die ihn mit» Hallo, junger Mann «empfing ( Was soll’n das jetzt? ), führte ihn in einen kleinen Raum der ausgebauten Kellerwohnung, wo er auf einem Sofa Platz nahm, ein Couchtisch davor, auf dem ein Strauß Blumen stand ( Ja, ja, Schweine-Hans, der kann’s … ), dann die Parade der Mädels, die Chefin stellte sie vor, fünf Mädels, die blonde Russin kam als Dritte,»Das ist unsere Tanja, eine ganz liebe Perle«, Tanja, in Slip und BH, Badewetter, blieb lächelnd vor ihm stehen, drehte sich einmal, drehte sich zweimal, stütze die Hände in die Hüfte, suchte Blickkontakt, er nickte ihr zu, und sie verschwand wieder.
Später versuchte er, sich an die anderen vier Mädels zu erinnern. Und wie die Chefin sie ihm vorgestellt hatte. Eine frauliche, leicht mollige Türkin. Aisha? Hießen nicht die meisten Türkinnen in der Branche Aisha ? Eine dünne blonde Deutsche, eine dunkle Kroatin mit Schmollmund … Er hatte gleich gewusst, dass es Tanja sein würde, oder wie immer sie auch hieß. Wann war ich eigentlich das letzte Mal privat in einem Laden, dachte er, während er duschte. Er hatte sich für das Spiegelzimmer entschieden. Tanja hatte ihn durch die Zimmer geführt. Ja, das Spiegelzimmer war nicht übel, so ähnlich wie das Spiegelzimmer bei ihm. ’n Spiegelzimmer ist ’n Spiegelzimmer, wenn’s nicht zu klein oder zu versifft ist. Die Spiegel müssen permanent gesäubert und gepflegt werden. Und zwar so, dass sie keine Schlieren kriegen, zu scharf darf das Zeug auch nicht sein, vor allem die Deckenspiegel sind aufwändig, da stand er oft selbst mit dabei, wenn seine Putzbrigade sich um sein Spiegelzimmer kümmerte. Wie hieß der Typ gleich nochmal, der ihm das damals eingerichtet hat? Der hatte alle oder fast alle Spiegelzimmer in der Stadt, in der Nachbarstadt und in der Region eingerichtet. Hatte das Spiegelmonopol. Obwohl es so wahnsinnig viele Spiegelzimmer ja nicht gab. War dann irgendwann verschwunden. Mit der Firma weitergezogen, umgesattelt oder sich zur Ruhe gesetzt. Aber eigentlich kannte er keinen, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Da muss man schon ’ne ganze Menge auf der Kante haben, und einen guten Grund braucht’s auch. Das Geld fließt und fließt, meist in beide Richtungen, rein und raus, das alte Spiel, und wir waren, und wir sind, und wenn man seinen Platz hat im großen Spiel, geht es weiter … Immer weiter. Was sollte man auch sonst tun. Am Strand liegen? Jeden Nachmittag Torte essen? Er lehnte sich an die Fliesen und ließ das Wasser über seinen Körper laufen. Wir denken heute wieder mal um viele Ecken. Hatte er einen guten Grund? Das kleine Schloss? Beziehungsweise das kleine Nebengebäude des großen Wasserschlosses. War das nicht zu nah dran an allem? Und was sollte er da allein rumsitzen? War ja nicht so, dass er keine Optionen hatte. In den ganzen Jahren, seit die Scheidung durch war, hatte er immer mal wieder ’ne Frau, was Festes, was halb Festes, manchmal sogar ’ne Option. In seinem Spiegelzimmer ist er paarmal mit Mandy, also Mandy 1, gewesen. Das war so ’ne Option. Aber die ist dann weg. Diese etwas unscheinbare Dunkle war auch nicht schlecht gewesen. Um die vierzig. Bisschen unsicher. Die Unworte. Aber Tanja hatte Ausstrahlung, ihr rundes, sehr hübsches Gesicht hatte Kraft. Ja, so würde er das formulieren.
Er stellte die Dusche ab, trocknete sich die Haare, richtig viel war da ja nicht mehr zu trocknen, er zog sich die Badelatschen an, die Tanja ihm gegeben hatte, trocknete sich nochmal richtig ab und nahm dann den Bademantel. Dann merkte er, dass er scheißen musste, setzte sich auf das Klo, spülte schon vorher kurz, um den Lärm zu übertönen, es war ruhig im Objekt, vielleicht war er der einzige Kunde ( Gast! Comprende?) um diese frühe Zeit. Er wischte sich den Arsch ab, und dann duschte er nochmal. Kurz. Sein Laden öffnete erst um einundzwanzig Uhr. War aber auch ’n Nachtclub. Mit Barbetrieb. Im» Sweet Life «ging’s mittags los, wie er der Annonce entnommen hatte. Hauptstadt, Neukölln, viele Menschen, viele Läden, viele Männer, dreiundzwanzig Stunden warme Küche, sweet life, und wer zuerst kommt … Zahlst du noch, oder f… du schon? , hatte er über einer anderen Annonce gelesen. Da ging’s aber erst am Abend los.»Willst du was trinken«, sagte Tanja, als er ins Spiegelzimmer kam.
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