Und dann die große Kaffeefahrt. Der Klaus hatte sich ja schon bisschen rumgehört. Zur Wiedervereinigung waren wir in Erfurt. Die Claudi hat schon recht mit dem, was sie so sagt. Denn das war damals ein einziges Gependel. Große Stadt, Ruhrpott, Provinz, Ruhrpott, große Stadt. Dann mal rüber nach Dresden, wo zwei Kumpels von mir ’n Laden aufgemacht haben. Lief als Bar, Gaststättenbetrieb, aber war ’n astreiner Puff. Na, und nicht dass die da meinen Mädels die guten Mietpreise gemacht haben, nee. Die beiden waren ja selbst astreine Luden. Der Micha und der Samuel G. aus Gelsenkirchen. Heute würde ich sagen, Doof und Doof. Obwohl den ihr Laden da in der Landeshauptstadt ’ne Zeitlang richtig gut lief. Und ich hatte meine Mädels nur ’n paarmal dort am Start. Ging ja auch alles schief dann später, bei Schalke-Sammy und Micha. Scheiß Ruhrpott-Connection.
Als ich das erste Mal in die große Stadt kam …, na ja, das war schon ’n Schock. Aber irgendwie dachte ich auch, ja, das sieht gut aus. In meiner Erinnerung zog da abends der Nebel durch die Straßen. Grauer Nebel, graue Fassaden. Der Zentralbahnhof wie ’ne schwarze, verfallene Sandburg. Die hatten da überall nur Kohleheizungen, und in dem Herbst, als wir da hinkamen, Frühjahr einundneunzig! sagt die Claudi immer, aber das ist Quatsch, da war dort alles wie von ’ner Ascheschicht überzogen. Kurz nach dem Ausbruch des Vesuv. Sagte der Kuchen-Klaus damals immer, aber der war der Erste, der dann weg war. Hat dann woanders weitergebacken.
Auf dem Weg in die große Stadt hatten wir schon an paar Wohnwagen-Magistralen haltgemacht. Thüringen zum Beispiel. Bei Weimar. Ja, die Klassiker. Die Wohnwagenschiene gab’s ja bei uns im Pott auch. War aber nicht meins. Ich meine, wir wussten Bescheid und hatten zwei prima Modelle dabei. Da musste ich mir ’n Mercedes zulegen, weil das an die Corvette nicht dranging. Aber da habe ich dann gedacht, dass da die Holländer die ganzen Bumsmeilen übernommen hatten. Da war Hurenzeltplatz an Hurenzeltplatz. In Thüringen kam man da noch halbwegs rein, wir hatten ja Karate-U. dabei und auch Artillerie unterm Sitzpolster. Wenn’s da Stress gab, gab’s auf die ostdeutsche Murmel.»Nischel «sagen die da. Ich meine, ich komme ja aus der Leichtathletik, aber da ging’s um viel, da ging’s um richtig Kohle und Geschäfte, und da hab ich mich natürlich nicht die Bohne lumpen lassen, da gab’s schon mal ’n Satz heißen Eintopf, wenn ihr wisst, was ich meine, aber die Claudi sagt immer, dass das auf dem Weg in die große Stadt doch alles eher harmlos abging. Weil’s da in den Trailerparks der Huren und Zuhälter relativ international zuging, und damit meine ich deutsch-deutsch. Da standen und parkten sie aus allen Provinzen und Stadtstaaten unseres neuen/alten Deutschlands.
Und die Claudi sagt, dass man da sogar mal zusammensaß am Morgen der Tage und Nächte und sich beschwatzte, ’n Grill aufbaute, sich austauschte, wie machst’n du dein Geschäft und wie läuft das bei dir und deinen Mädels. Aber ich sag immer, das ist ihr Idealismus Marke Ferienlager, aber auf dem Weg in die große Stadt, das stimmt schon, haben schon Spesen hoch zwei gemacht.
Jetzt hängen die Italiener in Erfurt, Thüringen, drin, also was man so hört, und wollen da ’n großen Laden à la» Pascha «aufmachen, haben’s vielleicht auch schon, nicht dass mich das interessieren tät, aber klar, dass die Pizzabuden-Connection da auch die Hand drauf haben wollte und will …, die waren ja schon immer in Duisburg und Bochum gewesen, aber gestört haben sie uns nicht groß, da ging’s ja eher um Immobilen und Restaurants und solche Geschäfte, das war eher das Kaliber von dem großen, ach so legendären Bielefelder Kumpel vom Kuchen-Klaus.
Und als wir da, neunzig oder einundneunzig, ist ja schon gut, Claudi! mit unseren Wohnwagen und unseren Mädels on board in die große Stadt reinkutschiert sind …
Jetzt brauch ich mal ’ne kurze Auszeit, ’ne Fuffzehn, wie sie da in der Zone immer gesagt haben, da brech ich doch glatt den» Springer Urvater «an, den ich aus Nostalgiegründen im Keller hab. Eine ganze Kiste hab ich von dem Stoff. Trinkt heut kein Arsch mehr. Hab ich versucht Mitte der Neunziger, als ich mit meiner kleinen Firma nochmal und wieder in die große Stadt kam, den verrückten Ostpocken zu verdealen. Hatte ich nämlich ’ne ganze Wagenladung von. Hat mir mein alter Schulfreund vermittelt. Sechzig Wagen ostwärts. Nee, is’n Film, ’n Western, den hab ich als Kind immer gern gesehen.»Sechzig Wagen westwärts«. Da ging’s um ’ne Riesenladung Schnaps, die mit ’nem Wagentreck durchs Indianerland unterwegs war, weil die Saloons westlich von St. Louis auf dem Trockenen saßen.
Und dass die da alle bekloppt sind, drüben im Osten, war mir sofort klar, als ich gehört hab, damals in der großen Stadt hab ich das das erste Mal gehört, dass die Mitte der Achtziger plötzlich unsere Winnetou-Filme in der Zone sehen konnten. Ja, scheiße! Old Shatterhand und Winnetou. Der große blonde Lex Barker und der schöne Pierre Brice. Zwanzig Jahre nachdem das bei uns lief, also Anfang, Mitte der Sechziger, ich kenn noch die Wiederholungen aus den Siebzigern, standen die da Schlange an den Kinos der Zone. Und waren begeistert von dem alten Schrott. Kann mir keiner sagen, dass das normal ist.
Und in der großen Stadt jedenfalls …, da haben wir erstmal paar schöne Zimmer in ’nem schönen Hotel genommen. Direkt im Zentrum. Blick aufs Zentrum. Recht weit oben. Siebenundzwanzigste Etage, man will sich ja nicht lumpen und so weiter. Direkt am Zentralbahnhof. Und nicht weit weg war der große Umschlagplatz der Wohnwagen, die Allee der schönen Augen, das war so ’ne De-facto-Freihandelszone der Stadt. Will meinen der Stadt-Politik. Kann man sich heut gar nicht mehr vorstellen. Und der alte Randy, also ich, hat damals auch mit großen Augen vor diesem flachen Disneyland gestanden. Da hätt ich mir schon ’n Riesenrad drin vorstellen können. Ein Riesenrad voller Huren. Glitzernd über den Dächern der Stadt, glitzernd und bunt über den Dächern der Wohnwagen. Und da haben wir gesehen, der Klaus aus Bielefeld, der Karate-U. und ich, dass da bereits ein großer Markt am Kochen war. Fleischmarkt würde ich heute sagen. So wie die heute, also jetzt, dort Metamphetamin und sonstwas kochen, aber das ist ’ne andere Geschichte, ’n anderer Markt. Bin ja längst raus, zum Glück.
Na ja, da haben wir da erstmal schnell angedockt. Mit unseren schönen Wohnmobilen, mit unseren schönen Mädels. Haben da auch gleich paar Bekannte und Kumpels getroffen. Aber da war die Stimmung schon verschärft. Lude 12 zu Lude 23:»Fahrt mal lieber nach Hause.«
Karate-U. hatte nach drei Tagen Migräne. Dem musste dann erst sein eigenes Mädel und dann meine Claudi den Nacken frei massieren. Das hatte meine Claudi nämlich besser drauf als dem seine eigenen Mädels. Da hab ich auch gleich gesagt, du, hab ich gesagt, das kostet aber Verdienstausfall. Da haben wir erstmal paar Pullen Schampus gelehrt und uns alle vertragen. Die Artillerie war da schon immer am Mann. Die meisten hatten ’n paar Spritzen dabei. Aber da hat man sich schon zusammengenommen, um nicht die zahlende Klientel zu vertreiben. Trotzdem hat’s dort öfters geknallt. Bumm bumm. Ja, genauso wie’s klingt. Paar Schießereien. An das Loch im Wohnwagen werde ich mich wohl immer erinnern. Man war da und wollte eben nicht so schnell wieder weg. Ich weiß noch, wie die Leute, also die Kunden, die da hinkamen, wie die durch die Gassen der Wagenburg flanierten. Mit großen Augen. Und die Frauen im Spalier. Und wie die Wohnwagen wackelten und das Geld floss.
Und was soll ich sagen, den Osten hatten wir unterschätzt. Da gab’s diesen Typen, der hat die Türen der Ost-Diskos gemacht vor der Wende, der hatte seine Brigade, alte Knochenbrecher aus der Zeit vor neunzig, die hattest du gleich an der Backe, wenn du in der Allee der schönen Augen dauerhaft parken wolltest. O.k., da hat man sich arrangiert. Ein Schein hier, ein Schein da.
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