Uwe Tellkamp - Der Turm
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- Название:Der Turm
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- Издательство:Suhrkamp
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- Год:2008
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Stimmen, oben: Manchmal sangen die Stenzel-Schwestern mit ihren brüchigen Sopranen, So nimm denn meine Hände oder Ehre sei Gott in der Höhe, es klang wie die vorsichtige Fühlungnahme mit einem Kind, und wenn es bei offenen Fenstern geschah, konnte es sein, daß Griesel die Elektroschnur aus seinem zum Garten gelegenen Keller zog, um sie in die froschartige Rasenmähmaschine zu stecken. Er mochte an das Wort vom Hirten denken und an die Herde auf seiner Weide, und wenn der Hirte aussah wie Pfarrer Magenstock, mochte es um so unverzeihlicher sein, daß Schäfchen die Hände falteten und beteten unter Kanzel-Wohlrede und Salbungsaugenblau; daß erwachsene Menschen kindlich wurden. Die Schwestern Stenzel gingen in harnischartigen Kleidern in die Sonntagspredigt von Pfarrer Magenstock, die rostigen Broschen: straßbesetzte Orchideenblüten und mit roten Glasperlen bestückte Kranichkronen, die sie sonst auf ihren vielfach ausgebesserten Crêpe de Chine-Blusen trugen, hatten sie abgelegt: Frevel ist es, das Haus des Herrn mit anderem Schmuck zu betreten als Seinem Zeichen, und hoben die rheumaknotigen, faltigen Finger nach diesem strengen und keuschen Wort, das Christian Eindruck machte; und nur ein großes blankes Silberkreuz lag beim Kirchgang auf der Brust, das unter den forschen Schritten der Stenzel-Schwestern leise gegen die Blusenknöpfe schlug. Sie lächelten friedlich, nickten den Entgegenkommenden zu, die ihnen auswichen. — Ja, es gibt sie, die sächsische Schwermut! hörte Christian Tante Barbara im Flüsterton sprechen, wenn sie den Schwestern begegneten, und dabei öffneten sich ihre Finger wie eine Springkrautkapsel; sie bejahte stumm und mochte an versäumte Pflichten denken, an Gelegenheiten, die über den flachen Hüten der Schwestern lockten, den Gesichtsschleiern, die aus weitmaschiger Gaze mit mottengroßen weißen Punkten bestanden, unter denen die rotgeschminkten Münder brannten, den Haarnetzen und den im Grüßen erhobenen Händen, die mauvefarbene Handschuhe trugen; Tante-Barbara-Geheimnisse, die im zähnezeigenden Lächeln, im andeutenden Neigen der Köpfe schwelten. Die Bilder im Treppenzylinder rückten die Schwestern mit zärtlicher, rührender Behutsamkeit gerade, als ob sie von Liebhabern stammten oder Brüdern im Geiste, sie stiegen samstagmorgens, wenn sie ihre Übungen beendet hatten — Kitty, die älteste Schwester,»müllerte «im Garten der Hoffmanns;»müllern«: nach einem Turnlehrer der Vorkriegszeit —, wenn die Federkissen und Steppdecken auf den Fensterbrettern lüfteten, in den Treppenzylinder hinunter, um die Gemälde und Schaukästen zu säubern; dazu benutzten sie Staubwedel aus Straußenfedern (»das Beste, was es gibt, Krest-jan, noch aus dem Kaufhaus Renner«), die von vierzig Jahren Flusenfangen kreppig und mißfarben geworden waren; erst beim Reinigungsmittel waren die Schwestern moderner, ließen einen Tropfen» Fit «in das Putzwasser klimpern, das genügte für die verschnörkelten Rahmen aus goldbronziertem, von Würmern pietätlos punktiertem Lindenholz, das nach der Waschung mit Bergamotte-Öl abgerieben wurde — wie auch, auf der obersten Etage, die Blätter einer unter Lichtmangel ins Gelblichgrüne blassenden Dieffenbachia und die Rahmen der Porträt-Fotografien mit Widmung —, und Christian fragte sich manchmal, wenn er, etwa beim Kohlenschleppen, eine der Stenzels ein Bild abstauben sah, ob sie sich wohl auch für die Darstellung im Inneren des Rahmens interessierte, oder ob es ihr gar nicht darum ging, abzustauben, den Rahmen zu betrachten, sondern für eine Zeitlang in Erinnerungen zu tauchen, für die sie allein sein wollte, eine Stunde getrennt von ihren Schwestern. Christian hatte sich bei Malthakus erkundigt, der nicht nur Briefmarken und Ansichtskarten sammelte, sondern auch Geschichten über die Häuser hier oben und ihre Bewohner: Die Karavelle habe der gebürtigen Dresdnerin Sophia Tromann-Alvarez gehört; ihr Mann, Louis Alvarez, habe in Hamburg bei der Afrikanischen Frucht-Compagnie gearbeitet, die der Reederei Laeisz assoziiert gewesen sei, und habe in Kamerun Bananenplantagen aufgebaut, sich allerdings später im Kolonialhandel selbständig gemacht; nach seinem frühen Tod in Afrika, auf einer Expedition mit dem schwedischen Entomologen Aurivillius, sei Sophia Tromann-Alvarez an ihren Geburtsort zurückgekehrt, habe die Karavelle erworben und die Jahre ihres Witwentums im Andenken an ihren Mann und die Zeit bei der Afrikanischen Frucht-Compagnie zugebracht; er könne sich gut an die hochgewachsene Frau erinnern, die fremdfarbige, aus Blumenstoffen exotisch geschneiderte Kleider trug und mit einem Parapluie, ihre drei Buschhunde an langer Leine, spazierengegangen sei, wobei sie den Stock vernehmlich auf die Straße gestoßen habe und die Hunde jeden Vorüberkommenden mit gebleckten Zähnen angeknurrt hätten. Es gab einen Schmetterling in den Schaukästen von Louis Alvarez, den Christian besonders gern betrachtete:»Urania ripheus «stand in römischem Majuskeldruck unter dem Tier, und wie freute er sich, wenn Meno dabei war und» Laß uns ein wenig sehen üben «sagte. Das hieß, es würde etwas von ihm verlangt werden, aber es war nicht das, worüber er sich freute, denn eine Beobachtung zu beschreiben bedeutete Meno gegenüber oft, eine Frage zu beantworten, die nicht gestellt, aber durch eine Handbewegung und gewisse Gesten: Brauenheben, Unterlippevorschieben, verständlich genug angedeutet worden war, und manchmal, so wie jetzt, da er im unangenehm warmen Krankenbett darüber nachdachte, wunderte sich Christian, weshalb er nicht unmutig wurde bei diesen Forderungen Menos, warum er Meno nicht böse war, wenn der ihm freundlich, aber unnachgiebig zu verstehen gab, daß er schlecht beobachtete und seine Eindrücke nicht präzise genug in Worte faßte. Unmut konnte in der Schule aufkommen und dort auch in Fächern, die ihn nicht reizten: oft ärgerte er sich über die nachsichtige Arroganz, die Baumann seinen zugegebenermaßen miserablen Leistungen im Fach Mathematik entgegenbrachte; er konnte gegenüber Klassenkameraden aufkommen wie neulich, als Swetlana Lehmann ihm einen Rechtschreibfehler unter die Nase gerieben hatte. Bei Meno sonderbarerweise nicht — wenn Meno ihn kritisierte, war ihm das Ansporn, die Kritik wettzumachen, er zog sich dann nicht schmollend in eine Ecke zurück oder hegte finstere Gedanken wie gegen Swetlana, die allerdings auch darauf geachtet hatte, daß möglichst viele hörten, welchen Fauxpas sich der ach so selbstsichere Christian Hoffmann geleistet hatte. Bei Meno blieb es in der Familie, und seine Kritik war die laut ausgesprochene Mahnung der eigenen inneren Stimme, die Christian nur in der Hoffnung, bequem durchzukommen, unterdrückt hatte. Es hieß, eben nicht zu sagen: Dieser Schmetterlingsflügel ist mittelgroß, sondern auf Menos Bemerkung, worauf sich denn das» mittel «groß beziehe, genauer zu werden: Dieser Schmetterlingsflügel ist streichholzschachtelgroß. Dann sagte Meno: Überprüfe deine Vorstellungen von Schönheit; doch wenn er Christian mit wissenschaftlicher Kühle erklärte, es sei etwas Schönes, ein Lineal an Farben anlegen zu können, in einem Zirkelkreis und auf einer Millimeterskala etwas so Weich-Flüchtiges wie diesen zyklamenfarbigen Nachtfalter aus dem mittleren Kongo festzuprüfen, dann spürte Christian einen Abstand, einen Vorbehalt in seiner Bereitschaft, seinem Onkel zu folgen, eine Trübung: als sähe er eine klare geometrische Figur, hart gezeichnet von einem aus tausenden Quarzfasern gebündelten Licht, aber plötzlich seien einige dieser Lichtfasern abgebrochen, wodurch die Figur ein feines Parallelogramm bekam, Ausfransungen, rissige Kontur, und Christian achtete für Augenblicke nicht mehr auf den Falter, sondern auf Meno. Oft machte er vor diesen Schmetterlingen in den einfachen, aber aus Pockholz hergestellten Schaukästen des Kolonialwaren-Unternehmers Alvarez, die sogar Schlösser hatten — die Schlüssel dazu waren offenbar verlorengegangen, keine Mietpartei besaß sie —, eine ihn träumerisch gefangennehmende Erfahrung: Er betrachtete die säuberlich aufgereihten Schmetterlings-Mumien und sah nicht nur sie, die sich zum Sinneneindruck» Falter «ordnenden bestimmten Umrisse, die Pigmente, Schattierungen, Muster auf den Flügelschuppen, die in Altmetallfarben leuchteten, sondern nahm, je länger er beobachtete, eine Art von Verflüssigung in der Umgebung des Tiers wahr, die ihm spannender vorkam als Menos Vorhaben, diesen Schmetterling Urania ripheus, Page von Madagaskar , hier und jetzt so exakt wie möglich zu beschreiben. Wenn Meno gesagt hätte: mit Worten zu beschriften, hätte Christians Sinn vielleicht nicht abzuschweifen brauchen, so aber dachte er bei Menos bedächtig fallengelassenen Begriffen an die Stecknadeln, mit denen der Präparator die Schmetterlinge fixiert hatte, sah vor seinem inneren Auge, wie er mit Feinmechaniker-Präzision zustach; aber das war wenig im Vergleich zu der Freude, die Christian empfand, wenn bei einem Wort wie» versehren«, das plötzlich die Zunge seines Gedächtnisses aussprach, das Veronesergrün auf den Flügeln des Urania-Falters in Bewegung geriet. Dieser Fleck Veronesergrün auf einem afrikanischen Schmetterling, einem tagaktiven Nachtfalter, wie Meno erklärte und was Christian nicht ganz verstand, denn wenn der Falter tagaktiv war, wieso war es dann ein Nachtfalter, aber die Wissenschaftler würden wohl ihre Gründe haben zu dieser faszinierenden Koppelung. Ein bestimmtes Licht zu einer bestimmten Stunde, Menos Gesicht im Profil: Das war die Versuchsanordnung, die reglos blieb, solange der Katalysator nicht beigegeben war; ein von Möglichkeiten rieselnder Wartezustand, und Christian fand es erregend, daß für genau diese gewissermaßen chemische Kombination ausgerechnet das entlegene Wort» versehren «dieser Katalysator war, der, wenn er wie aus einer Pipette eintropfte, den Trägheitszustand blitzartig löste und zu etwas Neuem einschießen ließ, das sich gleich darauf, geheim wie die Prozesse der Blutgerinnung, wieder beruhigte zu einer neuen Konstellation. Trocken tote Körper hinter Schaukastenglas verwandelten sich in Prismen vor ganz unterschiedlichen Wirklichkeiten: Urania ripheus mahnte ihn als Chiffre im Dunkellicht eines Urwalds, schläfrig von Luftglut durchflüssigten Baumkronen, und» versehren «war mit Assoziationsfäden am Grün der Steuerflügel festgeheftet, eine Farbe, zu der Meno» ausgetrunken «sagte und Christian, der sich an eine Ausstellung im Armeemuseum erinnerte,»pulvergrün«, weil er nichts Feuchtes darin entdecken konnte, das aber mit dem Begriff» ausgetrunken «verbunden werden mußte, worauf Meno die rechte Hand, die am Kinn überlegt hatte, kippte und die Handfläche waagerecht nach oben hielt, was soviel hieß wie: Akzeptiert, nicht übel, man kann es so sehen. Dieses» man kann es so sehen «war um eine Nuance anders als das» wenn du meinst«, das er mit einer gleichen Geste, aber gelockerterem Körper ausdrückte, und worin Traurigkeit enthalten war darüber, daß man den anderen, vielleicht nur an diesem Tag, nicht erreichte, daß etwas sich zu bestätigen schien, leider, das man gefühlt, aber aus der Temperatur des Gesprächs zu verbannen versucht hatte, um aus der Vorahnung nicht die befürchtete Realität treten zu lassen.»Wenn du meinst «war nicht nur in Menos Sprachgebrauch, sondern in dem der meisten Türmer, die Christian kannte, eine höfliche Form, sich zu verschließen, freilich zunächst nur eine Tür von vielen, die noch offengehalten wurden, auch war diese Tür, sah man genauer hin, nur angelehnt und nicht eingeschnappt; und die womöglich höflichste Form dieser zurückhaltenden, im flüchtigen Niederschlagen der Augenlider geschehenden, winzigen Begräbnisse war enthusiastische Zustimmung. Magie war ein Wort, das Meno nicht liebte. Er hatte Ehrfurcht vor dem, wofür es stand und was es ausdrückte, nur unzulänglich seiner Meinung nach und etwas hilflos,»ein Etikett auf einem Einweckglas, in dem sich die Dinge befinden, wenn wir uns erinnern«, wie er sagte, wenn Christian, empört über seine eigene Wortlosigkeit und gequält von der Anstrengung, Menos Forderungen nach beschreibender Präzision zu erfüllen, kurzen Prozeß machen wollte, indem er dieses Wort gebrauchte, um etwas zu charakterisieren, das ihn auf noch unerklärliche Weise faszinierte.»Du gebrauchst es wie eine Fliegenklatsche, denn Totschlag ist natürlich auch eine Methode, etwas zu bannen«, bemerkte Meno dazu,»aber damit umkreist du nur deine Hilflosigkeit, wie es schlechte Schriftsteller tun, die nicht fähig sind, ein Phänomen zu erzeugen — was der eigentlich schöpferische Akt wäre —, sondern nur dazu imstande sind, über das Phänomen zu reden; eben ›Magie‹ zu sagen, statt aus Worten etwas herzustellen, das sie hat«. In solchen Momenten war Christian von Fremdheit angeweht, die ihn bedrückte, er wußte nicht, warum Meno so streng sein mußte, und fand auch die Zuneigung in der Unerbittlichkeit nicht, mit der Meno ihn und seine abstrebenden Gedanken vor diesem Schaukasten festhielt, dessen Inhalt die atemstockende Berührung, die Ahnung einer Jagd, die er empfand, wenn er vorüberging und einige Sekunden seine Blicke auf den bunten Pharaonen spazierengehen ließ, bei Menos eine Stunde oder länger währendem Exerzitium nicht mehr schickte. Diesen stillen Blitz, der ihn traf, wenn er vorübergehen wollte, aber etwas öffnete sich und bildete ein großes saugendes Tor, in dem alles verschwand, woran er in diesem Moment gedacht hatte: die Schule, ein Fußballspiel, die Tomita-Schallplatte, die Bewerbung um einen Medizinstudienplatz mit Abschluß der elften Klasse, manchmal die Form eines verschütteten Milchtropfens oder die Nummer von Tietzes Shiguli. All das wurde aus ihm herausgezogen und ließ ihn mit geweiteten Augen und offenem Mund, der auszuatmen vergaß, zurück. Christian spürte zwar, daß Meno mit ihm über diese Phase hinausgelangen wollte, die Lippen, die ihm unsichtbar flüsterten, sollten sich wieder versiegeln, die Bilder wieder erblinden, aber er sah keinen Sinn darin, die Farben stumpf und die kleine Partitur aus Formen schal werden zu lassen. Oft war es Meno, der abbrach. In dieser Sekunde, in der sein Onkel den Kopf sinken ließ und sich mit Daumen und Zeigefinger über die geschlossenen Augen rieb, kehrte die Zuneigung jäh zurück, als wäre sie nur in elastischem Material weggedehnt gewesen und würde jetzt wieder losgelassen. Es mußte noch etwas anderes geben als nur die Überwältigung durch einen Kommandeur der Sekunde, und danach schien Meno mit den Werkzeugen seiner Exaktheit auf der Suche zu sein. Christian kam es wie ein vorsätzliches Abrücken von tiefeingewurzelten Überzeugungen vor, eben darum, weil sie tiefeingewurzelte Überzeugungen waren. Vielleicht trugen sie nicht mehr, oder Meno wollte weiter und sah es als Größe, nicht als Kapitulation, dafür jeden Preis zu zahlen. Er spürte, daß sein Onkel deshalb so unnachsichtig sein mochte, weil er diese Überzeugungen bei ihm, Christian, wiederfand, etwas, das unbekümmert wiederkehrte und das er selbst nur allzugut kennen und seit langem, aus einer anderen Überzeugung heraus, bekämpfen mochte. Die, weil sie ihm nicht eingeboren war, etwas Heroisches annahm. Und Mißtrauen enthalten konnte gegen die» Sprache des Herzens«, wie Meno das mit hölzernen Lippen nannte, die Anführungszeichen mitsprechend. Vielleicht war es eine Berufskrankheit des Wissenschaftlers und Lektors, denn die» Sprache der unsentimentalen Beobachtung«, die Meno dagegenstellen wollte — wollte er es tatsächlich? — , empfand Christian als fremd, wenngleich er manchmal darüber nachdachte, denn» groß wie eine Streichholzschachtel «war tatsächlich anschaulicher und treffsicherer als» mittel «groß. Dennoch faszinierten ihn immer zuerst die Farben und nicht die Tönungen, brannte ihm zuerst das Offensichtliche einen Stempel ein und nicht das Hintergründige, und mochte das auch logisch erscheinen, denn das Hintergründige wäre ja nicht hintergründig gewesen, wenn man es sofort erfaßt hätte, so ging es doch um das, was ihm Eindruck machte, und der seltenste und auf seine Art absonderlichste Falter, der unscheinbar aussah, ließ ihn ziemlich gleichgültig, wenn er daneben ein Exemplar sah, das wie ein fliegendes Tuschkästchen wirkte, und mochte es auch, was die Häufigkeit betraf, gewissermaßen der Kohlweißling der Tropen sein. Meno tadelte seinen Sinn, er war weniger den Exemplaren zugetan, denen, wie er sagte,»alle ihre Geheimnisse, wenn sie überhaupt welche haben, auf ihren Jäckchen kleben«. Er bevorzugte die unscheinbaren, von denen Alvarez auch einige gesammelt hatte; sie hingen in einem zweiten Kasten vor der Etage der Stenzel-Schwestern, wo die Treppe in die Glastür mündete. An dieser Stelle herrschte Grau-Helligkeit, die durch das Oberlicht des Treppenzylinders diffundierte: eine siebenblättrige Glasblume, in ihrer Mitte hing ein Leuchter wie ein übermäßig in die Länge gedehntes Staubgefäß. Es war eine Reihe von Nachtfaltern, holzfarbenen Saturniiden mit Trugaugen,»aus dem Geschlecht des Bleigotts, und hier: Das sind ihre Wasserzeichen«, Meno wies auf die Maserung der papierdünnen Flügel, die Christian an die Wellenringe nach einem Steinwurf in einen stillen Teich erinnerte. Sie schienen sich über die einzelnen Schmetterlinge fortzusetzen und sie in ein größeres Bild zu fügen, von dem sie nur Teile waren, als gehörten sie zu einem Puzzle. Sie sahen einander sehr ähnlich, nur wenn man genau beobachtete, traten die winzigen Differenzen zwischen den einzelnen Faltern hervor.»Das sind die Orchesterpartien, an die der Komponist die größte Sorgfalt verwendet hat, obwohl sie vom Publikum kaum gehört werden; aber gerade sie sind ihm wichtig, und man könnte ihm kein größeres Kompliment machen, als gut zuzuhören, denn wozu sonst ist Musik da, wenn nicht zum Zuhören. Diese Flecken von Purpur, Rostgrün und Flieder, dieses Blau, das so intensiv ist, daß es auf einer Zitrone erscheinen könnte: das sind Effektstellen, wie sie italienische Belcanto-Komponisten mögen und das durchschnittliche Opernpublikum liebt, das ins Theater nicht geht, um zuzuhören, sondern um zu sehen, in der Pause zu flanieren, sich über die Preise der Schnittchen und Cocktails zu erregen, und gesehen zu werden; das schon von vornherein die ›berühmte Stelle‹ kennt, wo der Tenor alle Kräfte zusammenreißt, um das Hohe C und das, was danach folgt, zu stemmen; mich aber interessieren die unscheinbaren Gewebe, die Tarnungen, Übergänge; Camouflage und Mimikry; die Bauart der Betten, in denen die Motive liegen, diese ›schönen‹, manchmal eben allzu schönen Prinzessinnen. Mich interessiert nicht nur die Beletage, sondern auch Kohlenkeller, Küche und, um im Bild zu bleiben, Dienerschaft in der Komposition«. So Meno. Christian dachte darüber nach. Wie damals, bei den Besuchen beim Maler Vogelstrom im Spinnwebhaus, als er die Namen Merigarto und Magelone gehört und seither nicht mehr vergessen hatte, blieb ihm auch von diesen Gesprächen mit Meno etwas zurück, das in ihm weiterwirkte, das er spürte wie einen Fremdkörper, der in ihn eingedrungen war und ihn veränderte, und er forschte in Stunden wie diesen, um ihn einzukreisen, abzutasten, zu beobachten, ob er schädlich sein würde oder nützlich.
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