«Ein Glas Wasser, bitte.«
«Aber Herr Rohde. Ein Glas Wasser. Ich möchte Ihnen etwas ganz Köstliches anbieten. Bringen Sie uns bitte zwei Gläser Granatapfelsaft. «Sie hätten die Früchte vom Schwarzen Meer bekommen, grusinische Ernte, noch immer gebe es Verbindungen des Instituts dorthin.»Man erzählt sich einiges über uns, hier im Viertel. Wir wissen das. Wahr ist, daß wir zehn Jahre in Sinop gearbeitet haben. Es war gute Arbeit, und es war richtig, daß wir sie getan haben. «Ob er noch einen Wunsch habe. Er verneinte, beobachtete sie. Wie besorgt sie ist. Sie hat die Haltung einer Zirkusdirektorin beim Hohe-Schule-Reiten. Das Kostüm, das sie trägt, gibt es nicht im» Exquisit«.»Dieses Bild. «Er wies auf das Ölgemälde über dem Drachentisch.»Wer hat es gemalt?«Frau von Arbogast konnte es nicht sagen. Sie reichte Meno ein Glas und schenkte ihm und sich aus einer Karaffe blutroten Granatapfelsaft ein; die Haushälterin hielt das Tablett und starrte ins Leere, während die Baronin in kleinen, hastigen Zügen trank. Meno kostete, lobte. Der Saft war eisgekühlt, von sämiger Konsistenz und wohlschmeckend; Meno schloß die Augen, es war, als ob Metall seine Kehle überzöge. Der weißbekittelte Mann kam wieder vorbei.»Herr Ritschel«, der Angesprochene blieb stehen und drehte sich langsam, wie in Zeitlupe oder wie jemand, der eine große, alte Wut bezähmen muß, zur Baronin hin.»Sagen Sie doch bitte meinem Mann, daß ich Herrn Rohde ein wenig durchs Haus führe. «Herr Ritschel drehte sich etwas schneller wieder um und tappte die Treppe hinauf.
«Übrigens hoffe ich, daß die Hunde und die Alarmanlage Sie nicht allzusehr erschreckt haben? Wissen Sie, das ist eine Leidenschaft meines Mannes. Er hat sich das Geld für seine erste eigene Firma mit dem Bau von Fotoapparaten und Alarmanlagen verdient, der erste Fotoapparat ging an mich und schmorte durch, das war Absicht, Ludwig wollte mich wiedersehen … Er ist so stolz auf seine Bastelfertigkeiten. «Sie betrachtete ihre Fingernägel, nahm Menos inzwischen leeres Glas, stellte es neben ihres auf das Tablett, das die Haushälterin auf dem Drachentisch zurückgelassen hatte.»Ja, das Bild. Es ist schon sehr alt. Ich habe es mitgebracht. «Das Bild war quadratisch bei einer Seitenlänge von etwa zwei Metern. Das eigentliche Gemälde befand sich in einem Kreis, der alle vier Ränder des Quadrats berührte, aber die Ecken aussparte; sie waren mit Kupferfarbe ausgemalt und trugen eine schnörkelige Inschrift, Meno konnte sie nicht entziffern. In einem Säulengang mit vorgelagerter Treppe sah man Männer in langen Togen in ruhigem Gespräch. Im Vordergrund saß ein Mann am Mikroskop; zwei Grüngekleidete standen vor einem Fernrohr, der eine wies zum Himmel, der andere betrachtete ein Astrolabium mit den sieben Planeten; sie schienen aus seiner ausgestreckten Hand gereift zu sein. Ein Mann mit weißem Haar hielt eine Silberdistel. Eine Frau stellte Berechnungen an. Auf einer Wiese spielte ein Kind; Wolf und Hirsch tranken aus einer Quelle. Ein Mädchen hielt eine Waage, ein Junge zeichnete. In der Ecke stand jemand mit schlechten Augen.»Wissen Sie, was ich bei diesem Herrn immer denke?«Die Baronin wies auf einen rotgekleideten Mann, der die Arme ausgestreckt und das Gesicht erhoben hatte.»Daß er kurz davor ist, das Klavier zu erfinden. Alte holländische Schule, mehr weiß ich nicht; Ludwig sagt, es sei ein Stück gute Malerei, ich glaube, er hat recht damit, denn für dieses Bild interessieren sich die meisten, die uns besuchen kommen. Fräulein Schevola allerdings hat nicht viel dafür übrig … Zu viele alte gelehrte Männer, und wenn schon eine Frau, dann eine Mathematikerin … Sie mag keine ungerechten Bilder.«
«Ungerecht?«
«Bilder mit totalitären Farben, die so stark sind, daß sie Demut und Liebe fordern, wie sie sagt. Sie mag das schon bei Grünewald nicht. Er greife sie an. — Sie kennen Judith Schevola?«
«Vom Lesen«, wich Meno aus.
«Im Kreis weltverbessernder alter Lüstlinge, von denen Sie heute abend einige kennenlernen werden, gibt sie ein belebendes Element ab. «Sie schenkte Meno ein hartes Lächeln.»Gehen wir. Ludwig möchte, daß Sie einiges sehen, bevor die anderen eintreffen. — Na, das kann er Ihnen besser zeigen als ich. «Sie gingen Arbogast entgegen.
«Herr Rohde! Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind. Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung. Kann ich etwas für Sie tun? — Hast du ihm von unserem Granatapfelsaft holen lassen?«
«Natürlich, Ludwig. — Wir haben uns gerade das Bild angesehen. Herr Rohde wollte wissen, wer es gemalt hat.«
«Sie schätzen Malerei? Oh, das ist eine überflüssige Frage an einen Mitarbeiter der Dresdner Edition. «Der Baron ließ Menos Hand los, die er, noch auf der untersten Treppenstufe stehend, wo er Meno um gut zwei Köpfe überragte, schwach, aber unablässig geschüttelt hatte.
«Ich werde noch einmal die Vorbereitungen kontrollieren. Ich lasse euch jetzt allein.«
«Gern, meine Perle. «Arbogast deutete eine Verbeugung vor seiner Frau an. Sie zwinkerte Meno zu und ging.
«Verzeihen Sie meinen matten Händedruck. Das ist die Folge, wenn man für eine halbe Sekunde die rechte Hand in den Eine-Million-Volt-Elektronenstrahl eines van de Graaff-Generators steckt. Wissen Sie, was das ist? — Macht nichts. Das entspricht der ionisierenden Wirkung eines Radiumpräparats von hundert Kilogramm, was natürlich hypothetisch ist. Marie Curie hatte gerade mal ein Gramm zur Verfügung, und das ist für Radium eine beträchtliche Menge. Nun«, sagte Arbogast kühl, die fleckig verbrannte Haut seiner Hand betrachtend,»für den Rest meines Physikerlebens werde ich wissen, wovon ich rede, wenn ich über Strahlenschäden spreche. Die Finger sind ein wenig steif geblieben … Beim Tennis ist das eher nützlich. Und Trude hat sich auch noch nicht beklagt. Meine Frau. «Arbogast blickte auf die Uhr.»Wir haben noch zweiundfünfzig Minuten und sechzehn Sekunden bis zum Beginn des offiziellen Teils des Abends. Ich möchte mich mit Ihnen gern etwas unterhalten. Wenn Sie gestatten?«Arbogast sprach mit leichtem Näseln und norddeutscher Färbung, was Meno erst beim Wort» gestatten «aufgefallen war, das der Baron mit getrenntem» st «gesprochen hatte.
Im ersten Stock bestand der Fußboden aus glattpoliertem tonfarbenem Stein mit eingelagerten Meeresschnecken und Ammoniten, die meisten von der Größe eines Markstücks, einige mit dem Durchmesser handelsüblicher Wecker-Ziffernblätter, manche tellergroß, mit deutlicher Kammerung. Arbogast bemerkte Menos Interesse, wartete an einer doppelflügligen Glastür in der Mitte des Flurs, in die ein Wucherwerk von Farnen eingeschliffen war, bizarren, eisnadelhaften Gewächsen, sehr kunstvoll gearbeitet. Als Türklinken dienten Seepferdchen aus Bronze.
Arbogast geleitete Meno durch einen Raum mit einem Konferenztisch, an dem Herr Ritschel und einige andere weißbekittelte Assistenten langsam und ohne aufzusehen in Journalen blätterten, in sein Arbeitszimmer, wobei er Menos Versuch, in die Runde zu grüßen, mit einem vorsichtigen Winken unterdrückte. Das Arbeitszimmer lag neben dem Konferenzraum und war nüchtern eingerichtet: ein großer Schreibtisch mit zwei Telefonen, zwei Sessel, die im stumpfen Winkel zueinander standen, Bücherschäfte, die Meno schon beim Eintreten neugierig musterte: Romane von Karl May standen neben Handbüchern der Optik, einige Bücher der Dresdner Edition neben in Leder gebundenen Jahrgängen von Zeitschriften zur Physik. Das System, nach dem diese Bibliothek geordnet war, konnte Meno nicht erkennen, bis ihm auffiel, daß die Bücher eines Schaftes jeweils die gleiche Höhe besaßen.
«Es sieht besser aus, ich mag diese Ordnung, die Ihnen vielleicht barbarisch vorkommen mag, aber wissen Sie … Setzen wir uns doch. Rauchen Sie?«
«Ab und zu«, log Meno,»selten, und … nicht hier, Herr Professor.«
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