Uwe Tellkamp - Der Turm

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Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch: Das Dresdner Villenviertel, vom real existierenden Sozialismus längst mit Verfallsgrau überzogen, schottet sich ab. Resigniert, aber humorvoll kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Anne und Richard Hoffmann, sie Krankenschwester, er Chirurg, stehen im Konflikt zwischen Anpassung und Aufbegehren: Kann man den Zumutungen des Systems in der Nische, der "süßen Krankheit Gestern" der Dresdner Nostalgie entfliehen wie Richards Cousin Niklas Tietze — oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Ausreise zu wählen? Christian, ihr ältester Sohn, der Medizin studieren will, bekommt die Härte des Systems in der NVA zu spüren. Sein Weg scheint als Strafgefangener am Ofen eines Chemiewerks zu enden. Sein Onkel Meno Rohde steht zwischen den Welten: Als Kind der "roten Aristokratie" im Moskauer Exil hat er Zugang zum seltsamen Bezirk "Ostrom", wo die Nomenklatura residiert, die Lebensläufe der Menschen verwaltet werden und deutsches demokratisches Recht gesprochen wird.

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«Sie ist in das Magasin gegangen, weil sie dort, glaube ich, Apfelsinen hatten, außergewöhnlich für August, und als sie wieder herauskam, fand sie ein fremdes Kind in ihrem Kinderwagen.«

— Pliés, Pirouetten, komplizierte Tangofiguren: Eduard Roeckler schien dafür geboren zu sein, obwohl das Tanzen nicht immer sein Beruf gewesen war; seine Leidenschaft war es, wie überhaupt die Kunst; Leidenschaft und Schönheit, die sie vermitteln kann, berührten ihn tief. Er wollte Maler werden, belegte an der Kunsthochschule einen Kurs für mikroskopisches Zeichnen, der ihm im Krieg, wo es ihn bis Königsberg und Riga verschlug, das Leben rettete; er lernte eine Frau kennen, ebenjene schwebende Magdalene Roeckler, die aus einer Tanzlehrer-Dynastie stammte; auch er wollte nur noch tanzen nach diesem Krieg. Von seiner Leidenschaft für das Malen und das mikroskopische Zeichnen zeugten Hunderte von Bildern an den Wänden seiner Tanzsäle; große Spiegel, wie sie in anderen Tanzschulen aufgehängt waren, hielt er für unnütz:»Wenn schon Spiegel, dann ein nahes Gesicht«, pflegte er zu sagen.

«Der Posten rief nach einem Arzt, an diesem Tag war der Mikrobiologe des Lazaretts da, Doktor Varga, der Rumäne. Der gab ihr eine Spritze, und sie kam wieder zu sich. Das fremde Kind hatte viele Operationen gehabt, wie dann festgestellt wurde. Silke Roeckler schrie, sie war völlig hysterisch.«

«Wie können Sie so reden, Frau Knabe«, murrte Herr Kühnast.»Sie haben ja keine Kinder. Versetzen Sie sich doch mal in die Lage der armen Frau, einfach furchtbar. — Was geschah dann?«

«Natürlich wurden sofort Ermittlungen angestellt. Der gesamte Lazarettkomplex, alle Russenvillen auf dem Lindwurmring und in der Grünleite wurden abgesperrt.«

Und Meno erinnerte sich, wie man ihn gebeten hatte, zu dolmetschen, denn auch er hatte erfahren, daß es Apfelsinen im Magasin geben sollte und war, um Anne eine Freude zu bereiten, an diesem Tag, einem heißen Freitag im August, früher aus der Dresdner Edition nach Hause gefahren; Barbara, die er angerufen hatte, war aus der Pelzschneiderei» Harmonie «gekommen; eine Frau hatte ihn angeblickt und:»Sie sind ja auch so ein Russenknecht«, gesagt, leise, aber deutlich hörbar. Der Lazarettkommandant war verzweifelt, er versprach, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Sache aufzuklären und das richtige Kind wieder herbeizuschaffen.

«Es ist nicht gelungen, sie haben das Kind bis jetzt nicht gefunden.«

«Wie alt war der Junge?«fragte Herr Kühnast.

«Acht Monate. Das falsche Kind ungefähr ebenso alt.«

«Aber dann muß man das doch rauskriegen können. Das Kind muß von einem Spezialisten operiert worden sein, den kann man doch finden, Frau Knabe. Und der wiederum wird doch wohl die Mutter kennen.«

«Irgendwo an der russischen Grenze, habe ich gehört, verliert sich jede Spur.«

«Vertuschung. Man hält’s nicht für möglich. Dann wächst der kleine Roeckler jetzt als Russe auf, ohne Erinnerung an seine richtigen Eltern, ohne ihre Sprache zu sprechen. Aber man kann doch ein acht Monate altes Kind nicht unbeaufsichtigt lassen! Ich versteh’s nicht.«

«Ja, und dann hat’s ja diesen Soli-Basar gegeben, auf dem Lindwurmring. Der Lazarettkommandant, denn es ist ja nun mal auf seinem Territorium passiert, obwohl es gar nicht gesagt ist, daß das jemand aus dem Lazarett oder überhaupt ein Russe war, es gibt ja auch Besucher dort, war ganz erschüttert. Was glauben Sie, was da los war … Die haben das Unterste zuoberst gekehrt, und der Wachtposten, der in der Nähe stand, ist verhaftet worden.«

«Gott, ja, dieser Soli-Basar mit Matrjoschkas, Tschai aus dem Samowar und Akkordeons … was die eben haben.«

«Das ist sehr herablassend, finden Sie nicht? Sie können nichts dafür, Herr Kühnast«, sagte Meno.

«Schon gut, Herr Rohde. Wir wissen, woher Sie kommen. Und Sie haben ja auch keine Kinder.«

Meno erinnerte sich: Die russischen Frauen hatten gekocht, einen großen Kessel voll, und warteten angstvoll und verlegen. Viele Anwohner waren zu diesem Soli-Basar gekommen. Sie hatten sich schweigend in Bewegung gesetzt, und einer nach dem anderen hatte in den Kessel gespuckt.

«Ja, und dann ist die Magda Roeckler vorgetreten und ist zu den Russen gegangen und hat genau das Gleiche gesagt wie Sie, Herr Rohde. ›Sie können nichts dafür.‹ Und dann hat sie noch gesagt: ›Bitte, liebe Menschen … nicht so!‹«

Herr Unthan, der blinde Bademeister, kurbelte Eimer um Eimer warmes Wasser in die Vorratsbehälter während dieser Erzählungen.

63. Kastalia

schrieb Meno,

Stuben, übereinandergeschichtet, verbunden durch dünne Brücken und Leitungen klobiger Telefone aus schwarzem Bakelit. Vater sagte:»Hütet euch vor Ländern, in denen Gedichte hoch im Kurs stehen. Dort, wo die Menschen in den Straßenbahnen Verszeilen rezitieren, andere einfallen, am Ende ganze Abteile von Reimen widerhallen, Angestellte mit tränenfeuchten Wangen, mit der Rechten an den Straßenbahn-Halteriemen geklammert, in der Linken die Fahrkarte für den Kontrolleur, der erst zu Ende rezitiert, ehe er die Fahrkarten locht«, er läßt weder eine Verszeile noch eine Fahrkarte aus und bringt es fertig, weinend von der Schönheit der Verse Puschkins Strafbescheide auszustellen,»dort, wo in den Eishockeystadien vor der Mannschaftsaufstellung Majakowski aufgesagt wird«, der Stadionsprecher gibt vor, das Publikum skandiert nach,»in diesem Land herrschen Grausamkeit und Angst, herrscht die Lüge. Hütet euch vor dem Land, in dem die Dichter Stadien füllen … Hütet euch vor dem Land, in dem die Verse Ersatz sind. «Wahrheit, Wahrheit …! hallten die Chöre über den elbischen Fluß, die Gelehrteninsel kam in Sicht. Das Pädagogische Großprojekt … Die Aufklärung war eingeführt, der Bau wuchs Schicht um Schicht. Viele Jahre waren seit der Errichtung der Mauer vergangen, die das Land umschloß und die Hauptstadt, die Kupferinsel der Regierung, teilte. Viele Jahre waren die Rosen gewachsen, hatten die Zeit verlangsamt, und wenn ich die Gelehrteninsel betrat, die Papierrepublik, in den Hermes-Verlag zu einer der wöchentlichen Lektorats- und Gremiensitzungen ging, erschien mir die Schnelligkeit, mit der Wassertropfen von den schadhaften Rohrleitungen fielen, die unvermindert wirkende Schwerkraft, die Aschbecherinhalte aus den verknasterten Büros des Lektorats II in den mit Schmierölpfützen bedeckten Innenhof sinken ließ, unwirklich, so unwirklich wie die Gestalten, die sich im eigentümlich trockenen Sepialicht gemessen bewegten, meine Kollegen, meine Vorgesetzten; Wissenschaftler, die ein Gutachten ablieferten; Mitarbeiter der Institute, die uns Rückendeckung geben würden gegen die Forderungen der Zensoren, vor den ideologischen Bauchschmerzen streng dienender Genossen, der Beschränktheit, den Tücken, den Unberechenbarkeiten des Buchministeriums. Es befand sich in den Tiefen der Gelehrteninsel, zu erreichen nur mit Sonderkarte, ortskundiger Begleitung und geschicktem Wellenreiten durch die Paternosteraufzüge. Kreaturen, die mich anthropologisch interessierten, Kategorien von Höhlenbewohnern, blaß wie lichtlos gehaltene Pflanzen, an der oberirdischen Welt mit Knöcheln aus Telefonrasseln scharrend, dumpfe Stimmen, die sich aus versiegelten, durchgerosteten Katakomben hochzuranken schienen und uns maßregelten, weil wir es gewagt hatten, Prosa von Musil, Joyce, Proust in einer Anthologie zu verstecken in der Hoffnung, sie würden diesen Versuchsballon, klein wie eine Zitrone, nicht bemerken, und wir könnten sagen, wenn wir die Veröffentlichung der» Recherche«, des» Ulysses«, des» Manns ohne Eigenschaften «beantragten, daß es doch längst eingeführte Autoren seien … Sie waren, beschied man uns, die Speerspitze der westlichen Dekadenz,»unseren Menschen«(sie sagten meist» unsere Menschen«) nicht zuzumuten … Wir erfanden Nachworte, die wie Frachtbriefe die Unbedenklichkeit der Ware auf 100 Seiten deklarierten; wir schrieben Klappentexte, die wie Blei-Palisaden die Pfeile der undurchschaubaren Angreifer abhalten sollten; wir ließen die eine geliebte Karavelle in einer Phalanx von Schlachtschiffen mitschwimmen, starrten ängstlich aufs Telefon, das uns die Entdeckung unserer plumpen List verkünden, die Vernichtung der Karavelle und Erhöhung der Schlachtschiffzahl befehlen würde … Kreaturen wie Einsiedlerkrebse in Zimmern, deren Akustik die von Schneckenröhren war, zuckende Fühler bei jeder Abweichung, seismisch feine Antennen, die über die Textzeilen tasteten; Clownsfische in Seeanemonen, die in den Tentakeln tanzten und Angst hatten, zur Produktion des Signalstoffs nicht mehr fähig zu sein, der sie gegenüber den Freßgelüsten ihrer Wirtspflanze tarnte; Hammerhaie, blindwütig auf Blut aus, die alles zerfetzten, was eine fütternde Hand ihnen vor die Mäuler kippte; Seegurken, die nichts entschieden, glasig und schlabbrig wie eingekochtes Obst; Zitteraale und Muränen, die in den Riffen auf Beute lauerten; Remorafische, die sich am großen Walhai, genannt Sozialistischer Realismus, festsaugten … Der Hermes-Verlag war kein Verlag; er war ein Literaturinstitut. In der Stille verrauchter Lampen, auf- und abglühender Zigaretten, im galvanisch knisternden Aquarium lesender Augen, in dem Papiere wie die weißen Bäuche vorübergleitender Fische aufglänzten, forschten die Vertikal- und die Horizontal-Geographen, tauchten Lote in die vergangenen Stimmen, zupften an Meridianen und warteten auf Antwort. Wir gaben dem Volk das geistige Brot; wir waren ein Fenster zur Welt … Die Mauer schlang sich um die Gelehrteninsel, dies sozialistische Kastalien, dreifach gesichert: nach innen, nach außen und gegen das Lächeln; die Stacheldraht-Rosen trieben am Bau hoch, nur die Vögel blieben nicht hängen; Scheinwerfer suchten die Mauer ab, Hunde streiften an Laufketten durch das Niemandsland zwischen den Mauerringen. Überall die Reste vergangener Kulturen, Zeichen, die auf Entzifferung warteten, Kennpunkte in verrottenden Seekarten, aber die alten Kapitäne waren tot, die Astrolabien und Sextanten, mit denen man die Zeichen hätte lesen können, verkauft oder vergessen in den Museumsdepots unter der Stadt. Im Hermes-Verlag der Spruch im Vestibül, übriggeblieben wie so vieles in den atlantischen Häusern:»›Die Bourgeoisie ließ das literarische Erbe zerflattern; wir sind verpflichtet, es sorgfältig zu sammeln, zu studieren und durch kritische Aneignung weiterzuentwickeln‹, A. A. Shdanow auf dem I. Unionskongreß der Schriftsteller, 1934«;»Erziehung, Erziehung«, hauchte es in den Fluren, krächzte es aus den Telefonen, repetierte es aus längst aufgegebenen Archiven von Platten, die Kriechströme aus oberirdischen Quellen zu speisen schienen, so daß sie endlos weiterzukreisen imstande waren und, vielleicht erhellt von glimmenden» Auf Sendung«-Lampen, ihre Tonabtaster immer wieder in den Sprung schickten, aus dem die alten Grundsätze wie immer gleiche, Kiste um Kiste füllende Werkstücke von einer nicht abstellbaren Stanze herabfielen. Aber wir hatten Lust am Entdecken; Wissen war eine Speise, von der wir nicht genug bekommen konnten; Bücher waren heiliges Gut, und nichts fürchteten wir mehr als die Hitze, die in den Kellern schwelte, die Funken, die plötzlich, ohne Vorwarnung und von niemandem voraussagbar, aus den noch gebändigten Heizapparaturen fliegen konnten, den kochenden Ventilen, über Dichtwerg und Unterlegscheiben zugezurrten Flügelmuttern, brüchigen Schweißnähten und räudig gewordener Schamotte, ausgeleierten Gewinden und den verspeckten Schornsteinen, deren Ziegel die Säure dünngeraucht hatte; wir fürchteten das Feuer, manche von uns hatten schon einmal Bücher brennen gesehen. In den Lektoraten saßen Glasperlenspieler und hatten Fernrohre aufgebaut, die durch verschimmelte Bullaugen, durch gut getarnte Luken im Stacheldraht in die Kulturen fremder Länder spähten; Periskope, die Manuskripte schon kannten, wenn sie noch auf den Schreibtischen trockneten; mit größter Liebe und Sorgfalt wählten wir aus, was wichtig, richtig und wertvoll erschien … Ein treibender Kopf, ein auf Inspektionsreise befindlicher Jupiterkopf schwamm durch die Papierrepublik. Wir ankerten in Weimar, unsere Nabelschnur hing am Frauenplan; dort ging, eine Mutterkuchen-Scheibe, unsere Sonne auf, Fixstern Goethe … Menschen, beseelt von der Liebe zur Literatur, zum Wort, zum gutgemachten Buch (endlose Diskussionen bei Tee und» Juwel«über die Nachteile der Klammer- und die Vorteile der Fadenheftung, über Satzspiegel, Stegbreiten, Schriften, Einband- und Vorsatzblattfarben, die Qualität des Bindeleinens) hockten in den Kajüten der Gelehrteninsel und beugten sich jahrelang über rumänische und aserbaidschanische Lyrik, Übersetzungen aus dem Persischen, Grusinischen, Serbokroatischen, deren Qualität (und nur die der Übersetzung) von Redakteuren überprüft worden war, dachten mit eigens angestellten Stilredakteuren darüber nach, ob jemand mit» Jesuslatschen «oder nicht doch besser mit» Christussandalen «die Literatur betreten könne, und hinter ihnen, in den Wänden, den Heizungen, aus deren runzligen, knackenden und aus der Tiefe sonderbare Verdauungsgeräusche fördernden Rohren Dampf abwich, in den altfränkischen Schreibmaschinen und der behende bedienten Manufaktur aus Leimtöpfen, Scheren, Falzbeinen und» Barock«-Tintenfäßchen mit Eisengallustinte (manchmal glaubte ich, das Kratzen von Gänsekielen auf dem Konzeptpapier aus dem VEB Papierfabrik Weißenborn zu hören; aber es waren nur die handelsüblichen ATO-Federn, mit denen die Glasperlenspieler Notizen oder Entwürfe zu Gutachten kritzelten); in den Mahl- und jahreszeitlich wechselnden Schmatzgeräuschen des Flusses schabten die Uhren, gor die Zeit, die meßbare, griesig und submarin, während das Pendel der anderen Zeit, die den Dingen Entwicklung und Wandel gab, langsam wie ein Metronomweiser, an dem das Gewicht an die äußerste Spitze geschoben ist, hin- und hertorkelte … Wen erreichten wir? Manchmal hatten wir das Gefühl, an den Menschen abzuprallen oder, schlimmer, durch sie hindurchzuwerfen; nicht sie, sondern uns selbst zu sehen, wenn wir aus den Fenstern der Insel in die atlantischen Wohnungen zu blicken versuchten. Wer waren die anderen? Was erreichte sie von dem, das wir für wichtig hielten? Philosophen forschten in Gelehrtenstuben hoch über der Mauer an utopischen Sozialisten, ich dachte an Jochen Londoner, Exil in England, mit dessen Tochter Hanna ich verheiratet gewesen war, nun brütete er in seinem Institut, das einer trockenen barocken Holzschraube glich, über der Geschichte der Arbeiterklasse, sann den Problemen der sozialistischen Planwirtschaft hinterher, Sachgebietskärrner kommentierten die kanonischen Schriften, schlossen sich ans Blutgefäßsystem der MEGA an — Marx-Engels-Gesamtausgabe —, halfen, die Sonne der Einzigen Ideologie aufgehen zu lassen. Das Professorenkollegium tagt. Das Verbalerotiker-Kollegium tagt. Man redet sich die Köpfe heiß über einen entscheidenden, unverzichtbaren, lebensrettenden Aspekt des atlantischen Daseins: die Farbe der Häuserwände: War es Scheuerlappen- oder Abwaschwassergrau? Welches Abwaschwasser? Das der Interhotels oder das der Betriebskantinen? Volkseigenes oder privates? Hatten die verschmorten Karyatiden an Leningrader Palästen das Grau von Fensterkitt? Faunsohren, steinerne Pflanzen, der von Einschußklumpen blatternarbige Putz (Lymphknoten, Krebsflechten aus dem letzten Krieg) — welcher Grauton war es, den sie in Verfallsjahrzehnten angenommen hatten? Wir dachten an Grisaillemalerei. An Sorgengrau. Grisettengrau. Argusaugengrau. Gefängnisinsassenkleidungsgrau. An Herrenmodegrau, Schneckengrau, Groschengrau, Austerngrau, Baumbast, Wolfsgrau, Bleistiftgrau, Elefantengrau. War es nicht ein Braun, diese Farbe? Aschefarbe. Tonig-pulvrig, schal, holzig, von der Zeit, den Abgasen, dem sauren Regen hergestellt; der Putz wirkte flöhig wie das Zwiebackfell der Trampeltiere. Wir gerieten in die Zone der Rechtfertigungen. Was war es, das Große Projekt? Der Nachbau der Wirklichkeit, um sie nach unseren Träumen formen zu können …

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