Es war nicht der Killer. Es war sein Agent. Das ist kein Witz. Als solchen stellte er sich mir vor. Der Zuhälter wollte sich an unserem Gespräch nicht beteiligen, er nahm die Vermittlungsgebühr und verschwand.
Der Agent sagte: ›Wir brauchen Name, Adresse und Fotos.‹
Ich sagte: ›Ich habe keine Fotos.‹
Er sagte: ›Ich verstehe.‹
Er verstand wirklich. Er verstand, daß ein Mensch zwar einen anderen Menschen umbringen lassen will, daß er aber nicht den Mumm hat, ihn vorher zu fotografieren.
Er sagte: ›Wir werden das erledigen.‹
›Was erledigen?‹ fragte ich.
›Das Fotografieren.‹
›Und wenn Sie den Falschen fotografieren?‹
›Bestimmt nicht.‹
Wir standen nebeneinander und schauten auf den Fluß hinaus, auf dem ein Frachter auf den Hafen von Lissabon zusteuerte. Zwischen der Kajüte und den aufgestapelten Holzcontainern war eine Wäscheleine gespannt, an der bunte Hemden und weiße Unterhosen hingen. Eine Frau stand davor, die Fäuste in die Hüften gestemmt, ein Kopftuch über den Haaren, sie blickte zu uns herüber. Ich war so aufgeregt, daß ich mir den Mann neben mir bisher gar nicht richtig angesehen hatte. Er war klein, stämmig, kurzhalsig und kurzatmig. Obwohl erst früher Nachmittag war, zeigten sich schon die Stoppeln an Wangen, Oberlippe und Kinn. Die ganze Zeit lächelte er breit. Über Geld hatte er bisher noch kein Wort verloren. Er sprach Portugiesisch mit einem französischen Akzent. Er sah weder unheimlich noch verschlagen aus. Wie ich es mir vorgestellt hatte, fragte er mich, ob ich es gleich oder erst später erledigt haben wolle. Mit dem folgenden Satz habe ich die Sache im Indikativischen, in der Wirklichkeit verankert.
Ich sagte: ›Erst in eineinhalb Jahren.‹
›Ich verstehe‹, sagte er wieder. Und ich war überzeugt, es war wieder nicht nur eine Floskel.
›Und was geschieht jetzt?‹ fragte ich.
›Sie nennen mir Name und Adresse‹, sagte er. ›Ich gebe die Fotos in Auftrag. Wir treffen uns noch einmal. Ich zeige Ihnen die Fotos. Sie bestätigen, daß es sich um die Person handelt. Sie bezahlen das Honorar. Und damit ist die Sache für Sie erledigt.‹
›Das gesamte Honorar?‹ fragte ich.
›Ja‹, sagte er.
›Und welche Sicherheit habe ich, daß Sie mich nicht bescheißen?‹
›Keine‹, antwortete er und enthob mich der Peinlichkeit weiterzufragen, indem er ausführte: ›Ich weiß, sie dachten, die Sache läuft anders. Daß sie bei Auftrag die Hälfte bezahlen und bei Erfüllung die andere Hälfte. So ist das vielleicht irgendwo anders. Vielleicht in Amerika.‹ Dabei zeigte er mit der ausgestreckten Hand stromabwärts. ›Aber bei uns ist es nicht so.‹
›Das gesamte Honorar auf einmal‹, sagte ich, ›werde ich nicht bezahlen, unbeachtet, wieviel es ist.‹
›Dann kommen wir nicht ins Geschäft.‹
›Dann kommen wir nicht ins Geschäft‹, wiederholte ich in trotziger Verlegenheit.
Er dachte nach. Ich solle morgen noch einmal hierherkommen, sagte er. Vielleicht lasse sich etwas machen. Vorläufig wolle er meinen Namen und meine Adresse aufschreiben. Ich sagte, ich werde ihm meinen Namen und meine Adresse selbstverständlich nicht geben.
›Dann kommen wir nicht ins Geschäft‹, sagte er.
›Dann kommen wir nicht ins Geschäft.‹
Wieder dachte er nach. Ich solle morgen zur gleichen Zeit hierherkommen und ein Viertel des Betrages mitbringen. Einen Vorschuß auf die Spesen sozusagen. Er benötige zehn Tage für die Vorbereitungen. Nun endlich nannte er den Betrag. Es war so viel Geld, daß ich laut herauslachte. Er lachte mit. ›Ja, was haben Sie sich denn gedacht, daß ein Menschenleben kostet?‹ lachte er.
Ich diktierte ihm Daniels Namen. Er trug ihn in Blockbuchstaben in ein Notizbuch ein. Ich diktierte ihm Daniels Adresse. Nach jedem Wort hielt er mir das Buch hin, damit ich überprüfe, ob es richtig sei. Ich solle ihm den Mann beschreiben, sagte er, zur Sicherheit. Ich nannte ein paar Merkmale. Es könnte jeder sein, meldete sich noch einmal schwach der Konjunktiv in mir.«
Pause. — Auf dem Band ist nichts weiter zu hören, außer daß Carl einmal die Teetasse hebt und sie gleich darauf absetzt. Von mir kein Laut. Zwei Minuten Stille.
Carls Handy klingelt. Ein Ton wie ein Kinderxylophon.
Nach dem dritten Mal höre ich mich aus dem tiefen, hohlen Hintergrund sagen:»Es liegt auf dem Schreibtisch. Soll ich es dir bringen?«
Carl:»Es hört gleich auf.«
Ich:»Es wird Frau Mungenast sein.«
Carl:»Sie ruft nie auf meinem Handy an.«
Stille.
«Vielleicht hat dir jemand auf die Mailbox gesprochen«, sage ich.»Willst du sie abhören?«Meine Stimme klingt rauh, als wäre ich krank.
«Nein«, sagt er.
Womöglich habe ich mich unbewußt seiner Stimme angeglichen, auch sie hörte sich verwundet an. Der Grund dafür war: Die Wirkung des Morphiumpflasters ließ nach. Frau Mungenast gestand mir am nächsten Morgen, als wir beide allein frühstückten, daß sie gleich nach dem Mittagsschlaf das Pflaster hätte erneuern müssen, daß sie es aber wegen des Besuchs von Frau Brugger vergessen habe und später nicht mehr aus der Stadt herauffahren wollte, jedenfalls nicht, ohne daß man sie gerufen hätte.
Carls Stimme:»Ich war während dieses Treffens zu verwirrt gewesen, um vernünftig zu denken. Auch der Agent eines Killers, mag er noch so primitiv sein — er kam mir übrigens gar nicht primitiv vor —, vertritt seine Sache mit einer gewissen Logik. Auf dem Fußweg zurück in die Stadt wurde mir die makabre Schildbürgerei dieser Aktion deutlich. Die beiden, Zuhälter und Agent, wollten mein Geld und sonst nichts. Sie haben nicht den geringsten Ehrgeiz, korrekte Geschäftspartner zu sein. Sie kennen keinen Killer. Sie kennen ebensowenig einen Killer, wie ich einen Killer kenne. Sie sehen einen obergescheiten dummen Idioten vor sich, der aussieht wie ein reicher obergescheiter dummer Idiot. Sie sagen sich: Gehen wir auf ihn ein! Nehmen wir ihn aus! Der Zuhälter ist dumm wie Bohnenstroh. Aber der Agent hat Grips. Er ist der Psychologe in dem Duo. Er sagt: Wir spielen die Profis, die es gerade nicht so machen, wie man es im Kino macht. Er wird sich denken, sieh an, die machen es nicht wie im Kino! Und das wird ihn überzeugen, daß wir Profis sind. Genau so denken reiche obergescheite dumme Idioten, sagt der Agent. Womit er völlig recht hat. Was können die beiden verlieren? Nichts. Was können sie gewinnen? Im billigsten Fall bleibt ihnen die Vermittlungsgebühr für die Prostituierte und die Vermittlungsgebühr für den Zuhälter. Das ist zusammen nicht allzuviel, aber es ist nicht schlecht, auch geteilt durch zwei ist es nicht schlecht. Im besten Fall kriegen sie alles, und das wäre viel, sehr, sehr viel. Im zweitbesten Fall, denkt sich der Agent, holen wir die Vermittlungsgebühr plus ein Viertel des Honorars heraus. Sie sind Halunken, Gauner, Falotten, aber keine Mörder. Aber — das schoß mir glühendheiß ein, während ich am Tejo entlangging —, aber sie können mich erpressen. Ich habe ihnen zwar nicht meinen, aber Daniels Namen gegeben und seine Adresse dazu. Was tun sie, wenn ich aussteigen will? Werden sie sich mit den Vermittlungsgebühren zufriedengeben? Wahrscheinlich nicht. Sie werden mich suchen. Wie? Über Daniel. Die beiden sind vielleicht keine Mörder, aber sie verfügen über Möglichkeiten, einen Mann zu überzeugen, daß er den Namen und die Adresse eines anderen Mannes preisgibt — was ihm übrigens nicht schwerfallen wird, hat er doch eine alte Rechnung mit ihm offen. Agent und Zuhälter werden mich aufsuchen und zu mir sagen: Zahl weiter, oder wir besuchen ihn noch einmal und verraten ihm, was du wolltest, daß wir mit ihm anstellen. Was würde Daniel tun, wenn sie ihm erklären, daß ich ihn umbringen lassen wollte? Würde er zur Polizei gehen? Nicht anzunehmen. Was sollte er denen erzählen? Für eine solche Behauptung braucht man Zeugen. Es war wenig wahrscheinlich, daß Zuhälter und Agent vor der Polizei als Daniels Zeugen auftreten würden. Würde Daniel mit Margarida sprechen? Das allerdings war sehr wahrscheinlich. Und sie? Sie würde ihm glauben. Nicht, weil sie mir so etwas zutraute, würde sie ihm glauben, sondern weil sie Daniel nicht zutraute, daß er so etwas erfinden könnte. Was würde sie tun? Es war nicht sicher, daß damit unsere Ehe beendet sein würde. Es war nicht einmal wahrscheinlich. Ebensogut könnte es sein, daß ich ihr damit imponierte. Margarida liebte das Extravagante, sie liebte es mehr, als sie die Sünde haßte. Wahrscheinlich würde sie sich denken, ich hätte den Zirkus inszeniert, nur um ihr zu imponieren. Daß ich in Wahrheit natürlich nicht eine Sekunde daran gedacht hatte, Daniel tatsächlich umbringen zu lassen … — Schon steckte ich wieder bis zum Hals im Konjunktiv. Aber vielleicht ist es ja genau so geschehen. Wer weiß, vielleicht war Margarida einmal in ihrem Leben tatsächlich verschwiegen.
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