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«Ich wollte, daß es geschah, aber ich wollte es nicht tun. Und eigentlich war ich mir auch nicht sicher, ob ich wirklich wollte, daß es geschah. Diese undefinierbare Zwischenlage beförderte meine planende Phantasie. Allein die Vorstellung, mich in die Lage zu versetzen, Daniel Guerreiro Jacinto tot zu sehen, und zwar als Folge eines Entschlusses, den ich allein gefaßt hatte, verschaffte mir Zufriedenheit. Diese bestand darin, daß ich glaubte, mir versichern zu können: Du schaust nicht einfach nur zu, wie dein Leben ruiniert wird, du unternimmst etwas dagegen. Der erste Schritt war getan, als ich beschloß, ihn zu töten. Da war noch kein Gedanke an das Wie. Ich werde es tun. Ich eröffne mir diese Option. Ich werde es tun, wenn. Dieser Gedanke bestimmte die fünf Tage in São Paulo, inklusive die Stunden des Rückflugs. Als das ›wenn‹ eingetreten war, genügte dieser erste Schritt nicht mehr. Hätte mir Margarida mitgeteilt, sie habe mit Daniel gebrochen, sie werde ihn nie mehr wiedersehen — und so weiter —, dann wäre damit meine Option zwar nicht geschlossen worden — weiterhin hätte ich gelten lassen: wenn wieder, dann —, aber ein zweiter Schritt wäre nicht nötig gewesen. Nun war er nötig. Nach dem Ich-werde-es-Tun des ersten Schrittes konnte der zweite nur lauten: Ich werde es auf eine bestimmte Art und Weise tun. Wie? Ich wollte kein Blut sehen, und ich wollte nie wieder ein Geräusch hören, das so oder so ähnlich war wie das Aufschlagen eines menschlichen Körpers auf einer Eisdecke und das Durchbrechen derselben. Ich wollte in einem materiellen Sinn nichts damit zu tun haben. Ich würde einen Killer beauftragen. Der Konditionalis ist beachtenswert. Er besagt: Wenn ich einer wäre , der einen Mann tot sehen will, dann würde ich einen Killer beauftragen. Der Konjunktiv ist deshalb interessant, weil er sich abermals als ein vitales, antreibendes Element erweist. So lange ich ›wäre‹, ›hätte‹, ›würde‹ sage, so lange ist nichts entschieden, so lange bin ich kein schlechter Mensch, kein Verbrecher, so lange bin ich unschuldig in einer aufgeklärten Definition, die ein höheres Wesen, das einem in die Seele schaut, als Axiom nicht akzeptiert. Im Konjunktiv darf ich bis ans Ende gehen, und sei das Ende noch so entsetzlich. Ich bleibe rein, denn der Weg, den ich gehe, ist imaginär. Die Gedanken sind frei. Ich darf mir Zeit lassen, um mich an die Warnschilder der Tabus zu gewöhnen, die diesen Weg säumen. Ich stumpfe mich ab. Das Trainingsprogramm des Konjunktivs besteht in Abstumpfung: Wenn ich einer wäre , der einen Mann tot sehen will, dann würde ich …
Diesmal bestimmte ich , ob und wann das Wenn eintreten sollte — ich , nicht Margarida, nicht Daniel Guerreiro Jacinto. Allein ich. Das machte die Sache einfacher, aber natürlich auch viel gewichtiger. Ich war an der Peripetie meines Dramas angelangt. Bisher hatte ich nur reagiert, von nun an läge es in meiner Hand zu agieren. Ja, man muß sich mit solchen Gedanken Zeit lassen, man muß sie absinken lassen, man muß ihnen ihre eigene Bewegung zugestehen, ihre eigene Geschwindigkeit, ihr eigenes Gewicht. Man muß sie behandeln, als wäre man selbst nicht ihr Hervorbringer. Erst wenn sie sich verankert haben, darf man sie analysieren, darf man sie nach ihren Implikationen abtasten. Das dauert ein paar Tage, mehr nicht. Auch Hamlet hat nicht länger mit sich gerungen. Er hat viele Worte darum herum aufgehäuft, bei Gott, ja, aber schließlich ging’s doch ziemlich flott. Die Fragen spazieren von alleine daher. Erstens: Wie stellt sich jemand wie ich an, wenn er einen Menschen finden will, der für Geld bereit ist, jemanden zu töten? Unsereiner bezieht sein Wissen über professionelle Killer aus Kriminalromanen oder Gangsterfilmen. Andere Quellen kannte ich nicht. Zweitens: Ein Killer, so er sich in der Wirklichkeit ähnlich verhält wie in den Romanen und den Filmen — und sehr wahrscheinlich trifft das zu, denn Killer-Sein stellt eine so ausgefallene Existenzform dar, daß ein Mensch, der den Entschluß faßt, diese zu leben, sich an wenig anderem orientieren kann als an den Vorbildern aus Buch und Kino — ein Killer, sagte ich mir, tut, wenn man seine finanziellen Forderungen erfüllt, was man ihm aufträgt. Also: Wie lautet, präzise formuliert, mein Auftrag? Soll es aussehen wie ein Unfall? Oder wie ein Raub mit Totschlag als Folge? Die technische Ausführung ist Sache des Fachmanns. Sehr wichtig: Wann soll er es tun? Bis zum Semesterende würden Margarida, du und ich in Lissabon bleiben, Ende Juli würden wir nach Innsbruck zurückkehren. Es wird mir möglich sein zu verhindern, daß Margarida und ich in den nächsten zwei Jahren Lissabon besuchen. Wenn ich sage, ich will den Urlaub nicht in Lissabon verbringen, wird sie nicht darauf bestehen. Also: Die Tat soll in einem oder in eineinhalb Jahren geschehen. Ich meinte, mir damit ein gutes Alibi zu verschaffen.
Die vorläufig wichtigste Frage aber lautete: Wo finde ich einen Killer? Der Konjunktiv wirkte auch bei dieser Frage in mehrerer Beziehung förderlich. Der Konjunktiv führt einen vor weite philosophische Horizonte, er kann einen Mann mit der Aura der Unbezwinglichkeit umgeben, er ist aber auch der Pate scharfsinniger Irrtümer, und er ist ein äußerst geschickter Betrüger. Selbst wenn du bereits im Begriff bist, Taten zu setzen, dich also bereits im Indikativ bewegst, wiegt er dich noch in der Illusion, es sei nichts getan, solange es nicht bis zum Fait accompli getan ist. Wenn ich einer wäre, der einen Killer suchte — dann würde ich zum Beispiel … eine Prostituierte konsultieren, ihr das Doppelte von dem geben, was sie für ihre Dienste fordert, dafür aber nichts anderes verlangen, als daß sie mir ein Gespräch mit ihrem Zuhälter vermittelt. So, stellt sich der Unbedarfte vor, knüpft ein Unbedarfter Kontakt zu einem professionellen Mörder. Der Kenner würde vielleicht sagen: Niemals führt eine Prostituierte einen Kunden zu ihrem Zuhälter. Was aber, wenn sie es doch tut? Wenn der Unbedarfte recht bekommt? Sie hat mich zu ihrem Luden geführt. Und der sah genauso aus, wie sich ein Unbedarfter einen Luden vorstellt. Nun herrschte nicht mehr allein der Konjunktiv. Der erste indikativische Schritt war getan. Was sollte ich ihm sagen? Wenn ich einer wäre, der will, daß ihm ein Zuhälter Kontakt zu einem Killer herstellte, dann würde ich zu dem Zuhälter sagen: Ich suche einen Killer, können Sie mir helfen? Und genau das sagte ich. Wenn sich Schwierigkeiten ergäben, könnte ich mich immer noch auf die Socken machen und die Sache hinter mir fallenlassen. Geld würde ich wahrscheinlich verlieren. Und wenn schon. Ich bewegte mich im Indikativ, operierte aber immer noch mit dem Konjunktiv. Auf manche Menschen üben Zuhälter eine kontrapunktische Faszination aus, auf manche Literaten und Filmleute zum Beispiel. Ich denke, das liegt daran, daß Zuhälter gar nichts vom Konjunktiv halten, und das fasziniert Menschen, deren eigentliches Element der Konjunktiv ist. Mein Zuhälter jedenfalls hielt nichts vom Konjunktiv. Er nannte eine Summe, sagte, ja, er könne mir helfen. In dieser Reihenfolge. Das Geld war für die Vermittlung, er wollte es sofort. Es war eine nicht unbeträchtliche Summe. Ich sagte, ich hätte nicht soviel bei mir. Wir verabredeten uns für den kommenden Tag an einer bestimmten Stelle auf dem Fußweg am Tejo entlang in Richtung Belém, zwei Kilometer außerhalb der Stadt. Dort stehe ein Baukran, blau und nicht zu übersehen, zwanzig Meter weiter werde er auf mich warten.
Er war nicht allein. Als ich den Mann neben ihm sah, wollte ich umdrehen. Das ist der Killer, dachte ich. Wenn ich mit ihm das Gespräch aufnehme, verlasse ich den Konjunktiv endgültig. Sie hatten mich kommen sehen und mir den Rücken zugewandt. Vielleicht wollten sie mir die Chance geben, mich frei zwischen Konjunktiv und Indikativ zu entscheiden. Andererseits, sagte ich mir, was soll schon geschehen. Der Killer wird mir seine Bedingungen unterbreiten. Wenn ich damit nicht einverstanden bin, wird nichts sein — und wird auch nichts gewesen sein. Ein bißchen etwas gekostet haben wird es. Spesen.
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