Ich besorgte vier Rindsschnitzel, Frühstücksspeck, Senf, eingelegte Gurken, Zwiebeln, Karotten, mehlige Kartoffeln, Milch, Muskatnuß, zwei Dosen mit Rindsbrühe und eine Flasche herben Weißwein. Ich benötigte dafür einen halben Tag, fuhr sogar nach Manhattan hinüber.
Am späten Nachmittag wartete Maybelle an der Myrtle Avenue auf mich. Es regnete. Sie stand unter der Markise des Sportartikelladens, der an Gil Clancys Boxclub anschloß und in dessen Schaufenster Punchingballs und Sandsäcke von der Decke hingen; auf einer mannshohen Halterung Gewichte gestapelt und Boxerschuhe in allen Farben neben dazu passenden Boxershorts aufgereiht waren, als Begleitung schepperte Rapmusik aus zwei dünnen Lautsprechern. Auf der Straße war viel los, und ich war hier der einzige Weiße. Maybelle hatte sich ein Cape übergezogen, und als sie mich aus dem Taxi steigen sah, lief sie durch die schmale Gasse, die zum Hintereingang vom Gym führte. Sie wollte nicht, daß mich jemand zusammen mit ihr sah. Ich gebe zu, das ärgerte mich, und deshalb tat ich so, als hätte ich sie nicht gesehen und blieb vor dem Eingang des Clubs stehen, die Plastiktüten mit meinen Einkäufen in den Händen. Die Fenster zur Straße waren zugemauert, die Höhlungen mit Plakaten verklebt, über dem Eingang hing eine gelbe Neonschrift — Gil’s Gym —, sie war ausgeschaltet. Maybelle erschien wieder an der Hauskante und winkte mich hastig zu sich. Sie nahm meine Hand und stöckelte über eine Holzstiege hinauf, die zu einem Anbau auf der Hinterseite des Hauses gehörte. Ich trat in einen Vorraum, der wie ein Puff beleuchtet war, die Wände waren mit Bilderrahmen behängt, einer dicht neben dem anderen, Fotos hingen hier, mir schien, es waren Hunderte, auch Zeitungsausschnitte und Kinderzeichnungen, wie ich mit einem ersten flüchtigen Blick erfaßte.
«Ich denke, deine Leute sind nicht im Haus«, sagte ich.»Warum tust du so heimlich?«
«Ich will nicht, daß dich jemand sieht«, sagte sie.
«Das habe ich gemerkt.«
«Es ist eben so, mach dir nichts draus.«
Maybelles Zimmer war eng, und man konnte sich darin nicht bewegen, ohne irgendwo anzustreifen, es war vollgestellt mit Puppen, Bilderrahmen, Kissen und bunten Töpfen verschiedener Größe, aus denen Pflanzen wuchsen, echte und künstliche aus Plastik oder Seide. Unter einem der beiden Fenster stand eine Nähmaschine, darauf waren Stoffreste ausgebreitet und ein mit Bleistift gezeichneter grober Schnittplan und ein Stück weißes Fell. Auch ein Plattenspieler war in dem Zimmer, ein altes Ding mit dem Lautsprecher in der Abdeckung. In einer Ecke, abgeteilt durch einen glasperlenbestückten Vorhang, der nun zur Seite geschoben war, stand ihr Bett. Über dem Tisch in der Mitte des Zimmers lag ein Teppich, auf dem eine Jagdszene wie aus Tausendundeiner Nacht zu sehen war — ein Mann saß auf einem glänzendschwarzen Pferd, er hatte einen Turban um den Kopf gewunden und war eingezwängt in einen goldprunkenden Jagdrock, die Beine steckten in purpurnen Pluderhosen, er hatte einen kurzen Reflexbogen gespannt und zielte mit dem Pfeil auf eine Gazelle, die gerade über einen blütenbesetzten Busch sprang. Mitten in dem Dreieck der gespannten Bogensehne stand ein gezuckerter Marmorkuchen, daneben eine Kanne mit Tee. Maybelle zog sich das Kleid über den Kopf, sie trug darunter keinen BH, nur einen leuchtendweißen Slip.
«Mir wäre es lieber, wir tun es erst nachher«, sagte ich.
«Wann nachher?«fragte sie.
«Nach dem Essen.«
«Wie du willst«, sagte sie und schlüpfte wieder in ihr Kleid.»Tee auch erst nach dem Essen?«
«Ich habe nicht gemeint nach dem Essen«, korrigierte ich mich, ich war auf einmal sehr verlegen,»ich meinte nach dem Kochen. Es dauert sicher zwei Stunden, bis das Essen fertig ist.«
«Gut, nach dem Kochen«, sagte sie.
Ich folgte ihr über eine Treppe hinunter in die Wohnung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes. Es roch nach Weihrauch oder irgendwelchen Räucherstäbchen und nach Putzmittel. Die Küche war geräumig und eingerichtet wie bei einer Fernsehfamilie, der Herd rundum zugänglich, davor eine Bar mit drei Hockern. Ich glättete das Fleisch mit einem Löffel, rieb es mit Salz und Pfeffer ein, bestrich es auf einer Seite mit Senf, legte je zwei Scheiben Speck darüber, rollte eine Zwiebelscheibe, ein Stück Karotte und eine halbe Essiggurke in das Fleisch ein und befestigte es mit einem Zahnstocher. Ich briet die Rollen kurz in Butter an, so daß sie eine braune Kruste bekamen, und legte sie beiseite, zerhackte grob die Reste der Zwiebeln, des Specks, der Karotten und der Gurken, briet sie ebenfalls in der Pfanne, bestäubte sie mit Mehl und löschte mit Wein ab. Schließlich legte ich die Rouladen in einen Topf, goß den Sud mitsamt den Einlagen darüber und füllte mit Suppe auf. Ich schaltete den Herd auf kleinste Flamme.
Oben in Maybelles Zimmer wollten wir uns die Wartezeit mit Sex vertreiben, aber wir kamen nicht dazu. Es klopfte an die Außentür. Maybelle legte den Finger auf ihre Lippen, trat hinaus auf den Gang und zog die Tür zum Zimmer hinter sich zu. Ich hörte eine Männerstimme und lauschte. Es war unverkennbar die Stimme eines Schwarzen, und wie mir schien, war es eine junge Stimme. Ich verstand höchstens die Hälfte, der Mann sprach verschliffen und durchsetzt mit Slangworten, von denen ich viele nicht kannte. Worum es in diesem Gespräch ging, schloß ich hauptsächlich aus dem, was Maybelle sagte. Und das reimte ich mir zusammen: Der Mann wollte Maybelle besuchen, er meinte, die Gelegenheit sei gut, weil Maybelles Tochter und deren Mann außer Hauses seien; und es bestand auch nicht der geringste Zweifel, warum der Mann Maybelle besuchen wollte. Maybelle sagte, heute sei es nicht günstig, und sie sagte, nein, sie wolle nicht, daß er hereinkomme, auch nicht für eine Minute. Der Mann verfiel in einen weinerlichen Ton, und Maybelle redete auf ihn ein wie auf ein Kind. Eine Weile war es still. Dann hörte ich, wie Maybelle die Außentür abschloß. Er war wohl ohne Gruß gegangen. Sie sagte nicht, wer dieser Mann gewesen war, sie erfand keine Story für mich; sie sagte gar nichts. Und ich fragte nicht.
7
Zwei Monate nach unserem Ausflug nach Hyde Park — die Bäume auf der Carlton Avenue waren längst schon kahl — brachte mich Maybelle mit dem Ehepaar Sarah Jane und Fabian McKinnon zusammen. Die beiden waren meinetwegen aus Manhattan zum Fort Greene Park gekommen. Wir hätten in ein Café gehen können, es war bereits empfindlich klamm draußen, aber keiner machte den Vorschlag. Die McKinnons arbeiteten an der City University in der Nähe vom Times Square, am Hunter College. Sarah Jane schätzte ich auf Ende Zwanzig, sie sah aus wie eine Frau, die sich erst vor kurzem sehr viel Gewicht abgetrotzt hatte, ihr Kopf war schmal, und ihr Gesicht wirkte hohl, ein Eindruck, der durch die langen, glatten blonden Haare noch verstärkt wurde. Sie hatte ein mädchenhaftes, unregelmäßiges Lächeln, und sie lächelte bei allem, was sie sagte. Sie war Ethnologin. Fabian, ihr Mann, war Musikwissenschaftler. Er wirkte knurrig, sah auch aus wie ein Bär, groß, umfangreich, zottelhaarig, dunkelbärtig. Sie hatten über einen — von Maybelle präparierten — Bekannten erfahren, daß ein Schriftsteller aus Vienna in Brooklyn lebe, der ein exquisiter Kenner der mittel- und osteuropäischen Volksmusik sei und — das hatte ihnen Maybelle persönlich am Telefon erzählt — vorübergehend in Amerika lebe, um ein Buch zu schreiben, in dem er sich vergleichend mit der europäischen und amerikanischen Folklore auseinandersetze. Dieser Schriftsteller war ich. (Nach dem Treffen gestand mir Maybelle:»Das mit dem Vergleich habe ich mir ausgedacht. Was nämlich nichts mit Amerika zu tun hat, interessiert diese Leute nicht.«)
«Schon viel von Ihnen gehört«, begrüßte mich Fabian und schüttelte mir die Hand. Sarah Jane fragte, ob ich wisse, wer Alan Lomax sei. Ich wußte es nicht. Das verwirrte sie, und beide blickten zu Maybelle hinüber, die aber hatte ihren Voodoo-Blick aufgesetzt.
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