Souad sagte in eigentümlich wegwerfendem Ton, bei Hans handele es sich um den neuen Mieter der Dachwohnung.
«Der Dachwohnung«, sagte die alte Dame bedeutungsvoll, als habe sich dort oben etwas ihr nur allzu Bekanntes abgespielt. Sie hatte überraschenderweise einen leicht englischen Akzent, sprach aber gleichfalls gut deutsch.
«Dann werden Sie mit dem Hausbesitzer zu tun bekommen«, diese Bemerkung hatte etwas Unheilvolles.
«Der Hausbesitzer, ach Gott, ach Gott!«rief der Betrunkene.
«Viel Vergnügen«, sagte Barbara, sie nutzte die Gelegenheit, dem gedämpft auf sie einredenden Souad zu entkommen.
«Was, Hausbesitzer?«Souad war geradezu empört.»Das wird alles von mir abgewickelt.«
Die schwarze Dame wandte sich Hans mit Verschwörermiene zu.»Souad ist klug und hat vieles in der Hand, aber nicht alles.«
«Es gibt Menschen, die sind klüger als Gott«, sagte der Betrunkene sichtlich in der Hoffnung, in diesem Gesprächsmoment genau das Passende eingeworfen zu haben. Sein Glück machte ihn so stolz, daß er über seinen Einwurf nachdenken mußte und den eben angeknüpften Faden wieder verlor. Die Dame sandte einen trauernden, gleichwohl brennenden Blick in seine Richtung und machte dann mit der Hand eine vornehme Geste, eine Art Kreiseln vor ihrer gemeißelten Stirn: Der Arme ist durcheinander, sollte das heißen. Sie konnte das natürlich nicht erschüttern.
Hans stamme gewiß aus Frankfurt? Nein? Sie gleichfalls nicht. Sie sei in Damaskus geboren, als Tochter syrischer Kopten.»Ich heiße Despina Mahmouni«, sagte sie, als sei das der erste Satz aus einem bedeutenden Roman des neunzehnten Jahrhunderts, und das war er vielleicht auch.
«Barbara, ich bin dein Freund, ich will verhindern, daß du eine Dummheit machst«, sagte Souad jetzt mit erhobener Stimme.
«Ich bin ein freier Mensch. «Die Spitznasige ließ die Augen zwischen den baumelnden Locken in unbesiegter Freude funkeln.»Und zur Freiheit gehören auch die Dummheiten — es ist schließlich mein Geld.«
Souad lauschte ihr mit dem Ausdruck eines tobsüchtigen Frosches. Was seine rhetorische Schlagkraft schwächte, war freilich das Telephon. Immer, wenn er besonders schnell und treffend hätte antworten müssen, ließ es seine Brust erzittern, und immer erstarrte er dann, als könne er sich dies krabbelnde Beben in seiner Brusttasche einen Augenblick lang nicht erklären: War ihm da etwa ein großer Nachtschmetterling ins Hemd gekrochen? Dann hatte er sich selbst und den Apparat wieder im Griff und sandte seinen Geist in unbekannte, ferne Zonen. Der Barbara hingegen war er die Antwort schuldig geblieben.
«Mein Leben hat sich früh entschieden«, sagte Frau Mahmouni.»Als ich Damaskus verließ, war ich zwanzig Jahre alt und schwanger — der Vater meines Kindes war Schotte, und ich folgte ihm nach Glasgow. Mein Vater hatte bankerott gemacht — zum Abschied gab ich ihm drei Pfund Sterling, alles, was ich besaß, ich verließ Syrien ohne einen Sou. Mein Vater weinte vor Rührung und segnete mich und sagte mir: Alles, was du anfassen wirst, wird zu Geld werden. Und so ist es auch gekommen, obwohl ich das erste Vermögen, das ich erworben habe, auch wieder abgeben mußte — mein erster Mann war ein Lump, Trinker, süchtiger Wetter auf Hunderennen, hatte ein jahrelanges Verhältnis mit seiner eigenen Tochter — ich habe die Beweise, aber was wollen Sie …«Ihr harter Blick rechnete nicht mit diesem Mann ab, der ein Verlorener war. Sie hatte den Ausdruck einer Spielerin, die in mondänem Aufzug am Roulettetisch steht, ihre Chancen kalkuliert und den hohen Verlust ohne Wimpernzucken einsteckt: Schuld oder Leichtfertigkeit hat sie sich nicht vorzuwerfen, und auch das Risiko war ihr vorher bekannt.
«Er wollte mich ins Irrenhaus stecken«— in der Entrüstung über diesen Streich des Verblichenen verbarg sich auch Verachtung für den schlechten Spieler. Hans wurde jetzt erst bewußt, daß sie ihn während der letzten Bekenntnisse fest am Unterarm gepackt hielt, als sei der eine geschnitzte Sessellehne. Sie beugte sich ein wenig zu ihm und ließ ihr lose sitzendes Gebiß — in diesem Gaumen gab es keine fleischliche Substanz, an der ein solches Stück hätte festen Halt finden können — zu den geschlossenen Lippen nach vorn quellen, was ihr Gesicht überraschend verformte, aber auch glättend anspannte.
«Souad macht es nicht gut«, raunte sie.»Die Dame dort ist frisch geschieden und recht gut abgefunden worden. Sie sucht eine Anlage, und Souad will, daß sie ihm ihr Geld anvertraut. Dabei weiß er noch gar nicht, wieviel es ist — nicht viel mehr als hundertachtzigtausend Euro, ich habe es mitgehört, als sie vorhin auf Spanisch telephoniert hat. Er denkt, er könnte den ›Habsburger Hof‹, das Hotel gegenüber, mit ihrem Geld kaufen, er ist ganz verrückt danach, und dabei weiß er noch immer nicht, daß der ›Habsburger Hof‹ niemals ihm gehören wird. «Sie legte den knochigen Finger über die dünnen, jetzt zusammengepreßten Lippen und sah Hans starr und drohend an. Er gab sich alle Mühe, so leise wie möglich zu schwören, daß er nie ein Wort über diese Zusammenhänge verlieren werde.
«Du bist eine blöde Kuh«, rief Souad jetzt,»ich liebe dich, und deshalb macht mich das wütend.«
«Tja, Immobiliengeschäft macht immer viel Arbeit«, antwortete Barbara. Ihre gute Laune war das Geschenk einer ungehemmten Selbstgefälligkeit. Dann beugte sie sich zu Hans und fragte anheimelnd-gesellig-herzlich:»Und was machen Sie so Schönes?«
Hans sah sich nach den Ukrainern um, aber die waren längst stumm im Dunkeln abgezogen.
«Sie haben hier den Riesenvorteil, daß ich tagsüber oft in der Autowaschanlage bin und von dort aus alles am Haus überblicken kann«, sagte Abdallah Souad.»Es kann praktisch niemand das Haus betreten, ohne daß ich das weiß. «Es wurde ihm, in dem Augenblick, da er sich rühmte, wohl selbst klar, daß man diese vollkommene Überwachung vielleicht nicht nur genießen mochte. Er fügte deshalb hinzu, daß er oft, allzu oft gar nicht hinüberschaue, er sei mit den eigenen Angelegenheiten mehr als belastet. Das Personal der Autowaschanlage, gegenwärtig zwei Männer, einer aus Ghana, der andere aus Albanien, bedürften eiserner Aufsicht. Es wisse heute niemand mehr, was Arbeit sei.
«Arbeit«, sagte Abdallah Souad mit anklagendem Nachdruck,»ein Fremdwort. Das muß überhaupt erst wieder gelernt werden. «Barbara war mit dem Taxi davongefahren, und es war der Äthiopier, der ihr mit unwandelbarem Lächeln den Schlag geöffnet hatte. Souad blieb mürrisch sitzen, war sitzend von Barbara, deren Lockenschlangen bei dieser Prozedur seinen Kopf verbargen, auf die Wangen geküßt worden, wobei sie, in dem Bestreben, die flüchtige Berührung mit den Lippen sinnlicher erscheinen zu lassen, als sie war,»Mm «und» Mm «bei jedem Kuß machte, und schaute ihr mit leerem Blick hinterher, als ein solchermaßen Geküßter wohl mit einem gewissen Recht. Wie sie kicherte und mit vorgestrecktem Popo in engen, dünnen Hosen schauspielerisch küßte, war sie vielleicht gar ein bißchen beschwipst. Frau Mahmouni harrte ungerührt weiter in der Nacht aus. Sie saß so hingegossen in dem Kunststoffklappstuhl, als entspanne sie sich nach Vorstellung bei der englischen Königin in einem Teezelt auf dem Rasen des Buckingham-Palastes. Jetzt wandte sie sich dem Äthiopier zu und sprach raunend und eindringlich in sein zart gelbliches Ohr. Später wurde klar, daß sie stets so lange ausharrte wie er, weil er sie nach Hause brachte. Er war Nachtportier in dem Hotel, in dem Frau Mahmouni wohnte.
«Es ist schrecklich mit einem Menschen, der nicht weiß, was er will«, sagte Souad.»Ich sage zu ihr: Du weißt nicht, was du willst. «Das war in seinem Verständnis eine beunruhigende Analyse, die sich seine Freundin zu Herzen hätte nehmen müssen, am besten so:»Ich sehe ein, daß ich nicht weiß, was ich will, und werde deshalb von jetzt ab tun, was du willst.«
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