*
Es war spät, als der junge Mann die Arbeit der Ukrainer abnahm und die beiden bezahlte. Es war dort oben in der Wohnung, als sei eine Woge weißer Dispersionsfarbe durch die Räume und den Korridor geschwappt. Auf dem dunklen Linoleum des Flurs und auf dem Holzboden des großen Zimmers — das Hans bereits Wohnzimmer nannte — leuchteten weiße Spritzer wie Gischtflocken. Wenn sie ganz trocken seien, könne man sie leicht mit einem Messer abkratzen. Die Männer, Vater und Sohn, wie sich jetzt herausstellte, waren maßvoll in ihrer Forderung. Die Räume leuchteten in unwirklicher Perfektion, als hätte sie ein japanischer Zen-Meister aus blendendweißem Papier gefaltet. Der junge Ehemann hatte kein Auge für Details. Er staunte, wie krachend neu dies vorher verwahrlost erscheinende Quartier unversehens aussah. Die Frau des ukrainischen Sohnes hatte sich unterdessen in der Küche beschäftigt und dort jeden Topf mit Sand gescheuert. Die Küchenschränke klebten nicht mehr, die Töpfe waren so angeschlagen und verbeult wie zuvor, aber von dem bräunlichen Fettfilm befreit. Der Herd und der Eisschrank, beides geradezu ehrwürdige Stücke — der Eisschrank gelegentlich laut brummend und dann plötzlich mit einer Art Schluckauf in Schweigen fallend —, waren aus dem Zustand der Unberührbarkeit in neue Brauchbarkeit gehoben. So traulich, wie in dem Eisschrank, den der junge Mann jetzt überprüfend öffnete, das Lämpchen leuchtete, würde man gern sofort ein paar Flaschen hier hineinlegen. Der Äthiopier im Parterre hatte noch geöffnet. Der junge Mann lud die Ukrainer, die Männer und die Frau, zu einem Glas dort unten ein. Nach stummem Blickaustausch zwischen den dreien wurde dies auch angenommen.
In der Stunde, die Hans mit seinen ukrainischen Hilfstruppen oben unterm Dach zugebracht hatte — es lag aber noch ein niedriger Speicher über der Wohnung, ganz ungehemmt prallte die Sonne nicht auf sie herab —, in der weißen Welt, die Kühle suggerierte, auch wenn einem bei ihrem Anblick der Schweiß herunterrann, war der Stehimbiß des Äthiopiers gleichsam umgewendet worden. Nach vorn zur Straße hin hatte der Mann einen eisernen Rolladen herabgezogen, dafür aber standen im Hof nun ein paar Klappstühle, und der Äthiopier holte für die Gäste, die sich hier niedergelassen hatten, die Flaschen durch die Hintertür seines Geschäftes. Das war eine Improvisation des Sommers. Die Polizei hätte vermutlich etwas dagegen gehabt, daß hier nun nicht mehr bloß gestanden, sondern nach Ladenschluß sogar gesessen wurde, aber da waren sich die Versammelten einig: Wenn wirklich ein Polizist um die Ecke gebogen wäre, hätte man die Zusammenkunft als private Feier bezeichnet.
«Nein, niemals kommt die Polizei«, hörte man Souad eifernd und rücksichtslos laut ausrufen, als wolle er die uneingeschränkte Sicherheit des Arrangements herausfordernd demonstrieren. Er selbst vermiete schließlich den Polizisten des Reviers den Kleinbus zu ihrem Betriebsausflug. Die Beamten seien ohnehin froh, in einem derart schwierigen Revier Stützpunkte der Verläßlichkeit zu wissen. Der Äthiopier war ein noch jüngerer Mann mit sehr heller, gelber Haut und einem Gesicht von etwas wächserner, lebloser Ebenmäßigkeit; er entsprach gewiß einem Schönheitsideal seiner Heimat. Er lächelte, aber er war so verschlossen, daß nicht klar wurde, ob dieses nächtliche Hinterhoftreiben aus einer eigenen geschäftlichen Initiative hervorgegangen war oder ob er auf Befehl Souads handelte. Er trank keinen Tropfen Alkohol und lächelte immer nur abwesend und etwas fahl, wenn er neue Flaschen herbeischaffte und die leeren verschwinden ließ. Auf die im Hof inzwischen herrschende rauschende Konversation ließ er sich nicht ein. Es war nicht deutlich, ob er überhaupt folgen konnte — das klärte sich aber in den nächsten Tagen, sein Deutsch war hinreichend.
Ein Teil des Hofes war von der weißen Bogenlampe der Straßenbeleuchtung in hartes, helles Licht getaucht, die andere Hälfte lag in einem davon scharf abgegrenzten, noch dunkler wirkenden Schatten. Der Mond am Himmel, schon abnehmend, strahlte wie ein Scheinwerfer. Man meinte die Mondgebirge mit den Augen gleichsam abschreiten zu können. In alten Schwarzweißfilmen sprach man bei Szenen, die in Dunkelheit spielten, aber mit hellem Lampenlicht gefilmt werden mußten, von einer» amerikanischen Nacht«, und einer Filmaufnahme glich dieser Kreis auf den Klappstühlen tatsächlich, allerdings nicht einer Szene mit Schauspielern, sondern einer Runde von Gehilfen, die bei Filmaufnahmen stets zahlreich zugegen sind, dort gewiß auch benötigt werden, aber die meiste Zeit doch wartend und schwatzend und Bierflaschen kreisen lassend zubringen müssen als irregulärer Landsknechtshaufen, dessen Pflicht darin besteht, sich zur Verfügung zu halten, wenn schließlich die Trompete geblasen wird.
Souad war der Herr dieser Versammlung, wie sich herausstellte, ein Despot, der die Ukrainer und Hans weniger willkommen hieß, als sie im Befehlston zum Hinsetzen und Mittrinken aufzufordern. Ein Blick aus seinen unruhigen Augen mußte genügen, den Äthiopier ins Haus und an den großen Eisschrank mit den Getränken zu beordern, denn inzwischen hatte das Telephon an Souads Brust gezittert. Er wollte in seiner Rastlosigkeit immer an mehreren Orten zugleich wirken.
Neben ihm saß eine Frau mit blonder Löwenmähne, einer Allonge-Perücke des siebzehnten Jahrhunderts ähnlich, die herabstürzenden dicken Locken ließen der spitzen Nase kaum genug Raum, aus ihnen hervorzustoßen. Souad hatte das Telephongespräch schnell und ungeduldig abgebrochen. Man schien am anderen Ende der Leitung nicht sofort gehorchen zu wollen. Jetzt übernahm er die Vorstellung.
«Das ist Monsieur Hans. «Die Löwenmähnen-Dame sagte:»Ich bin die Barbara.«
Erfreulich war es dem jungen Mann nicht, dies» Monsieur Hans«. Er fühlte, daß es ein Fehler war, sich so früh schon von Souad auf seinen Vornamen reduzieren zu lassen. Er war dann aber doch bereit, bei einem Ausländer, auch wenn der flüssig und mühelos und beinahe akzentfrei deutsch sprach, die Schwierigkeit in Rechnung zu stellen, sich einen langen Nachnamen mit ungewöhnlicher Buchstabenfolge zu merken. Man kann eine fremde Sprache bekanntlich vorzüglich beherrschen und kommt dennoch der Natur der einzelnen Wörter nicht näher, weil man deren Genese und Wurzeln nicht kennt und weil deren Umfeld und Stimmung einem unbekannt geblieben sind. Frau von Klein hatte ihrer Tochter mitgeteilt, daß sie den Namen Hans einfältig finde, sie gebrauchte den englischen Ausdruck» plain«, darin war auch das abschließende Urteil über den Träger eines solchen Namens enthalten. Ina hatte ihm versichert, daß es ihr gleichgültig sei, wie ihre Mutter über den Namen Hans denke, denn er sei der einzige Hans in ihrem Leben, tatsächlich sei sie niemals zuvor einem Mann mit diesem an sich häufigen Namen begegnet, und nun habe er diesen Namen derart mit seiner Person gefüllt, daß Überlegungen, wie vorteilhaft» Hans «klinge, gar nicht mehr aufkommen könnten, und er glaubte ihr. Aber eine Scharte in seinem Selbstgefühl hatte Frau von Klein doch hinterlassen. Jetzt im Hinterhof von jedermann Hans genannt zu werden und diesen Namen freudig-ironisch ausgesprochen zu hören, machte ihn befangen, als sei er in Wirklichkeit gar kein Hans, als segle er hier unter der Flagge eines unpassenden Pseudonyms.
Große Harmonie war dem Kreis im Hinterhof übrigens nicht anzumerken. Ein Mann war betrunken und mischte sich in die Gespräche ein, wurde aber stets abgewiesen und mißachtet und manchmal auch bös angefahren — diesen Part übernahm Souad —, worauf er dann ein Weilchen leise brabbelnd wieder in den Hintergrund trat, dort aber von dem Äthiopier fleißig und mit nichtssagender Miene bedient wurde. Souad hatte mit Barbara zu schimpfen, was sie aber nicht weiter ernst zu nehmen schien, sie lachte auf seine Vorwürfe. Im Schatten saß eine Dame, die gar nicht hierher paßte, so streng und würdig sah sie aus; aber ihre Miene mit ausdrucksvollen, beweglichen Augen bewies, daß sie jedem Wort mit höchster und ernster Aufmerksamkeit folgte. Ihr Haar war rabenschwarz, wie es das in ihrem vorgerückten Alter natürlicherweise nicht mehr sein konnte, und mit Kämmen zu einer altmodischen Frisur hochgesteckt. Sie war so mager wie die Herzogin von Windsor, die Knochen des Gesichts und der Hände traten vor in jener erbarmungslosen Eleganz, die der Nordmensch mit dem Typus der spanischen Hofdame alten Stils verbinden mag, einer allwissenden, alles verschweigenden, alles bedenkenden Dueña höchsten Niveaus. Auch ihr Kleid war bemerkenswert: übermäßig großgeblümt in oliv und schwarz, von erhabener Trostlosigkeit, ein Seidenkleid mit kleinem, gleichgemusterten Bolerojäckchen, das in keinem Geschäft der Erde mehr hätte erworben werden können, ein echtes Hausschneiderinnenprodukt levantinischer Damengesinnung und kolonialer Rückständigkeit. Die Dame hatte ihren vor fünfzig Jahren weit weg von Deutschland entwickelten Stil kompromißlos bewahrt und trotzte in ihrer Haltung aller Zufälligkeit, die sie nun in diesen Hinterhof verschlagen hatte. Sie hätte in Kairo auf einem vergoldeten» Louis-Quinze-Fantaisie«-Thron nicht anders den Tee getrunken. Für sie nämlich bereitete der Äthiopier Tee, die Tasse mit dem Teebeutel stand auf der Buntsandsteinfensterbank eines Parterre-Fensters.
Читать дальше