«Hören Sie mal zu«, sagte er deshalb, wie häufig im Befehlston,»das ist auch für Sie interessant. «Er hatte noch nicht von dem Versuch abgelassen, sich mit dem Vetter zu verbünden. Falsch war dieser Einfall nicht. Der Vetter war gegenwärtig der wichtigste Mensch in Barbaras Leben. Sie hatte noch niemals in ihrem Leben einen Tag allein zugebracht. Die Scheidung forderte ihr hier ein Äußerstes ab, denn ihr Ehemann ließ sie überwachen und hatte angekündigt, alle Zahlungen einzustellen, wenn sie sich einen neuen Freund nahm. Der Vetter war ihm vertraut, der hatte ihm schon lange auf der Tasche gelegen mit seinen mißglückten Restaurantgründungen, er machte sogar den Verbindungsmann, wenn nach ausgedehntem Zank am Telephon die Verbindung zwischen Mann und Frau für eine Weile abriß. Souad hatte nun schon eine Stunde damit zugebracht, dem Vetter ein marokkanisches Restaurant in der Nähe anzupreisen, das, weil es expandiere, einen Teilhaber benötige. Jetzt war er bei den Frauen angelangt, die dort bedienten.»Eine unschlagbare Mannschaft«, wie er wirklich sagte, ihm vollständig ergeben und auf Abruf für jeden seiner Wünsche bereit. Er selber rühre diese Frauen nicht an — niemals mit einer Marokkanerin, gelte für ihn.
«Ja, Souad ist brav«, sagte Barbara und tätschelte ihm die Knie.
«Aber für dich das Richtige«, sagte Souad, ohne diese Liebkosung zu beachten.»Die erste ist eine etwas herbe, vernünftige, eine nordische — helles Haar, graue Augen — Rif-Kabylin. Aus guter Familie, Vaters Tochter, eine Frau mit Festigkeit und Prinzipien. Schnelle, sachliche Bewegungen. Überhaupt keine Kellnerin, wenn du mich verstehst, keine Dienerin. Sie steht auf der Seite des Gastes, der Gast hat nie das Gefühl, daß ihm etwas verkauft wird, er wird beraten. Sie wirkt immer objektiv. Macht souveräne Unterhaltung, von gleich zu gleich, aber wohlerzogen, diskret. Keine Aggressionen, ein reifes, erwachsenes Mädchen, schöne gewölbte Stirn. Allerdings fromm, etwas plattfüßig ist sie auch, aber schnell. Für das Restaurant unersetzlich. «Die zweite sei eine Kokette, Ironische, sogar etwas Freche, aber auch unterwürfig. Tiefe Schatten unter den Augen, bereits etwas unfrisch — was er, Souad, aber schätze, die ganz und gar frischen Frauen verstünden noch nicht, worum es gehe. Hier stieß er den Vetter in das rosa Hemd, wo er den Brustkorb vermutete, denn der Vetter war klapperdürr, seine Kleider umflatterten ihn. Die Kokette kehre ihre Vertraulichkeiten etwas zu demonstrativ heraus, kichere spitz, schmolle, blinzle anzüglich, stelle alberne Fragen mit falsch unschuldigem Augenaufschlag. Der Teint sei eher dunkel. Eine gute und schnelle Arbeiterin, er rate aber dennoch ab. Die dritte passe in der Größe gut zu dem Vetter, eine Große, Langsame, Tragische. Die Wangen mollig, auch etwas talgig. Vielleicht sei die große Tragische unter ihrer Jellabah nicht ganz so gerade gewachsen, wahrscheinlich x-beinig, wenn er den Gang richtig deute. Die Unterlippe sei dick, an sich ein gutes Zeichen, aber sie habe da immer eine kleine rote Stelle. Ihre Bewegungen seien schön, vornehm, sie sei immer in eine feine Trauer getaucht. Sie arbeite gut, aber sie bediene wie eine Gedemütigte, eine Verschleppte, eigentlich zu Höherem Berufene. Eine Nachdenkliche, Sinnende. Natürlich kreisten die Gedanken dieser Frau nur um die Liebe. Neulich sei aber ihr Fuß entzündet gewesen, heldenhaft hinkend sei sie umhergegangen, ein Insekt habe sie gestochen.
«Ich ahne, was das für ein Insekt war«, sagte Souad und versuchte, den Vetter in ein kennerhaftes Grinsen hineinzuziehen,»ein Floh — also die besser doch nicht, obwohl diese Demutstrauer oft sehr, sehr gut ist. «Die beste sei die vierte, eine Strahlende, Distanzierte. Könne auch singen. Ungeschminkt wirke sie ein wenig teigig und reizlos, aber wenn sie geschminkt sei, mache man Augen. Ohne im strengen Sinn hübsch zu sein, könne sie bildhübsch aussehen, sie tanze gut, werfe ihr langes Haar dann herum wie eine Stute im wilden Galopp. Allerdings eine Unabhängige, sie habe noch andere Beziehungen als die zum Restaurant. Er schätze das nicht so sehr.
«Ich habe gern, wenn die Hühner abends alle im Stall sind«, sagte er, wieder um Einverständnis werbend.»Wohin gehst du?«frage er sie, und sie antworte:»Ich habe frei. «Aber er könne das leicht herauskriegen, wie er ohnehin alles über jeden leicht herauskriegen könne. Wieviel bereits erobertes Gelände mit solchem Eigenlob allerdings wieder verlorenging, würde Souad vielleicht nie erfahren. Noch wohlgemut, wenn auch von seiner großen darstellerischen Leistung erschöpft, fragte er abschließend:»Also welche von den vieren soll ich jetzt für dich kommen lassen?«
Der Vetter wandte sich an Barbara. Seine Stimme klang nach verwöhntem Überdruß.»Wir gehen hier weg, das wird hier nichts, das sagt mir hier nichts«, aber Barbara behandelte ihn genauso wie Souad und rief in amüsierter Verzweiflung:»Ihr zerrt alle an mir herum, und dabei bin ich eine Frau, ich gehe kaputt bei diesem Gezerre.«
Hans betrachtete Frau Mahmouni, die den Unterhaltungen stumm, aber voll Interesse und mit scharfem Blick folgte. Es war, als sitze sie im Kino und sehe einen Film. Plötzlich sagte sie zu Hans:»Zu teuer. Die junge Dame muß aufpassen. Ich bin mit Geschäften groß geworden. Ich habe immer auf den Preis geachtet. Man darf sich nicht zu gut sein, den Preis nachzuprüfen. Aber auch wer nicht geprüft hat, liegt meist richtig, wenn er sagt: zu teuer. Versuchen Sie herunterzugehen. «Sie sah bei diesen Worten so feierlich drohend aus, daß Hans für möglich hielt, sie habe mit dieser Methode Erfolg gehabt. Ein Mensch mit schwachen Nerven mußte sich von diesen Augen bis zum Grund durchschaut fühlen.
Sie erhob sich mit Mühe. Die Füße in Sandalen aus falschem Schlangenleder trugen sie kaum, so verformt waren sie. Es nahte die Frühschicht des Nachtportiers, zu dem der Äthiopier nach Schließung seines Lädchens wurde. Er hatte seiner Herrin ein Zeichen gegeben. Hans war von seinem nächtlichen Verweilen hier unten nicht enttäuscht, obwohl man meinen könnte, daß er nach den gedankenreichen Augenblicken in seiner Wohnzimmereinsamkeit das Schwatzen im Hof als einen Abfall an Spannung empfinden müsse, aber weit gefehlt: Die Vorstellung vom neuen Blatt in der Lebensgeschichte ließ ihn nicht los, und so wollte ihm alles, was er in diesen ersten neuen Stunden erfuhr, saftig grün und frisch erscheinen wie ein Drahtkorb voll von frischgewaschenem, wassertriefendem jungem Kopfsalat. Woher kam denn so lange nach Mitternacht noch dieses Bild in den kahlen Hof geflogen? Richtig, aus Brittas Küche, wo sie mit ihren Lilien-Händen einen solchen Drahtkorb herumgeschwenkt hatte, so daß Hans, der einen Tellerstapel hinaustrug, mit dem Salatwasser fein besprenkelt worden war.
Als Hans wieder auf seinem Bett im Dunkeln lag und Ina atmen hörte, die seine Abwesenheit wohl nicht bemerkt hatte, dachte er im Einschlafen noch an diese Runde dort unten im Hof, und sie wollte ihm als ein wahres Hexenkonzil vorkommen. Was brachte diese Leute, die sich doch gar nicht besonders grün waren, nur dazu, immerfort zusammenzusitzen und ohne Unterlaß miteinander beschäftigt zu sein? Ein bißchen Phantasielosigkeit schwang in dieser Frage schon mit. Er hätte sich ebenso fragen können, was Frau von Klein bewegte, Woche für Woche mit Leuten Bridge zu spielen, von denen sie eine Person ganz offen verachtete und zwei so langweilig fand, daß es bereits zum Ärgerlichwerden reichte. Im Hinterhof wurde die Zusammengewürfeltheit des Publikums vielleicht besonders schroff sichtbar, aber war nicht ein großer Teil aller geselligen Zusammenkünfte ganz ähnlich organisiert? Was sich da in Clubs traf, was in den Ausländerkolonien der großen Städte aufeinanderhockte, was in den Theaterkantinen und Kaffeehäusern und an würdigen Kleinstadtstammtischen zusammensaß, das fand sich doch gleichfalls nur mühsam miteinander ab — nur in toto wollte man sich ertragen, einen Einzelnen aus diesem Kreis hätte man ungern bei sich gesehen. Wie der Wald mehr ist als die Summe der Bäume, so ist die Gesellschaft auch mehr als die Menschen, die an ihr teilnehmen. Ist sie groß genug, wird sie sogar zum lebenden Wesen mit Seele, die von jener der einzelnen Teilnehmer unabhängig ist; besonders schön erlebt man das bei Konzertpublikum, das im Augenblick des begeisterten Applauses unversehens zusammenschmilzt, während schon kurz danach beim Auseinandergehen der Einzelne gar nicht mehr wahrhaben mag, daß er da eben noch so begeistert gewesen sein soll. Zur Bildung einer solchen Kollektivseele war das Hinterhofkonzil freilich zu klein. Hans erlebte es als feste unerschütterliche Institution, aber das war es nicht. Es war durch die Hitze entstanden und durch das Bedürfnis, nachts noch etwas kühlere Luft zu atmen, und in dieser Gegend gab es keine Gartenlokale, und was da dennoch Stühle herausstellte, schloß um Mitternacht, wenn die Sommernacht noch lange nicht zu Ende war. So plauderte ihn denn das Häuflein dort unten, indem seine einzelnen Mitglieder ihm noch wie groteske Maskenköpfe vor Augen standen, immer weiter hinein in den tiefen Schlaf.
Читать дальше