— Laß uns nach Budapest fahren, sagte Magda. Glaub mir, es gibt keine bessere Grundlage für eine Ehe, als wenn der eine akzeptiert, daß der andere ihn nicht liebt. Andras stand auf, streifte Unterhose und Hose über und ging, mit nacktem Oberkörper, der ihm schwerfällig, zu unbeholfen vorkam, auf Magda zu. Er war sich ihres prüfenden Blicks bewußt, er sehnte sich, alleine zu sein, alleine zu einem Spaziergang aufzubrechen, in irgendeiner Kneipe etwas zu trinken, mit irgend jemandem ein paar Sätze zu wechseln, wieder in den Abend hinauszugehen und mit einem Taxi in der Wartburgstraße vorbeizufahren, um gegen Morgen erst hierher zurückzukehren, vielleicht betrunken, und dann an Magdas Körper zu denken, an ihre Zärtlichkeit, die ihn noch immer wie ein hauchdünner Stoff von Isabelle trennte. Er war dankbar dafür. Er war dankbar, daß Magda sich frisch ankleidete und auf den Weg machte, ihm von der Tür aus eine Kußhand zuwarf, keine zusätzliche Umarmung erwartend, nichts anderes erwartend, als was sie in seinen Augen las, daß sie ein Liebespaar sein würden. Vielleicht würden sie sich nur einmal in der Woche sehen, zum Abendessen, und miteinander schlafen wie ein altes Ehepaar, jedem sein Kummer, jedem seine Freude, und doch gab es jemanden, der diesen alternden Körper in seine Arme schloß, nicht um des Augenblicks, sondern um der verstreichenden Zeit willen, vielleicht das einzig mögliche Erbarmen, dachte Magda. Die Zeit war in so kleine Portionen unterteilt, daß es nicht lohnte, ihr Beachtung zu schenken.
Vier Tage später lud Andras sie zum Abendessen ein. Er wollte, sah Magda, sie nicht küssen, aber er nahm ihre Hand, streichelte sie, die faltigen Knöchel, die hübschen, unlackierten Fingernägel, die dünnen, deutlich sichtbaren Adern, streichelte sie, damit Magda für eine Weile vergessen konnte, was jetzt seiner Obhut überlassen war. Womöglich, dachte er, sind wir wirklich zu alt, um uns zu sorgen, ob es ausreicht. Und er erzählte ihr von dem Mann, den er auf dem Dachboden inzwischen aufgesucht hatte, von dem winzigen dunklen Gesicht, aus dem ihn die Augen erschreckt angesehen hatten, von den Wutausbrüchen desselben Mannes, der fluchend und schreiend in einen aussichtslosen Kampf mit marodierenden Gespenstern verwickelt war, die namentlich zu nennen der Mann nicht wagte, der sich als Herr Schmidt vorgestellte hatte. — Stell dir vor, sagte Andras, es ist sein richtiger Name, Herr Schmidt. Er sagt, daß er acht Geschwister hatte und als einziger noch lebt, als wäre er zu ewigem Leben verurteilt worden. — Und was machst du mit ihm? fragte Magda. — Ich habe ihm eine elektrische Kochplatte gekauft und einen Topf geschenkt. Magda lachte. — Zwei Teller, fuhr Andras fort, und Besteck hat er selbst, jetzt will er mich zum Essen einladen. Die Hausverwaltung kommt eh nicht mehr hierher, sie warten nur darauf, daß ich endlich ausziehe und sie alles verkaufen können.
Es blieb nicht aus, daß Magda und Herr Schmidt sich trafen, und nachdem Herr Schmidt Gelegenheit gehabt hatte, auch einen Blick auf Isabelle zu werfen, klopfte er bei Andras an die Tür, krümmte sich verlegener als je zuvor und teilte Andras mit, daß ihn Unglück erwarte, wenn er die jüngere der beiden Frauen heiraten würde. Es fiel Andras leicht genug, ihn zu beruhigen, aber einen Stich gab es ihm ins Herz. Inzwischen war November, im Januar sollte Jakob nach London ziehen, eine Wohnung finden, Isabelle kurze Zeit später folgen.
Weihnachten feierte Andras mit Magda; Jakob und Isabelle waren Hans’ Einladung gefolgt und in den Schwarzwald gefahren.
An Silvester trafen sie sich in der Wartburgstraße. Magda war in Rom. Andras kochte mit Ginka ein fünfgängiges Menü, Isabelle deckte den Tisch. Hans brachte eine Petition zugunsten von Häftlingen in Guantanamo Bay mit. Der nächste Krieg zeichnete sich ab. Jakob erzählte von einem Kollegen, der verbreitete, am Anschlag auf die Twin Towers sei tatsächlich der Mossad beteiligt, und daß sie sich in der Kanzlei dafür einsetzten, daß er bei Golbert & Schreiber jedenfalls nicht Partner würde. Um Mitternacht stießen sie auf ein friedliches Jahr an und wußten, daß sie nicht daran glaubten. Aber sie stießen auf den Frieden an und, ohne es auszusprechen, darauf, daß sie weiterhin verschont bleiben würden. Andras sehnte sich nach Magda, aber als er Isabelle in seinen Armen hielt, sie zu Neujahr küßte, wußte er, daß er alles aufgeben würde, wenn sie nur wollte. Er küßte sie, da Jakob auf dem Balkon ein Feuerwerk vorbereitete, auf den Mund, und sie, in seine Arme geschmiegt, das junge, hübsche Gesicht zu ihm emporgehoben, erwiderte seinen Kuß.
Am Flughafen noch wählte Jakob die Nummer seines künftigen Kollegen Alistair, die Sekretärin, Maude, antwortete ihm, — o dear, hörte er ihre Stimme, you arrived already, how wonderful! und daß ihn Alistair um zwei Uhr am Eingang des British Museum erwarte. — He certainly will recognise you, don’t you worry, Alistair is a man of extraordinary capacities.
Kleine Flugzeuge landeten und starteten, er war in London City Airport noch nie gewesen, wenige Reisende nur bewegten sich dem Ausgang zu, und da die Uhr erst ein Uhr mittags zeigte, beschloß Jakob, mit dem Zug zu fahren. Tatsächlich erkannte Alistair ihn sofort, eilte die Treppen des Museums hinunter, faßte ihn, ohne sich nach der Anreise zu erkundigen, am Arm und zog ihn, fröhlich und viel zu schnell redend, als daß Jakob hätte folgen können, die Straßen entlang zu einem kleinen Deli. Die Besitzerinnen, zwei Frauen um die vierzig, begrüßte er herzlich, schob Jakob auf einen Stuhl und kam nach ein paar Minuten mit zwei vollgeladenen Tellern zurück. — Amira meint, du sähest erschöpft aus, berichtete er und fing an zu kauen. Also, sagte er, Bentham ist sechsundsechzig Jahre alt, er will, seit er die große Kanzlei verkauft hat, keine Partner, die einzig lose Verbindung ist die mit euch in Berlin. Er beteiligt uns am Gewinn, weil er keine Kinder und keine Verwandten hat, sein älterer Bruder ist kurz nach der Emigration gestorben. Vermutlich wird er alles eh verschenken. Würde zu ihm passen. Er ist nicht immer in der Kanzlei, aber man kann ihn jederzeit anrufen. Lohnt sich, sein Instinkt ist einigermaßen unfehlbar. Woran du arbeiten wirst, will er dir selber sagen; wahrscheinlich sollst du dich um die paar Alten und ihre Abkömmlinge kümmern, die in Ostdeutschland ihren Ruinen aus den Vorzeiten nachweinen. Du weißt schon, Seegrundstücke mit Datschen dort, wo früher eine Villa stand. Immobilien dazu. Erbschaftsstreitereien lehnt Bentham ab. Alles klar?
Alistair richtete sich auf, lachte Jakob an und winkte Amira, die zwei Espressi brachte und freundlich kopfschüttelnd Jakobs halbvollen Teller musterte. — Erst, wenn er aufgegessen hat, sagte sie zu Alistair und hielt das Täßchen in die Höhe, als wollte sie es dem Zugriff eines hüpfenden Kindes entziehen. — Amira, Jakob, stellte Alistair vor und gab Jakob einen sanften Stoß. Jakob stand auf, reichte ihr die Hand. — Ich bringe Ihnen einen neuen Espresso, wenn Sie fertiggegessen haben, und lassen Sie sich von Alistair nicht in Grund und Boden reden! Einen Augenblick später stand ein kleines Glas Weißwein vor Jakob, und Alistair nickte anerkennend. — Sie mag dich, sagte er und schwieg, bis Jakob aufgegessen hatte. — Ich freue mich auf London, sagte Jakob und errötete über seine törichte Bemerkung. Und du zeigst mir das Haus?
Alistair grinste, fuhr sich mit der Hand durch den blonden, dichten Schopf. Er hatte grüne Augen und Sommersprossen, die Krawatte hing schief unter einem eleganten Jackett, sein knochiges Gesicht wurde von sehr langen Wimpern und einem schön geschwungenen Mund kontrastiert. — In Primrose Hill gibt es eine Wohnung, die sehr anständig ist, vier Zimmer, feine Gegend und so weiter. Und dann gibt es ein viktorianisches Reihenhaus in Kentish Town. Eigentlich nicht die richtige Adresse für jemanden, der bei Bentham arbeitet, aber ihm ist es egal. Er erwähnte, du kämest nicht alleine, und in Berlin sei man viel Platz gewöhnt.
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