Sie wollten ohne großes Fest heiraten, auf dem Standesamt, nur mit den Trauzeugen Ginka und Hans, aber sogar Alexa protestierte, und deswegen würde es doch eine Party geben, ein Picknick im Park, ohne Eltern, sagte Isabelle und fuhr nach Heidelberg, um ihnen die Nachricht zu überbringen.
Das Haus, die graue Schuhschachtel, von falschem Wein fast überwuchert, sah freundlich aus, und als das Taxi hielt, trat ihre Mutter aus dem Haus, lief mit blassem Gesicht zu ihrer Tochter und umarmte sie heftig. — Mami, ich heirate doch nur, sagte Isabelle, und ihre Mutter lachte, es klang, als zerrisse ein Stück Stoff. Der graue Steinfußboden glänzte, das Wohnzimmer, in dem der Flügel gestanden hatte, schien wieder leer wie damals, als ihre Mutter stumm in ihrem Zimmer gelegen, in dem Mimsel, die Kinderfrau, Isabelles Tränen mit Bonbons und Scherzen zu trocknen versucht hatte, verschüchtert und stumm hatte Isabelle gekauert, wo der Flügel gewesen war, und wie ein Racheengel hatte Mimsel vor der Tür ihrer Dienstherrin gestanden und geflucht. — Habt ihr ein Bier? fragte Isabelle, während der Blick ihrer Mutter über den kurzen Rock, die gecrashte Bluse wanderte, über den Körper, der neben ihrer eigenen Magerkeit füllig schien und renitent. Frau Metzel schickte ihre Tochter hinauf, damit sie sich frisch machte, und ging zum Telefon, um ihren Mann zu informieren. — Dein Vater, sagte sie, als Isabelle die Treppe wieder herunterkam, bringt Champagner mit, auf dem Glastisch vor dem schwarzen Sofa standen zwei Gläser mit Campari, ein Krug mit Orangensaft. Du wirst uns ja nicht zu deiner Hochzeit einladen, wiederholte Frau Metzel fügsam, und Isabelle dachte, daß sie morgen in Frankfurt aussteigen würde, um ihren künftigen Schwiegervater kennenzulernen, auch er nicht zur Hochzeit eingeladen, denn es würde nur ein Picknick geben, das war alles. Und dann kam ihr Vater, umarmte sie, als wäre er auf sie stolz, — meine große Tochter, und er lächelte beim Essen, als säße er alleine in einem Restaurant, während Isabelle die Gläser streichelte, die sie als Kind nicht hatte anfassen dürfen.
Es ist alles zufriedenstellend verlaufen, erzählte sie Jakob, und später würden ihre Eltern sie besuchen, in Berlin oder in London, man könnte an Weihnachten nach Frankfurt oder Heidelberg fahren, das junge Paar, spottete Alexa, aber auch sie war bei der Hochzeit gerührt, denn nicht weit vom Springbrunnen stand ein langer Tisch, eine Tafel, für die Andras gesorgt hatte, weiße Damasttischtücher seiner Tante, und Hans hielt eine Rede. Sie waren Freunde, und Isabelle drehte vorsichtig den Ehering hin und her, so vorsichtig, als wäre ihr Finger plötzlich zerbrechlich, sie lächelte Jakob an, er hatte gewartet, all die Jahre, und als es dunkel wurde, brachte Ginka Windlichter. Hans versuchte auf dem Brunnenrand einen Handstand, er war betrunken und fiel ins Wasser, Alexa und Clara nahmen Isabelle in die Mitte, Jakob fotografierte, und endlich wikkelten sie sich in Decken, weil es kühl wurde, weil es dämmerte, sie würden abwarten, bis die Sonne aufging. Der Sommer ging zu Ende, die Bäume in der Wartburgstraße verloren ihre Blätter, Ginka sagte, daß es der schönste Sommer seit langem gewesen war, und alle stimmten ihr zu.
Ein Vogel saß auf der Fensterbank, flog auf, taumelte gegen die Scheibe und verschwand unbeschadet. Andras ging ins Badezimmer, blickte in den Spiegel, der voller kleiner, weißer Flecken war, Rasierschaum, Zahnpasta, er überlegte, sich ein zweites Mal zu rasieren und betrachtete das gestreifte Hemd, dessen Streifen sich, als er die Arme hob, verschoben, rosa, hellblau, grün, dachte an diese wiedererwachte Eitelkeit, die ihn dazu brachte, Tag für Tag etwas anderes anzuziehen, eine andere Kombination von Farben auszuprobieren, Leder- oder Jeansjakke, verschiedene Schuhe, halbhohe Stiefel, der Schaft offen. Er fuhr oft in den Westen, zu dem Kinderbuchverlag in der Kantstraße, zur Galerie Alto in der Schloßstraße, Magda, die Galeristin, rief fast täglich an, brauchte Flyer, Visitenkarten, einen Katalog, da war ein junger ungarischer Künstler, den er kennenlernen sollte, sie hatte tausend Gründe, ihn anzurufen, versprach Kontakte mit anderen Galerien, dem Gropius-Bau, hielt ihr Versprechen. Am liebsten hätte sie ihn zum Partner, sagte sie im Scherz und wiederholte es. Die Galerie wurde aus dem Besitz ihres verstorbenen Mannes finanziert, drei Mietshäuser in Frankfurt, die sie selbst verwaltete, drahtig, mager fast, braungebrannt vom Arbeiten auf dem Dach, erklärte sie, zeigte Andras die Dachterrasse, große Tontöpfe mit Oleander, die Pergola, an der eine Glyzinie wuchs, darunter ein Steintisch und zwei Stühle. Sie mochte Isabelle, durchschaute kommentarlos, was Isabelle für Andras bedeutete. Auf dem Rückweg fuhr Andras in der Wartburgstraße vorbei. Er kam nicht umhin, Jakob zu mögen. Nicht einmal Eifersucht empfand er, wenn Jakob Isabelle umarmte, küßte; es war so vorgesehen, etwas, an dem Andras nie Anteil gehabt hatte, von Anfang an. Vielleicht blieb ihm nur, nach Budapest zurückzukehren, in die Wohnung neben La´szlo´ und seiner Schwester einzuziehen, den Nachmittag immer öfter am Kaffeetisch bei seinen Eltern zu versitzen, als könnte er, wenn er nur stillsaß, die Himmelsrichtungen in seinem Leben miteinander versöhnen, von Ost nach West nach Ost, die eben doch nicht die Koordinaten eines Menschenlebens bildeten.
Als das Telefon klingelte, wußte er, wessen Stimme er hören, wessen Stimme er nicht hören würde, und er lauschte mutlos, antwortete zustimmend. In der Küche spülte er, was dort seit Tagen stand, das wenige, das er benutzte, vereinzelte Gegenstände, die ihn wie ein schadhafter Zaun von dem sich auftürmenden Berg hoffnungsvoller Erwartung und endgültiger Resignation seiner Tante und seines Onkels trennte. Aus einem Alptraum, hatte sein Onkel gesagt, wacht man umgekehrt, in der falschen Richtung auf, aus glücklichen Träumen gar nicht. Im Treppenhaus waren Schritte zu hören, jemand stapfte schwerfällig, aber entschieden aufwärts, vorbei an seiner Wohnungstür, dorthin, wo nur noch der Dachboden war, von einem Vorhängeschloß bloß symbolisch abgeschlossen, die Schritte wanderten über Andras’ Kopf, dann war es wieder still. Es richtete sich dort vielleicht ein Obdachloser ein, mit einer Decke, ein paar Plastiktüten, versuchte ein Feuerchen zu machen, Andras seufzte, er würde nachsehen müssen. Dann nochmals Schritte, diesmal die Schritte einer Frau, und als Magda klopfte, öffnete Andras und schloß sie umstandslos in seine Arme. — Es riecht nach Winter in deinem Treppenhaus, murmelte Magda, schmiegte ihr mageres Gesicht an seine Schulter, lachte. Von wem hast du geträumt, von deiner Kleinen? Wie eine leichte, fast durchsichtige Stoffbahn schob sie sich zwischen ihn und seinen Kummer, er glaubte, als er über ihre spröde, sommersprossige Haut streichelte, Isabelle zu hören, flüsternd, ängstlich, den kleinen, klagenden Laut, begriff er nach einem Augenblick, hatte aber Magda ausgestoßen, sie schmiegte sich fester an ihn, die Schenkel geöffnet, mit einer bescheidenen Lust, die ihn anrührte, und es dauerte einen weiteren Augenblick, bis er begriff, daß es seine eigene Bedürftigkeit war, die sie widerspiegelte.
— Mein armer Schatz, sagte sie so leichthin wie abwesend, daß er ruhig liegenblieb, während sie sich erhob, ihre Bluse überstreifte und zuknöpfte, sich noch einmal zu ihm beugte, ihn küßte. Vielleicht passen wir so am besten zusammen, du mit deiner Isabelle, ich mit meiner Traurigkeit um Friedrich. Ich habe ihn geheiratet, weil er es wollte und ich nichts anderes wußte damals, und jetzt träume ich von ihm, er kommt mir so schön vor. Sie lachte, schritt durch das angrenzende Wohnzimmer, strich über das rote Sofa, setzte sich einen Moment darauf, er sah die helle Haut der dünnen Beine, wie eine alte Frau, zerbrechlich, anfällig sah sie aus, und es war leicht, sich seine Tante neben ihr sitzend vorzustellen, mit dem Kopf nickend, lautlos eine ihrer unendlich verschlungenen Geschichten erzählend, die von den Zimmern, den Häusern in Budapest handelte, über das Jahrhundert hinweg, das den Menschen den Platz von Schatten und Verlierern zugewiesen hatte.
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