Aber dann gab es auch Gegenzeichen, der Rosenthal-Pokal, der Satz japanischer Messer, seine Umbaupläne für den Balkon, die Paketmitteilungen im Briefkasten. Er würde das nicht tun, wenn nicht das Geld da wäre, hatte sie gedacht.
»Wofür?«
Der Gerichtsvollzieher sah Theresa ins Gesicht, musterte sie genau, sie konnte sehen, dass er auf einmal zu verstehen glaubte, Ehefrau mit Weltzusammenbruch, unglücklich sah er aus.
Du bist Juristin, dachte sie.
»Er haftet wofür?«
»Einen Darlehensvertrag«, er brach ab.
»Wie viel?«
»Die Forderungshöhe beträgt«, er blätterte in dem Papierstapel, »fünfhundertzweiundsechzigtausenddreihundert Euro. Da kommen noch die Verfahrenskosten drauf, der Titel ergeht gesondert, aber das ist nicht …«
Das Haus. Das konnte nur das Haus sein.
»Widerspruch«, sagte sie, Verwaltungsrecht, richtig, »dagegen legen wir Widerspruch ein.«
»Die Frist dazu ist am 20.10. verstrichen. Ich müsste mich kurz bei Ihnen umsehen.«
»Rechtsbeistand, wir haben Anspruch auf einen Rechtsbeistand.«
»Sicher. Und Sie hatten genug Zeit, um sich beraten zu lassen oder sich überhaupt nur zum Verfahren zu äußern. Ihr Mann hat auf keines der Schreiben reagiert.«
Claas auf dem Rad, er wurde auf die Motorhaube geschleudert, der Helm schlug gegen die Windschutzscheibe, sie fuhr zurück, Claas rutschte vorne runter, und wieder vor und zurück und vor und zurück.
»Hier sind die Titel«, er hielt Papier vor sie, Theresa sah nicht hin.
»Ich werde heute nichts mitnehmen, Sie brauchen keine Angst zu haben, es geht nur um eine Bestandsaufnahme des persönlichen Vermögens.«
Ich habe meinen Schlüssel vergessen, wollte sie sagen, sah hinab auf ihre Hand.
»Es ist übrigens ein Straftatbestand, erfasste Werte zu entfernen oder zu veräußern.«
Theresas Hand zitterte, der Schlüssel schlug mehrmals gegen das Metall, ehe sie die Öffnung fand, ihn hineinschieben konnte. Sie stieß die Tür auf.
»Sehen Sie«, Theresa deutete auf den Staub, der in den breiten Lichtvierecken tanzte, die durch die Fenster hereinfielen. Auf die hellen Flecken auf dem Parkett, blasser an den Wänden, auf den einsamen Esstisch. »Mein Mann wohnt hier nicht mehr«, sagte sie. »Sie können sich gern umsehen, aber hier ist nichts, er hat alles mitgenommen.«
Der Gerichtsvollzieher ging an ihr vorbei, trat sich die Füße auf der Matte ab, behutsam, als wolle er nicht stören, ging er über das Parkett. Wenige Schritte, bis er ins Wohnzimmer sehen konnte.
»Wissen Sie, wo Ihr Mann sich aufhält«, fragte er, als er wieder an der Schwelle stand, leise sprach er, mit gedämpfter Stimme.
Theresa schüttelte den Kopf, bleib in der Rolle, und betrachtete die Einkaufstasche auf der obersten Stufe, als schäme sie sich.
»Die Erklärung bräuchte ich schriftlich, und Sie müssten noch kurz unterschreiben, dass unter der als Wohnsitz gemeldeten Adresse keine verwertbaren Vermögensgegenstände aufgefunden wurden. Und dann sind wir auch schon fertig«, er lächelte ihr aufmunternd zu.
***
Der Boden war dicht bedeckt mit Blättern, weich unter ihren Schuhen. Elsa überquerte die Promenade, gab acht auf die Pfützen. Nackte Äste spiegelten sich darin, sie nahm die Tasche mit den Einkäufen in die andere Hand, mochte sie nicht abstellen in den Matsch. Bei Erika brannte Licht, in der Küche, sie musste früher heimgekommen sein, kochte, Eintopf, Erika kochte immer Eintopf. Melden könnte sie sich, anrufen zumindest. War wieder böse mit ihr wegen Gerhard. Sie hatte es missbilligt, von Anfang an.
»Fahr nicht«, sagt Erika, als sie den Brief liest, »fahr nicht.«
Gerhard ist einer der reisenden Vertreter, Gebiet Hessen Nord. Einmal im Quartal kommt er nach Berlin, um die Preislisten und Kataloge zu aktualisieren, den Musterkoffer zu ergänzen. Schokolade bringt er mit. Freut sich, dass sie bereits zusammengestellt hat, was er benötigt, streicht seine hellblonden Haare nach hinten, sagt »ich hab hier was für ein fleißiges Vögelchen«, und reicht ihr mit einem angedeuteten Kratzfuß die Schokolade. In der Weihnachtszeit Bethmännchen. Seine Augen sind seltsam nackt, weil die Wimpern so hell sind, wie sie später feststellt.
Und dann ist alles so entsetzlich peinlich. Beim Essen im Speiseraum erzählt er von seinen Fahrten, Verkaufsgesprächen, Abschlüssen. Sie legt die Hände auf ihre Oberschenkel, verdeckt vom Tischtuch, traut sich nicht, sie hochzunehmen, sie auf den Tisch zu legen, und wenn sie es tut, bedeckt die Linke den Ringfinger der Rechten. Herr und Frau Braun heißen sie. Ob das Schnitzel gut sei und ob sie schon mal verreist wäre, fragt er.
»Mit meiner Freundin Erika«, sagt sie.
»Das zählt nicht«, antwortet er und begleicht die Rechnung.
Sie hofft, dass er bereits im Bett liegt, ihr seinen Anblick im Pyjama erspart, weiß mit schmalen braunen Streifen, der oberste Knopf offen. Er zuckt zusammen, als sie hereinkommt, blickt in ihre Richtung, blickt zum Bett, als habe auch er gehofft, drinzuliegen, ehe sie das Bad verlässt.
»Fein«, sagt er schließlich.
Die Betten sind in der Mitte des Zimmers zusammengeschoben, aber es sind zwei, zwischen den akkuraten, dunkelblauen Tagesdeckenvierecken kann sie die Holzstreben der Bettkästen sehen. Auf beiden Seiten liegt der gleiche rote Läufer, zwei identische Nachtschränke, Nachttischlampen, die Schirme bordeauxrot. Der Läufer ist rau, sie fühlt die Krümel unter ihren nackten Sohlen, hat keine Hausschuhe eingepackt, drei Nachthemden stattdessen. Sie gehen nebeneinander, auf gleicher Höhe die wenigen Schritte an der jeweilige Bettseite entlang, bis zum Kopfende. Sehen einander nicht an, heben gleichzeitig den äußersten Zipfel der Decke.
»Selbst schuld«, sagt Erika, als sie ihr von seinem rotköpfigen Organ, der weißlichen Schmiere, die an Mehlschwitze erinnert, erzählt. Im Mai müsse er nach Remscheid, sagt Gerhard zum Abschied. »Fahr vorsichtig«, antwortet sie, bemüht sich zu lächeln.
»Eine Kabine reicht«, sagt Erika, wenn sie zusammen Wäsche kaufen oder Schwimmen gehen, und sieht nicht weg. Mustert Elsas Oberschenkel, mager und mit blaulila Adern unter der hellen Haut, ihre Brüste, die roten Streifen, die der Büstenhalter hineinpresst. Erikas Blick bewegt sich zum Bauchnabel und weiter abwärts, wenn Elsa sich wegdreht, fühlt sie ihn auf ihren Hinterbacken. Was stierst du so, will sie sagen und sieht stattdessen zu Boden, auf die hellgetretenen Planken, weiße Fussel von den Söckchen kleben zwischen ihren Zehen.
Nachdem sie verreist ist, dreht Erika ihr den Rücken zu, kaum ist die Kabinentür geschlossen, als würde sie sich ekeln, vor ihrem Körper und dem, was sie Gerhard damit hat tun lassen.
Erika war böse mit ihr, Elsa nahm den Einkauf in die andere Hand, der Beutel war schwer, sie könnte ihn erst nach Hause bringen. Sie hatte Waffelröllchen gekauft, zartbitter, wir können einen Kaffee brühen, dachte sie und ging weiter. Ein Mann kam aus dem Hausflur, als sie beim Eingang angelangt war, er hielt ihr die Tür auf. Erika wohnte im Zweiten.
Das Klingelschild war abgefallen, einen Augenblick meinte Elsa, sie hätte sich im Stockwerk geirrt, stellte die Einkaufstasche ab. Hatte den Schlüssel vergessen, er war nicht am Bund, hing zu Hause an seinem Haken in der Küche, sie konnte sich nicht erinnern, ihn vom Bund genommen zu haben. Schließlich klingelte sie, erschrak, als die Tür aufging. Sie war im falschen Stockwerk, im Türrahmen stand eine junge Frau.
Elsa drehte sich um, nach dem Fenster auf dem Treppenabsatz, sah in den Hinterhof, auf Höhe des Fensters hing der Vogelkasten am Stamm der Kastanie, nein, sie war richtig, sie war im Zweiten.
Die Frau sah sie an, ihre Haare dunkel und kurzgeschnitten. Öffnen Einbrecher die Tür, wenn es klingelt, sie war nicht sicher.
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