Die Wohnung erinnerte ihn an die Zeit des Einzugs, vier war Ebba gewesen, das blaue Sofa fehlte. Ebba war im Wohnzimmer Dreirad gefahren, immer im Kreis, bis Claas sich über den Gummiabrieb auf dem Parkett beschwerte, die Kratzer, die das Pedal hinterließ, wenn Ebba sich zu stark in die Kurve legte. Nur Idioten fahren im Kreis, hatte er gesagt, später hatten sie das blaue Sofa auf die Kratzer gestellt. Einen der Zeitschriftenständer daneben, zwei Vasen, eine mit Theresas Genehmigung, die andere hatte er stillschweigend dazugetan. Theresa hatte nichts gesagt, war die nächsten beiden Tage spät aus der Uni heimgekommen. Der Esstisch war da, sehr bloß, ohne die dazugehörigen Stühle mit den grauen Lederhussen, die Bücherregale komplett, nur der Nippes fehlte.
Claas wählte Theresas Nummer, ihr Telefon war aus. Wo zum Teufel sind meine Möbel? schrieb er und drückte auf Senden . Er ging ins Schlafzimmer, öffnete die Türen seiner Schrankhälfte, drei akkurate Stapel, Cord, Jeans, Stoff, die Anzughosen hingen unter den Jacketts auf den Bügeln. Auch seine Socken und Shorts in den Schubladen hatte sie nicht angerührt. Claas hob den Rollkoffer vom Schrank, die Streichholzschachteln in der Seitentasche rasselten, nahm eine Handvoll Socken, einen Stapel Shorts und tat sie hinein. Den weißen Weckerwürfel von seinem Nachtschrank. Seinen Jogginganzug zum Schlafen, zwei Pullover, zwei Cordhosen, eine Jeans, T-Shirts, vorsichtig legte er vier Hemden obendrauf. Zögerte, ob er sicherheitshalber eine Krawatte, ein Sakko einpacken sollte. Entschied sich dagegen, Theresa würde sich wieder einkriegen. Er ging ins Bad, den Kulturbeutel holen.
Die Küche sah beinah normal aus, die japanischen Messer hingen an ihrem Magnetbalken, auf der Arbeitsplatte der Kochinsel lag die Post. Lag ein Brief, sehr gelb auf dem graphitfarbenen Granit, neben dem Stapel weißer und umweltfarbener. Mit Kästchen und Häkchen und Theresas Unterschrift neben dem Datum vom letzten Mittwoch. Das Wort Ankündigung war fettgedruckt und unterstrichen. Sie hatte ihn nicht geöffnet, Claas war nicht sicher, ob er erleichtert darüber war.
In der Kammer neben der Küche fand er den Rucksack, im Seitenfach steckten drei Flugtickets, Mr, Mrs und Ms Jansen, nach Thailand. Claas nahm zwei Teller, Tassen, Wassergläser, Müslischüsseln aus dem Hängeschrank, Besteck, einen Topf und eine Pfanne, stapelte alles ineinander. Das Geschirr musste er mit Zeitung einwickeln, falls er den Zeitungsständer, Acrylglas, er gehörte neben den schwarzen Sessel, fand. Den Brief ließ er liegen.
Er wollte die Ordner mit den Unterlagen vom Haus mitnehmen, zwei waren es, sie standen im Regal neben seinem Schreibtisch. Wollte die Tür zum Arbeitszimmer öffnen. Er drückte die Klinke herab, schob die Tür auf, nach wenigen Zentimetern stieß das Holz gegen etwas, das nach Metall klang.
Claas drückte fester, die Tür gab ein wenig nach, er stemmte sich gegen sie, bis der Spalt groß genug war, dass er seitlich durchpasste.
Direkt hinter der Tür lag das Sofa auf der Rückenlehne, die Sitzfläche ragte vor ihm auf, eines der Kissen war aus dem Rahmen gefallen. Das Metallene hinter der Tür war die Stehlampe, ihr weißer Glasschirm, mundgeblasen, hing normalerweise wenige Zentimeter über dem schwarzen Lesesessel, auf dessen Polster Theresa ihren Fuß abgestellt hatte, das Gestänge war nach vorn über die Lehne gekippt, gegen die Tür. Unter dem Sessel lag die Kehrschaufel, mit weißen Glasscherben gefüllt, der Handfeger obenauf. Dreitausendzweihundert Euro, und sie hatten Rabatt bekommen. Die beiden Freischwingerstühle standen auf der Schreibtischplatte, unter dem Tisch weißes Reispapier, vieleckig und asymmetrisch, Lichtobjekte hatte der Verkäufer sie genannt. Auf dem flachen runden Glastisch standen Vasen, sie sahen aus wie elegante, langstielige Blumen, die dichtgedrängt aus einem Rondell wuchsen. Zu ihren Füßen schien ein Rudel Porzellantiere zu ruhen. Claas musste über das Sofa steigen, um zu den Ordnern zu gelangen, stempelte hell das Profilmuster seiner Sohlen auf das dunkle Leder, zögerte, ob er noch etwas einpacken sollte, eine der Vasen vielleicht.
Mit einer Hand schob er das Fahrrad, mit der anderen zog er den Rollkoffer hinter sich her. Er betrachtete sich im Vorbeigehen in den Schaufenstern, mit dem Rucksack auf dem Rücken sah er aus, als wäre er auf dem Weg in einen sportbetonten Urlaub. Mit dem Rad durch die Toskana oder Ähnliches, nur der Helm am Lenker störte. Wenn du eine leere Wohnung willst, können wir gerne tauschen schrieb er, als er in der U-Bahn stand, drückte auf Senden , das Fahrrad zwischen Hüfte und der Mittelstange eingeklemmt, Einsteigende stießen gegen den Rucksack.
Er brachte erst das Gepäck hoch, nahm die Paketmitteilung und ging wieder runter in den ersten Stock, die Waden steif vom Tragen.
»Ja«, fragte sie, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte, ohne Begrüßung, ohne Guten Tag oder Hallo. Sie war eine Patientin, Claas sah es sofort, sie war irgendjemandes Patientin, Depressionen, unipolar vermutlich.
»Ich glaube, Sie haben etwas für mich«, er hielt die Paketmitteilung hoch.
Die Frau griff hinter sich, das Päckchen war länglich, sie reichte es ihm, vage erinnerte er sich, ein Kaminbesteck aus Edelstahl gekauft zu haben.
Stumm sah sie ihn an.
»Danke«, sagte er.
»Okay«, sie wollte die Tür wieder schließen.
»Ich habe mich nicht vorgestellt«, sagte er, »Jansen, ich wohne im Dritten, hätten Sie einen Moment?«
Manuela Schrader zuckte mit den Achseln, zögerte, traute sich nicht, nein zu sagen.
»Sie wohnen hier seit?«
Er sah zur Decke, Spinnenweben hingen dort, die Tapete war gelblich verfärbt, in den Ecken dunkler. Die Dielen waren ochsenblutrot, nicht abgezogen. Er machte einen weiteren Schritt nach vorn, sie einen rückwärts, die Arme um den Körper geschlungen, Schultern nach vorn gezogen. Sie hielt immer den gleichen Abstand zu ihm, ging er zurück, trat sie weiter vor, er dirigierte sie durch die Wohnung,
Das Bad sah in Ordnung aus, einen neuen Boiler müsste er einbauen, der Hahn am Waschbecken tropfte, er drehte in zu, so fest er konnte, die Tropfen fielen langsamer, neue Armaturen auch.
Er lehnte sich an den Rahmen der Küchentür, entspannt, mit hängenden Armen. Offen für ein Gespräch, wollte er signalisieren.
»Ein Neuanfang«, sagte er.
***
Sie war im Wohnzimmer, hielt ein zusammengelegtes Frotteetuch in der Hand, tat es in eine schwarze Sporttasche, die Lucas nicht kannte, strich es glatt. Nahm ihre Haarbürste vom Couchtisch und lächelte ihm zu. Lag nur noch selten auf dem Sofa, in die Decke gewickelt, Kissen auf dem Gesicht.
»Hast du spät«, fragte er.
Sie rollte ein Haargummi von ihrem Handgelenk und wand es um den Bürstenstiel, nickte und tat die Bürste zu dem Handtuch.
»Mit wem«, fragte er.
»Kennst du nicht«, sie beugte sich zur Tasche hinab und zog am Reißverschluss.
»Wofür brauchst du ein Handtuch?«
Sie kam auf ihn zu, schlang ihre Arme um ihn, hielt ihn fest, stand reglos, ihre Haare rochen nach Shampoo, Lucas konnte ihr Gesicht nicht sehen. Wusste nicht, was er tun sollte.
»Ich hab Hunger«, sagte er schließlich.
Sie ließ ihn los, nahm die Tasche und ging in den Flur, er blieb dicht hinter ihr.
»Willst du Pizza bestellen?«, sie zog ihre Jacke an, »ich lasse dir Geld da.«
Gestern Abend, er hatte seine Zähne geputzt, war sie ins Bad gekommen, einen Haufen schmutziger Wäsche im Arm, eine seiner Jeans schleifte auf dem Boden. Sie hatte sich vor die Maschine gekniet, zugesehen, wie Lucas über die Backenzähne kreiselte, die Sanduhr fest im Blick. Hatte die Wäsche mit beiden Händen in die Öffnung gestopft. »Meine Mutter hat sich immer ins Bett gelegt. Ich bin unter der Bettdecke spazieren gegangen, hat sie danach gesagt«, sie hatte ihre Finger in eine seiner Hosentaschen geschoben, zwei Legosteine hervorgeholt. Er hatte stillgestanden, Zahnbürste im Mund, der Sand war noch nicht durchgelaufen, hatte sich nicht getraut, weiterzuputzen, genickt, damit sie nicht aufhörte zu reden. Aber sie hatte sich aufgerichtet, die Legos auf den Waschbeckenrand gelegt, »ich mach die Maschine morgen an«, hatte sie gesagt und war rausgegangen.
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