Betrunken waren sie zwischen flachen, weiß gestrichenen Ferienbungalows herumgetaumelt, Abifahrt, in die Eifel. Ihre Haare nass, ebenso ihr T-Shirt, deutlich zeichnete sich darunter ihr hellblauer BH auf den geposteten Fotos ab. Mit Wasserpistolen, randvollen Schüsseln und Eimern hatten sie einander gejagt, barfuß um die Tischtennisplatten, die Feuerstelle. Ebba hatte sich den Oberschenkel am Picknicktisch aufgeschrammt, Bibi war auf eine Biene getreten. Letzte Abstürze. Nachts am Feuer, am nächsten Morgen Konterbier und wer mit wem. Der Himmel hellgrau bewölkt, und alles lag hinter ihnen, war eingeebnet, nicht mehr von Bedeutung. Weder der sauer-mehlige Geschmack des Tafelschwamms noch Bockspringen oder Aufschwung am Reck, weder der Schlafzimmerblick noch Zettel, die an Pulloverrücken hingen und auf denen Jungfrau stand. Nicht einmal der immer leere Platz neben ihr, die Proteste, wenn sich zur Strafe einer dort hinsetzen musste.
Sie hatten sich umarmt, einen großen Klumpen gebildet, einander erzählt, wie sie in zehn Jahren feiern würden, hatten wieder und wieder die Arme umeinandergeschlungen, sicher, dass es nicht stimmte. Die, die in Berlin studierten, wurden durch die unterschiedlichen Fachrichtungen getrennt, die Jungen machten Zivildienst. Meist hatte Theresa einen Stapel sauberer Wäsche in der Hand gehalten, wenn sie fragte, wie es denn Bibi ginge, und hatte den Stapel neben Ebba auf dem Bett abgelegt. »Keine Ahnung.« – »Ruf sie doch mal wieder an.«
Sie könnte bei der alten Frau nebenan klingeln, um irgendwas bitten, fragen, wie es ihrem Enkel ginge.
***
Claas hatte sich angewöhnt, in der Küche zu frühstücken, Fersen auf der Fensterbank, die Beine übereinandergeschlagen, eine Schale Müsli mit Joghurt in der Hand. Abends trug er den Stuhl ins Zimmer, stellte ihn neben die Isomatte, legte die noch saubere Kleidung auf die Sitzfläche, die Hemden hängte er über die Lehne. Morgens nahm er ihn mit, wenn er den Kaffee aufsetzen ging. Das aufgerissene Polster hatte er repariert, den Schaumstoff wieder reingedrückt, Paketband, Streifen neben Streifen, drübergeklebt, es knisterte, wenn er sich setzte.
Claas nahm den benutzten Kaffeefilter aus der neuen Maschine, sechzehn neunundneunzig, bei einem Discounter gekauft, er wollte nach Charlottenburg fahren, ein paar Sachen holen. Er löffelte Pulver in den neuen, hatte überlegt anzurufen, sich anzukündigen, Theresa um eine Aussprache zu bitten. Die Krumen, die danebengingen, sammelte er mit der Fingerkuppe auf und tat sie zu den anderen. Er hatte sich dagegen entschieden, goss Wasser in den Behälter, es war ebenso seine Wohnung, der Anschalter leuchtete rot auf.
Er öffnete das Fenster, öffnete es weit, wochentags liefen Kinder über die Promenade, alle in eine Richtung, zur Grundschule am Ende der Straße, viele rannten, vereinzelt waren Mütter unter ihnen, zertraten die Rindenstreifen unter ihren Schuhen. In großen Placken fielen sie von den Platanenstämmen, das bloße Holz gelb und feucht. Die Blätter waren nass vom Regen, der in den frühen Morgenstunden gefallen war. Claas hatte den Tropfen zugehört, die auf die Blätter schlugen, nachgedacht, wie der Regen klang. Hatte die Augen geschlossen, wollte sie erst wieder öffnen, wenn er das Geräusch beschreiben konnte. Gleichmäßig und geduldig, hatte er schließlich entschieden.
Das Wasser stieg Blasen werfend in der Kaffeemaschine hoch, er war aufgestanden, als es dämmerte, hatte sich unter die Dusche gestellt, bis seine Finger aufquollen, die Kuppen betrachtet. Rau und schrumpelig, er hatte versucht, sich vorzustellen, wie sie über Theresas Haut strichen.
Der Luftzug stieß den Messinggriff immer wieder gegen die Wand, Claas zog den Stuhl heran, klemmte den Fensterflügel mit der Lehne fest und setzte sich. Er fühlte die Kälte, streckte ihr Wangen, Stirn, Kinn entgegen, die Kälte war körperlos, nicht durch die Luftströmung entstanden, und seltsam ernst. Sie wusch ihn, so fühlte es sich an, wusch die Trägheit aus den Falten und Vertiefungen seines Gesichts, die Haut zog sich zusammen, straffte sich, wurde fest. Er sah auf die Uhr, halb neun, Theresa stand jetzt vor ihrem Waschbecken in anschmiegsamer Wärme zwischen lasergeloteten Fugen, mit bloßen Füßen auf wohltemperierten Kacheln, die Adern geweitet. Sie verteilte irgendeine Creme auf ihrem Gesicht, ihr Handtuch hing akkurat gefaltet über dem Trockengestänge. Theresa putzte Zähne, mit dem Bauch an die Waschbeckenkante gelehnt, hielt ihr Gesicht dicht vor den Spiegel, untersuchte eine kleine Rötung auf der Wange. Zuvor hatte sie versucht, den tropfenden Wasserhahn zuzudrehen, vergeblich, war mit dem Finger über die gelbliche Kalkablagerung neben dem Ausguss gefahren, als wollte sie mit den Nägeln Streifen hineinkratzen. Das tat sie jeden Morgen, »erinnere mich an den Klempner«, sagte sie, er antwortete meist nicht einmal.
Seit Claas die Espressomaschine gekauft hatte, machte jeder seinen Kaffee selbst, vorher hatte Theresa die Maschine angestellt, ehe sie ins Bad kam, und er hatte beim Zähneputzen dem Schlürfen zugehört, mit dem sie das Wasser ansaugte, in den Filter pumpte, die danebengelaufenen Tropfen hatten auf der Heizplatte gezischt.
Die Kaffeetasse stellte er auf die Fensterbank, Dampf stieg auf, die Scheibe beschlug tropfenförmig. Er hatte einen Nachsendeantrag gestellt. Telefon und Internet angemeldet, sechs Wochen, hatte der Techniker gesagt. Dann bin ich nicht mehr hier, hatte Claas gedacht, dennoch genickt. Er akzeptierte die Situation nicht nur, er gestaltete sie. Er hatte der Abonnenten-Hotline seine neue Adresse mitgeteilt, Theresa würde sich melden, wenn sie die Tageszeitung vermisste.
Eigentlich hatte er am Wochenende tapezieren und streichen wollen. Die Sonne schien herein, Lichtstreifen auf den nackten Wänden, dem Putz waren Farbpigmente beigemischt, Ockergelb, Sienarot, zerlöchert und mit Kratzspuren. Die Wände sahen aus wie restaurierungsbedürftige Fresken, eine fast verblasste Marschlandschaft, römisch vielleicht. Die Marschlandschaft wurde eingerahmt von weißen geometrischen Putzstreifen, wo nachträglich die Kabel verlegt worden waren, rechtwinklig liefen sie zu den Lichtschaltern, den Steckdosen. Wenn die Sonne hereinschien, erinnerten sie ihn an ihren Toskanaurlaub, an Ziegelmauern und verfallene Resthöfe, er hatte damals unbedingt einen kaufen wollen.
Er zog den Mantel an, gab acht, nicht im Vorbeigehen mit der dunklen Hose die restlichen Säcke zu streifen, sie standen noch im Flur, Staub und Putz auf dem blauen Plastik. Er hatte einen Abend damit verbracht, die Tapetenstreifen in sie hineinzustopfen, die Fetzen mit der Kehrschaufel zusammenzutreiben, am Schluss hatte er den Putz von den Dielen gewischt, die Müllsäcke an der Flurwand aufgereiht. Am nächsten Abend hatte er angefangen, sie runterzubringen, in die Mülltonnen im Hinterhof zu werfen, gelb, blau, braun, schwarz, egal.
Er hatte gerade die Hälfte unten, als sie voll waren, die Deckel nicht mehr schlossen. Er hatte zwei weitere Säcke geholt, sie an die Tonnen gelehnt. Die anderen hatten ihren Müll danebengestellt, einige der Tüten waren umgekippt, als er am nächsten Tag nachsehen ging, ob die Tonnen geleert worden waren, Konservendosen hatten verstreut zwischen den Sträuchern gelegen, fettiges Küchenpapier, Joghurtbecher, gleich drei Gefrierbeutel mit Keksen zählte er. Und dann hatte die Müllabfuhr nur die Tonnen geleert, der Rest lag auf den Platten, dem Boden, unter den Büschen verteilt, wie zuvor. Claas hatte seine beiden Säcke in die Tonnen gesteckt, zwei weitere von oben geholt. Hatte einen Zettel geschrieben, das mit dem Müll sei eine Sauerei, und jeder solle seinen Dreck gefälligst selber in die Tonnen schmeißen, gez. der Hauseigentümer . Hatte ihn neben die Briefkästen gehängt, am nächsten Morgen waren nur noch zwei Tesastreifen übrig.
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