«Es ist vollkommen vernünftig.»
Eine enorme Fülle von Neuigkeiten war gerade auf Harriets Haupt niedergeprasselt, allesamt schlechte. «Und was ist mit deiner neuen Freundin?» Sie sagte dies mit ebensoviel Herausforderung wie Neugier.
«Sie findet es großartig. Sie möchte auch nicht, daß jemand etwas über sie erfährt.»
«Zwei Lügnerinnen sind besser als eine, schätze ich.»
«Das ist nicht fair!»
«Bei aller Phantasie läßt sich das, was du da tust, nicht als fair bezeichnen», konterte Harriet. «Was tust du denn? Du verstrickst dich in ein Netz von Betrug.»
«Die Leute wollen sich ein bestimmtes Bild von mir machen. Sie werden glauben, was ich ihnen erzähle. Das weißt du. Die Leute sind doof.» Ein bitterer Unterton kam in ihre Stimme. «Jedenfalls tun Filmstars das dauernd.»
«Dadurch wird es nicht richtig.»
«Hör endlich auf! Du bist doch nicht mein Gewissen. Nach meiner Karriere kann ich tun, was mir gefällt.»
«Hiernach wirst du nicht mehr dieselbe sein.»
«Wie meinst du das?» Ein Schimmer von Verständnis flackerte in Carmens Augen auf und verschwand wieder.
«Jede Handlung, die ein Mensch in seinem Leben tut, prägt ihn. Was du tust, trägst du mit dir herum. Wie einen Fleck auf der Seele.»
«Ach, Scheiße.»
«Handlungen haben Folgen, Carmen, wenn auch vielleicht erst Jahre oder Jahrzehnte später. Was du tust, wird dich für den Rest deines Lebens verfolgen, und es ist mir scheißegal, wie viele Autos, Pelze, Brillanten, Häuser oder Frauen du kaufst.»
«Was du brauchst, ist eine Kanzel», höhnte Carmen.
«Du hast dir ein Preisschild aufgeklebt. Du hast dich schlicht und ergreifend verkauft. Wofür, Carmen? Für die gute Meinung von Leuten, die du nicht mögen würdest, wenn sie in deine Nähe kämen? Für Geld? Selbst wenn es um Millionen von Dollars geht, ist doch deine Integrität mehr wert, als dir irgendwer zahlen kann. Wie wirst du dich im Spiegel ansehen, nachdem du das getan hast? Du hast deine Integrität verplempert.»
«Du bist ja so weg von allem. Du bist eine alberne Idealistin. Mein Leben wird wunderbar sein! Ich kann tun, was ich will. Und ich kann's mit einer tun, die mich zu schätzen weiß. Du hast immer versucht, mich zu etwas zu machen, das ich nicht bin.»
«Ich habe dir zu helfen versucht, zu dir selbst zu finden. Die Carmen, die ich liebe, würde nie lügen.»
«Ich wußte ja, daß du mich nie wirklich verstanden hast.»
«Was für ein Mensch würde dich auch dazu auffordern, deine Selbstachtung zu untergraben?»
Ein verlegenes Schweigen legte sich über den üppig gedeckten Tisch.
Was keine von ihnen aussprach, war, daß Carmen panische Angst vor dem Alleinsein hatte. Ihre Karrieresorgen waren eine Tarnung für tiefere Dinge. Ein Mensch kann nur dann weiterkommen, wenn er das, was er am meisten fürchtet, annimmt. Carmen war weit davon entfernt, sich ihrer Einsamkeit zu stellen, die dann zu Alleinsein, schließlich zu Selbstkenntnis werden würde. Sie brauchte es, daß ihre Persönlichkeit ihr widergespiegelt wurde, wie sie es brauchte, daß der Ball von der anderen Seite des Feldes zurückgeschlagen wurde.
«Warum tust du das?» Eine Träne lief seitlich an Harriets Nase herab.
«Weil ich kein Vertrauen mehr zu dir habe. Wenn du mich liebtest, hättest du nicht allen erzählt, daß du lesbisch bist. Dir liegt nichts an mir oder meiner Karriere. Dir liegt nur an dir selbst.»
«Ich habe meine Karriere verpfuscht. Ich bin von einem Land zum anderen mitgezogen, von einem öden Ort zum nächsten öden Ort.»
«Ich habe dich nicht darum gebeten.»
«Warum hast du dann geweint und mir gesagt, ich soll meine Stellung aufgeben? Warum hast du mich fünfmal am Tag angerufen und geweint, wenn wir getrennt waren? War das etwa kein Bitten?»
Carmen bekam einen roten Kopf. «Jetzt bitte ich dich nicht.»
«Aber du hast es getan, und ich bin 36 Jahre alt, und mein Leben zu diesem Zeitpunkt zu ändern ist verdammt beängstigend. Mit 24 glaubst du, du kannst jederzeit neu anfangen. Das Leben ist eine einzige Einladung zu Neuanfängen. Ich stehe in meinem Leben an einem anderen Punkt als du, und du spielst schnell und locker, nicht nur mit meinem Kopf, sondern auch mit meiner Karriere. Gott, war ich ein Dummkopf zu glauben, daß du meinst, was du sagst. Du hast gesagt, du würdest für mich sorgen.»
«Ich zahle schließlich die Rechnungen.»
«Wie kannst du es wagen, das gegen mich auszuspielen, nachdem du mich gebeten hast, meine Arbeit aufzugeben!»
Carmen wußte, daß sie ihr Wort brach, und sie haßte es. «Ich habe keine Gewalt über mein Herz. Mir ist ja wohl noch ein Irrtum gestattet.»
«Aber wer von uns ist der Irrtum? Und was ist mit den anderen Frauen, die vor mir deine Geliebten waren?»
Carmen konnte das nicht ertragen. Sie wollte, daß alles einfach war. Gestern war gestern, und Gestriges galt heute nicht mehr. Frühere Geliebte wurden vergessen, oder man erinnerte sich gelegentlich liebevoll an sie. Carmen wechselte das Thema. «Miguel ist in großen Schwierigkeiten. Er schuldet Amalgamated-Banks über 600000 Dollar.»
«Was?»
«Er hat einen Kredit von 600000 Dollar plus Zinsen aufgenommen und meine Unterschrift als Mitunterzeichnerin gefälscht.»
«Was hat denn das mit uns zu tun?»
«Ich werde eine Menge Geld verlieren, wenn ich nicht hetero werde. Miguel hat sich auf ein Geschäft mit nachgemachter Designermode eingelassen. Ach, frag bloß nichts. Der Punkt, auf den es ankommt, ist: wenn die Umsätze fallen und er den Kredit nicht zurückzahlen kann, muß ich das Geld aufbringen.»
«Carmen, ich mochte dich lieber, als du dir noch um dein Herz Sorgen gemacht hast.»
«Ich und meine Karriere sind dir völlig schnuppe. Jede andere wäre außer sich. Bonnie Marie macht Miguels Scheiße ganz krank.»
Harriet knallte ihr eine. Das war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.
Carmen rieb sich das Gesicht und sagte: «Ich habe dir nie getraut.»
«Warum hältst du nicht einfach die Klappe?» Harriet stand auf, ging aus dem Zimmer und schloß die Tür hinter sich.
Carmen raste ganz hysterisch zum Telefon. «Bonnie Marie, ich hab's ihr erzählt. Sie hat mich geschlagen. Ich hasse sie!»
Worauf das Gespräch die erwartbare Wende nahm. Bonnie Marie liebe sie. Ja, Harriet sei eine fürchterliche Person. Innerhalb von 24 Stunden würden sie zusammen sein, und alles wäre gut. Es mußte einfach gut werden.
Ricky massierte Harriet die Füße. Das war sein Allheilmittel.
«Ich begreife nicht, warum es mir so elend geht. Ich habe doch schon Freundinnen so was durchmachen sehen.»
«Für dich ist es neu.» Ricky wies sie auf das Offensichtliche hin.
«Hier, trink das.» Jane reichte ihr einen Wodkacocktail.
«Ich trinke nicht.»
«Das wissen wir doch, aber es gibt für alles ein erstes Mal. Du bleibst heute nacht hier. Morgen früh komme ich mit und helfe dir, deine Sachen zu packen, und dann können wir alle nach New York zurückfliegen.»
«Es war einfach zuviel für sie.» Harriet trank den Cocktail tatsächlich.
«Schatz, du hast den Preis der Liebe gezahlt. Jetzt zahlst du die Steuern darauf. Je schneller du es vergißt, desto besser geht es dir.»
«Mein Gott, Jane, wir haben ein Haus zusammen. Wir haben zusammen gelebt.»
«Das haben viele andere auch. Trennung ist nun mal kein Zuckerschlecken.»
«Was soll das heißen?» Harriet sah Jane fragend an.
«Bloß daß es eine miese Kiste ist. Es ist auch für sie eine miese Kiste, aber das wird Carmen erst in ein paar Jahren herausfinden.»
«Lavinia hat noch einmal in Wimbledon gewonnen.» Ricky brachte Kissen und Decken für Harriet herein, die von dem Wodka schon ganz schläfrig war. «Hoffentlich ist das Sofa bequem.»
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