»Mummy?«, rief sie beim Eintreten, die Stimme hoch vor Nervosität. Sie legte die Briefe auf den Dielentisch und zog ihren Mantel aus, bemüht, ruhig zu bleiben. Doch dann breitete sich auf ihrem Gesicht unwillkürlich ein Lächeln aus. Am liebsten wäre sie wie ein kleines Mädchen herumgehüpft und hätte gelacht und gesungen. »Mummy, dreimal darfst du raten!«
Freudig warf sie die Küchentür auf und hielt dann überrascht inne. Ihre Eltern saßen gemütlich zusammen am Tisch, beide noch immer in ihren Morgenröcken, als hätten sie Urlaub.
»Oh.« Sie wusste nicht genau, warum sie so überrascht war.
»Milly!« Olivia legte ihre Zeitung beiseite. »Alles in Ordnung?«
»Wir sind davon ausgegangen, dass du bei Harry übernachtet hast«, erklärte James.
»Hast du schon gefrühstückt?«, fragte Olivia. »Komm, ich mache dir einen Kaffee – und wie wär’s mit einem leckeren Toast?«
»Ja«, erwiderte Milly. »Ich meine, nein. Hört mal her!« Sie fuhr sich durchs Haar, und das Lächeln auf ihrem Gesicht erschien wieder. »Ich habe gute Nachrichten für euch. Simon und ich werden heiraten!«
»Oh, Schatz!«, rief Olivia. »Das ist ja wunderbar!«
»Dann habt ihr euch also wieder vertragen«, sagte James. »Das freut mich zu hören. Er ist ein prachtvoller Kerl.«
»Ich weiß«, erwiderte Milly. »Und ich liebe ihn. Und er liebt mich. Und alles ist wieder in bester Ordnung.«
»Das ist doch einfach fantastisch!«, sagte Olivia. Sie nahm ihren Becher und trank einen Schluck Kaffee. »Wann soll die Trauung denn stattfinden?«
»In zwei Stunden!«, erwiderte Milly glücklich.
»Was?« Olivia stellte ihren Becher krachend auf dem Tisch ab.
»Milly, ist das dein Ernst?«, fragte James. »Noch heute Morgen?«
»Ja! Heute Morgen! Warum denn nicht?«
»Warum denn nicht?« Olivias Stimme hob sich in Panik. »Weil nichts vorbereitet ist! Weil wir alles rückgängig gemacht haben! Es tut mir ja sehr leid, Schatz, aber daraus wird nichts!«
»Mummy, wir haben alles, was wir für eine Hochzeit brauchen«, versetzte Milly. »Eine Braut und einen Bräutigam. Jemanden, der mich zum Altar führt« – dabei sah sie zu James –, »und jemanden, der einen großen Hut trägt und weint. Sogar den Hochzeitskuchen haben wir. Was will man mehr?«
»Aber Pfarrer Lytton …«
»Wir haben es ihm schon gestern Abend gesagt«, erklärte Milly. »Tatsächlich ist alles schon arrangiert. Also kommt!« Sie machte ihnen Zeichen aufzustehen. »Schmeißt euch in Schale! Zieht euch an!«
»Warte!«, rief Olivia, als Milly durch die Küchentür verschwand. »Was ist mit Simon? Er hat doch keinen Trauzeugen!« Die Tür ging auf, und Millys Kopf erschien.
»Doch, hat er«, sagte sie. »Sogar einen unheimlich netten.«
»Es ist alles sehr einfach.« Simon trank einen Schluck Kaffee. »Hier sind die Ringe. Wenn der Pfarrer dich danach fragt, reichst du sie ihm. Das ist alles!«
»Gut«, erwiderte Harry schwerfällig. Er nahm die beiden goldenen Ringe und starrte sie eine Weile an, als müsse er sich ihre Form einprägen. »Der Pfarrer fragt mich nach den Ringen, und ich reiche sie ihm. Soll ich sie dabei auf der Handfläche liegen haben, oder halte ich sie mit den Fingern, oder was?«
»Keine Ahnung. Spielt das eine Rolle?«
»Weiß nicht! Das musst du doch mir sagen, Herrgott noch mal!«
»Dad, du bist doch nicht etwa nervös, oder?«
»Verdammt noch mal, natürlich nicht!«, versetzte Harry. »Und jetzt beeil dich. Geh und polier deine Schuhe.«
»Bis später«, sagte Simon von der Küchentür aus und grinste Harry an.
»Und, bist du nervös?«, erkundigte sich Isobel von der Fensterbank aus, als Simon verschwunden war.
»Nein.« Harry sah auf. »Na ja, vielleicht ein bisschen.« Abrupt schob er den Stuhl zurück und ging zum Fenster. »Das ist doch lächerlich. Ich sollte nicht Simons Trauzeuge sein, Herrgott noch mal!«
»O doch«, entgegnete Isobel. »Er will, dass du das machst.«
»Du meinst wohl, er hat sonst niemanden. Deshalb fragt er seinen alten Dad.«
»Nein, so meine ich das nicht«, erwiderte Isobel geduldig. »Er könnte locker einen befreundeten Kollegen anrufen. Das weißt du. Aber er möchte dich. Du bist seine Idealbesetzung. Und meine auch.« Sie griff nach seiner Hand, und nach einem Augenblick drückte er ihre. Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr und zog eine Grimasse. »Und jetzt muss ich wirklich los. Mummy kriegt wahrscheinlich schon Zustände!«
»Wir sehen uns dann dort.«
»Ja, bis dann.« Bei der Tür wandte Isobel sich noch einmal um.
»Du weißt ja, welche Vergünstigung man als Trauzeuge genießt?«
»Welche denn?«
»Man darf mit der Brautjungfer schlafen!«
»Ach, wirklich?« Harrys Gesicht hellte sich auf.
»Das sind die Regeln«, erklärte Isobel. »Frag den Pfarrer. Er wird’s dir bestätigen.«
Als Isobel die Halle betrat, kam Rupert gerade die Treppe hinunter. Jetzt, da er sich unbeobachtet fühlte, stand ihm ein solcher Schmerz ins Gesicht geschrieben, dass Isobel unwillkürlich erschauerte. Einige Augenblicke verharrte sie. Dann fühlte sie sich plötzlich als Voyeurin und zwang sich, mit dem Fuß ein Geräusch zu machen und kurz innezuhalten, bevor sie weiterging, sodass er seine Gedanken sammeln konnte, ehe er ihr gegenübertrat.
»Hallo«, grüßte sie ihn. »Wir haben uns schon gefragt, wie es Ihnen geht. Haben Sie gut geschlafen?«
»Prima, danke«, sagte Rupert und nickte. »Es ist sehr freundlich von Harry, dass ich hier übernachten durfte.«
»Ach, mein Gott. Da war doch nichts dabei! Es war sehr freundlich von Ihnen, die weite Reise zu machen, um Milly von …« Sie verstummte verlegen. »Wissen Sie schon, dass die Trauung jetzt doch stattfindet?«
»Nein.« Rupert schenkte ihr ein angespanntes Lächeln. »Das sind ja großartige Neuigkeiten. Wirklich großartig.« Isobel sah ihn mitleidig an und hätte alles dafür gegeben, ihm helfen zu können.
»Wissen Sie, Milly hätte Sie bestimmt gern dabei«, sagte sie. »Es wird ja jetzt keine große, schicke Hochzeitsfeier mehr. Eigentlich nur wir sechs. Aber wenn Sie Lust hätten, dann würden wir uns alle freuen, wenn Sie mitkämen.«
»Das ist sehr freundlich«, erwiderte Rupert nach einer Pause. »Wirklich, sehr freundlich. Aber … ich glaube, ich fahre lieber heim. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Natürlich nicht. Ganz wie Sie meinen.« Sie blickte sich in der leeren Halle um. »Ich organisiere jemanden, der Sie zum Bahnhof bringt. Ein Schnellzug nach London geht jede Stunde.«
»Ich möchte nicht nach London.« Ein fast friedlicher Ausdruck erschien auf Ruperts Gesicht. »Ich fahre nach Hause. Nach Cornwall.«
Um halb elf hatte Olivia sich fertig geschminkt und angezogen. Sie begutachtete sich im Spiegel und lächelte zufrieden. Ihr hellrotes Kostüm saß wie angegossen, und der dazu passende breitkrempige Hut warf einen rosigen Schimmer auf ihr Gesicht. Das blonde Haar glänzte in der Wintersonne, als sie sich mal zur einen, mal zur anderen Seite wandte, um ihr Make-up zu begutachten und den schwarzen Kragen ihrer Jacke auf Fusseln zu überprüfen. Schließlich drehte sie sich um, nahm ihre Handtasche und registrierte mit Genugtuung die handgefertigten pinkfarbenen Seidenschleifen, die ihre Schuhe schmückten.
James kam herein. »Du siehst blendend aus!«
»Das Kompliment kann ich nur erwidern!« Olivia ließ den Blick über seinen Cut gleiten. »Sehr vornehm, Brautvater.«
»Mutter der Braut.« James grinste sie an. »Apropos, wo steckt sie eigentlich?«
»Sie macht sich noch fertig«, erwiderte Olivia. »Isobel hilft ihr.«
»Na, dann schlage ich vor, wir genehmigen uns derweil einen kleinen Schluck vorhochzeitlichen Schampus! Sollen wir?« Er hielt ihr den Arm hin, und nach einem kurzen Zögern ergriff ihn Olivia. Als sie die Treppe hinuntergingen, hörten sie eine Stimme.
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