»Und woher weißt du das?«
»Er hat es Simon erzählt. Und mir. Ich war gerade dort.«
Ein Hauch Röte stieg in Isobels Wangen, und sie trat entschlossen aufs Gas. Milly starrte ihre Schwester an.
»Stimmt was nicht?«
»Nein.« Aber die Röte auf Isobels Wangen vertiefte sich, und sie sah Milly partout nicht an. Millys Herz begann, laut zu klopfen.
»Isobel, was ist los? Was hat Esme damit gemeint, dass du eine Schwäche fürs Geld hast?«
Isobel schwieg, wechselte den Gang aber ruckartig. Sie blinkte nach links und schaltete versehentlich den Scheibenwischer an.
»Verdammt«, sagte sie. »Dieses verfluchte Auto!«
»Du enthältst mir etwas vor, Isobel«, sagte Milly. »Du verschweigst was.«
»Nein.«
»Was hast du in Pinnacle Hall gemacht?« Unvermittelt wurde Millys Stimme scharf. »Wen hast du besucht?«
»Niemanden.«
»Spiel mir doch nichts vor! Du und Simon, habt ihr euch hinter meinem Rücken getroffen?«
»Nein!«, lachte Isobel. »Sei doch nicht albern.«
»Was weiß denn ich? Wenn meine Patentante mich betrügen kann, warum dann nicht auch die eigene Schwester?«
Isobel sah Milly kurz an. Deren Gesicht war bleich und angespannt, und sie umklammerte fest den Sitz.
»Herrgott, Milly«, sagte sie rasch. »Wir sind doch nicht alle Esme Ormerod! Natürlich habe ich mich nicht mit Simon getroffen.«
»Nun, was ist es denn dann?« Millys Stimme wurde schriller. »Isobel, sag mir, was los ist!«
»Okay«, erwiderte Isobel. »Okay, ich sag’s dir. Eigentlich wollte ich es dir schonend beibringen, aber nachdem du so verflucht argwöhnisch bist …« Sie blickte kurz zu Milly und holte tief Luft. »Es ist Harry.«
»Was ist Harry?«
»Mit dem ich mich getroffen habe. Er ist …«, Isobel schluckte, »der Vater.« Sie sah in Millys noch immer ausdrucksloses Gesicht. »Von meinem Kind, Milly! Er ist … er ist derjenige, mit dem ich mich getroffen habe.«
»Was?«, kreischte Milly hysterisch. »Du hast dich mit Harry Pinnacle getroffen?«
»Ja.«
»Er ist der Vater deines Kindes?«
»Ja.«
»Du hast eine Affäre mit Simons Dad ?« Millys Stimme wurde immer schriller.
»Ja«, sagte Isobel trotzig. »Aber …« Als sie hörte, wie Milly in Schluchzen ausbrach, hielt sie inne. »Milly, was ist denn?« Sie warf Milly einen kurzen Blick zu, die gekrümmt auf dem Sitz saß und das Gesicht in den Händen vergrub. Plötzlich sprangen ihr selbst Tränen in die Augen und behinderten ihre Sicht auf die Straße. »Milly, es tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Ich weiß, es ist weiß Gott nicht der geeignete Zeitpunkt, es dir zu erzählen. Oh, Milly, weine nicht!«
»Ich weine ja gar nicht!«, brachte Milly heraus. »Ich weine nicht!«
»Was tust du …«
»Ich lache!« Milly schnappte nach Luft, sah Isobel an und brach erneut in hysterisches Gelächter aus. »Du und Harry! Der ist doch so alt!«
»Er ist nicht alt!«
»Doch! Er ist steinalt! Er hat graue Haare!«
»Tja, das ist mir gleich. Ich liebe ihn. Und ich bekomme sein Kind!«
Milly hob den Kopf und sah Isobel an. Die starrte trotzig nach vorn, aber ihre Lippen bebten, und ihre Wangen waren nass von Tränen.
»Oh, Isobel, es tut mir leid!«, sagte Milly verzweifelt. »Ich hab’s nicht so gemeint. So richtig alt ist er auch wieder nicht.« Sie hielt inne. »Ich bin mir sicher, ihr gebt ein tolles Paar ab.«
»Ein Paar alter Kauze.« Isobel blinkte, um rechts einzubiegen.
»Nicht!« Milly prustete wieder los und hielt sich den Mund fest zu. »Ich glaub’s einfach nicht! Meine Schwester hat eine heimliche Affäre mit Harry Pinnacle. Ich wusste doch, dass du was im Schilde führtest. Aber darauf wäre ich in einer Million Jahren nicht gekommen!« Sie sah hoch. »Weiß sonst schon jemand davon?«
»Simon.«
»Du hast es Simon vor mir erzählt?«, fragte Milly verletzt. Isobel verdrehte aufgebracht die Augen.
»Milly, du klingst genau wie Mummy! Und nein, das habe ich nicht. Er ist uns draufgekommen.«
»Was, im Bett?«
»Nein, nicht im Bett!«
Milly kicherte.
»Tja, woher soll ich das wissen? Hätte ja sein können.« Sie studierte Isobels Profil. »Du kannst Geheimnisse sehr gut für dich behalten, weißt du?«
»Das Kompliment kann ich nur erwidern!«, versetzte Isobel.
»Ja, stimmt wahrscheinlich«, sagte Milly nach einer Pause. »Hast recht. Aber weißt du …« Sie streckte ihre Beine aus und stellte ihre Füße aufs Armaturenbrett. »Ich habe meine Ehe mit Allan nie direkt als ein Geheimnis betrachtet.«
»Was war es denn dann?«
»Ich weiß nicht«, meinte Milly vage. Sie dachte einen Augenblick nach. »Ein Geheimnis ist etwas, das man verbergen muss. Aber das war mehr wie … etwas aus einer anderen Welt. Etwas, das in dieser Welt nie wirklich existiert hat.« Sie starrte aus dem Fenster. »Ich denke immer noch ein bisschen so darüber. Wenn es niemand herausgefunden hätte, dann hätte es auch nicht existiert.«
»Du bist verrückt.« Isobel blinkte nach links.
»Bin ich nicht!« Milly deutete auf ihre Füße, die in pinkfarbenes Wildleder gehüllt waren. »Übrigens, wie gefallen dir meine neuen Schuhe?«
»Sehr hübsch.«
»Spottbillig. Simon würde sie hassen .« Aus ihren Worten war leichte Genugtuung herauszuhören. »Hab mir auch schon überlegt, ob ich mir nicht die Haare abschneiden lasse.«
»Gute Idee«, sagte Isobel geistesabwesend.
»Ich will sie mir bleichen lassen. Und mir einen Nasenring anbringen lassen.« Sie grinste Isobel an. »Oder so was.«
Als sie sich Pinnacle Hall näherten, wurde Milly plötzlich ihrer Umgebung gewahr, und sie versteifte sich.
»Isobel, was machen wir?«
»Wir fahren nach Pinnacle Hall.«
»Das sehe ich. Aber wieso?«
Eine Weile gab Isobel keine Antwort.
»Ich denke, wir sollten warten, bis wir dort sind«, sagte sie schließlich.
»Ich möchte Simon nicht sehen«, meinte Milly, »falls es das ist, was du denkst. Wenn du irgendein Treffen arrangiert hast, das kannst du vergessen. Ich will ihn nicht sehen.«
»Weißt du, er ist heute Nachmittag vorbeigekommen, um sich zu entschuldigen. Er hat dir Blumen mitgebracht. Aber Esme hat ihn nicht reingelassen.« Sie drehte sich zu Milly um. »Na, willst du ihn jetzt sehen?«
»Nein«, erwiderte Milly nach einer Pause. »Es ist zu spät. Er kann seine Worte nicht wieder rückgängig machen.«
»Also, wenn du meine unmaßgebliche Meinung hören willst«, sagte Isobel, als sie sich den Toren von Pinnacle Hall näherten, »ich glaube, dass es ihm aufrichtig leidtut.«
»Mir egal.« Als der Wagen knirschend die Auffahrt entlangfuhr, rutschte Milly tiefer in ihren Sitz. »Es macht mir nichts aus, Harry zu sehen«, sagte sie. »Aber Simon? Nein danke.«
»Schön«, sagte Isobel ruhig. »Seinetwegen fahren wir sowieso nicht her.« Sie stellte den Motor ab und sah Milly an. »Mach dich auf einen Schock gefasst.«
»Was?« Doch Isobel war schon ausgestiegen und marschierte auf das Haus zu. Zögernd stieg Milly ebenfalls aus und folgte ihr über den knirschenden Kies. Automatisch hob sie den Blick zu Simons Zimmer an der linken Hausecke. Die Vorhänge waren zugezogen, aber sie konnte einen dünnen Lichtstreifen sehen. Vielleicht stand er dahinter und beobachtete sie. Beklommen beschleunigte sie ihren Schritt und fragte sich, wovon Isobel wohl gesprochen hatte. Als sie sich der Eingangstür näherten, ging diese plötzlich auf, und im Schatten erschien eine hoch gewachsene Gestalt.
»Simon!«, rief Milly spontan.
»Nein«, ertönte Ruperts gedämpfte Stimme gut hörbar in der Abendluft; als er weiter vortrat, wurde unter dem Licht sein blondes Haar sichtbar. »Milly, ich bin’s.« Überrascht blieb Milly stehen.
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