»Was?« Simon riss schockiert den Kopf hoch, und Milly bekam prompt Gewissensbisse.
»Simon, es tut mir leid«, sagte sie sofort. »Ich hab’s nicht so gemeint.« Sie entfernte sich ein wenig von ihm und musterte die Bäume. »Es war schön.«
»Milly, gaukel mir nichts vor.« Simon klang schwer verletzt. »Sag die Wahrheit. Was hast du wirklich gedacht?«
Eine Pause trat ein.
»Na, okay«, meinte Milly schließlich. »Wenn ich wirklich ehrlich sein soll, dann war es schön – aber …« Sie wandte sich zu ihm um. »Eine Spur zu geplant. Bevor ich Luft holen konnte, steckte schon der Ring an meinem Finger. In der nächsten Minute hast du den Champagnerkorken knallen lassen, und wir waren offiziell verlobt. Ich hatte gar keine …« Sie brach ab und rieb sich das Gesicht. »Ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken.«
Stille.
»Verstehe«, sagte Simon schließlich. »Und wenn du Zeit zum Nachdenken gehabt hättest, was hättest du dann gesagt?« Milly sah ihn ein paar lange Sekunden an und wandte dann den Blick ab.
»Komm, lass uns die Pizza holen.«
»Okay.« In Simons Stimme schwang Enttäuschung mit. »Okay.« Er machte ein paar Schritte, dann blieb er stehen. »Und du bist dir ganz sicher, dass du gehen willst?«
»Ja«, erwiderte Milly. »Beim Laufen krieg ich immer den Kopf frei.« Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Komm.«
Eine halbe Stunde später blieb Milly mitten auf der dunklen Straße stehen.
»Simon?«, meinte sie kleinlaut. »Mir ist kalt.«
»Nun, dann legen wir eben einen Zahn zu.«
»Und mir tun die Füße weh. Ich habe schon Blasen von diesen Schuhen.«
Simon blieb stehen und sah sie an. Sie hatte sich die Enden ihrer Jacke um die Hände geschlungen und sie unter die Achseln gesteckt; ihre Lippen bebten, und sie klapperte mit den Zähnen.
»Hast du jetzt einen klaren Kopf?«, wollte er wissen.
»Nein«, erwiderte Milly kläglich. »Gar nicht. Alles, woran ich denken kann, ist ein schönes heißes Bad.«
»Na ja, es ist nicht mehr weit«, sagte Simon fröhlich. Milly spähte die schwarze, unbeleuchtete Straße entlang.
»Ich kann nicht mehr. Gibt’s hier denn nirgendwo Taxis?«
»Wohl kaum. Aber du kannst mein Jackett haben.« Er zog es aus, und Milly schnappte es sich und kuschelte sich in das warme Futter. »Ist dir denn jetzt nicht zu kalt?«, fragte sie vage.
»Geht schon. Sollen wir weitergehen?«
»Okay.« Milly begann, vorwärtszuhinken. Simon blieb stehen und sah sie an.
»Besser geht’s nicht?«
»Meine Füße bluten «, jammerte Milly. Simons Blick wanderte nach unten.
»Sind das neue Schuhe?«
»Ja«, erwiderte Milly trübselig. »Und sie waren sehr günstig. Aber jetzt hasse ich sie.« Sie machte einen weiteren Schritt und zuckte zusammen. Simon seufzte.
»Na komm. Stell dich auf meine Füße. Ich lauf ein Weilchen mit dir drauf.«
»Wirklich?«
»Komm. Steck dir die Schuhe in die Tasche.«
Er fasste Milly fest um die Taille und begann, mit ihr auf den Füßen ungeschickt in die Nacht zu schreiten.
»Das gefällt mir«, meinte Milly nach einer Weile.
»Ja«, grunzte Simon. »Super.«
»Du gehst sehr schnell, nicht?«
»Das tue ich immer, wenn ich Hunger habe.«
»Es tut mir leid«, sagte Milly gedrückt. »Aber die Idee an sich war doch gut, oder?« Es entstand eine Pause, und sie wandte sich um. Damit brachte sie Simon so aus dem Gleichgewicht, dass sie fast hingefallen wären. »Stimmt’s, Simon?«
Simon lachte, die Stimme rau von der Abendluft.
»Ja, Milly«, japste er heiser. »Eine deiner besten.«
Als sie die Pizzeria schließlich erreichten, brachten die beiden vor Kälte und Anstrengung kaum mehr ein Wort heraus. Sie öffneten die Tür, und sofort schlugen ihnen die warme Luft und der Knoblauchgeruch des Essens wie ein berauschender Schwall ins Gesicht. Das Restaurant war gesteckt voll, Musik erfüllte den Raum; plötzlich schien die kalte, dunkle Straße eine Million Meilen entfernt zu sein.
»Einen Tisch für zwei Personen, bitte.« Simon stellte Milly auf dem Boden ab. »Und zwei große Brandys.«
Milly rieb sich die kalten, geröteten Wangen und lächelte ihn an.
»Weißt du, meinen Füßen geht’s jetzt ein bisschen besser.« Sie probierte sie auf dem Marmorboden aus. »Ich glaube, ich kann allein zum Tisch gehen.«
»Gut.« Simon streckte sich. »Das ist prima.«
Ein rot gewandeter Ober führte sie zu einem Tisch und kehrte umgehend mit zwei Brandys zurück.
»Prost!« Zögernd sah Milly Simon an. »Allerdings weiß ich nicht genau, worauf wir trinken. Auf die … Hochzeit, die es nicht gab?«
»Auf uns.« Simon wirkte plötzlich ernst. »Lass uns auf uns trinken. Milly …«
»Was?«
Stille. Millys Herz begann zu hämmern. Nervös fingerte sie an ihrer Papierserviette.
»Ich habe das nicht geplant«, sagte Simon. »Weiß Gott nicht. Aber ich kann nicht länger warten.«
Er legte seine Speisekarte beiseite und sank neben dem Tisch auf ein Knie. Im Restaurant entstand ein leichter Aufruhr, als die Gäste hinübersahen und sich gegenseitig anstießen.
»Milly, bitte«, sagte Simon. »Ich frage dich noch einmal. Und … und wider besseres Wissen hoffe ich, dass du ja sagen wirst. Möchtest du meine Frau werden?«
Lange herrschte Stille. Schließlich sah Milly ihn an. Ihre Wangen hatten einen zarten Pinkton angenommen; die Serviette in ihren Händen war nur noch ein rotes Knäuel.
»Simon, ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich muss … ich muss darüber nachdenken.«
Als sie ihre Pizza aufgegessen hatten, räusperte Milly sich und sah Simon nervös an.
»Wie war deine Pizza?«, erkundigte sie sich mit trockener Stimme.
»Gut. Und deine?«
»Gut.« Kurz trafen sich ihre Blicke, dann sah Simon weg.
»Bist du …«, begann er. »Hast du …«
»Ja.« Milly biss sich auf die Lippen. »Ich habe nachgedacht.«
Ihr Blick glitt über ihn – noch immer neben dem Tisch auf den Knien, wie die ganze Mahlzeit über, sein Essen wie bei einem Picknick um ihn ausgebreitet. Der Hauch eines Lächelns erschien auf ihrem Gesicht.
»Würdest du jetzt gern aufstehen?«
»Wozu?« Simon trank einen Schluck Wein. »Ich hab’s hier unten sehr bequem.«
»Das glaube ich.« Millys Lippen bebten. »Ich dachte bloß … dass du mich vielleicht gern küssen würdest.«
Angespannte Stille trat ein.
»So?«, sagte Simon schließlich. Gemächlich stellte er sein Weinglas ab und sah zu ihr hoch. Eine Weile starrten sie sich an, ohne zu merken, dass die Kellner einander anstießen und etwas in die Küche riefen; sie hatten nur Augen für einander. »Dürfte ich das wirklich?«
»Ja«, erwiderte Milly so ruhig wie möglich. Sie legte ihre Serviette ab, glitt von ihrem Stuhl zu ihm auf den Marmorboden und schlang die Arme um seinen Hals. Als sich ihre Lippen trafen, brandete im Restaurant gedämpfter Applaus auf. Tränen strömten über Millys Wangen, auf Simons Hals und auf ihre Lippen. Sie schloss die Augen und schmiegte sich an seine breite Brust, atmete den Duft seiner Haut ein, zu schwach, um auch nur einen Muskel zu rühren. Sie fühlte sich vollkommen ausgelaugt, körperlich wie emotional.
»Eine Frage nur«, flüsterte Simon ihr ins Ohr. »Wer bringt es deiner Mutter bei?«
Um neun Uhr am nächsten Morgen herrschte heiteres, kühles Wetter. Als Milly mit ihrem kleinen Auto vor der Bertram Street eins vorfuhr, wollte der Postbote gerade ein Bündel Briefe in den Briefkasten stecken.
»Guten Morgen!«, wandte er sich grüßend zu ihr um. »Wie geht’s der Braut?«
»Gut.« Milly schenkte ihm ein knappes Lächeln. Sie nahm die Briefe entgegen, langte in ihre Tasche nach dem Schlüssel und hielt dann inne. Ihr Herz schlug mit einer Mischung aus erregter Vorfreude und Furcht, und ihr schwirrten tausend einleitende Sätze im Kopf herum. Eine Weile starrte sie auf den glänzenden Lackanstrich der Tür, dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss.
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