»Uns wurde gesagt, wir könnten hier was bekommen«, erklärte die Frau.
»Das kann aber nicht sein«, erwiderte Isobel geduldig, »weil nämlich alle Zimmer belegt sind.«
»Ich habe mit jemandem telefoniert!« Die Stimme der Frau hob sich verärgert. »Ich habe mir eigens versichern lassen, dass wir hier unterkommen können! Und, das könnte ich vielleicht hinzufügen, Sie wurden uns von unseren Freunden, den Rendles, empfohlen.« Sie sah Isobel vielsagend an.
»Oh, welche Ehre!«
»Sprechen Sie nicht in diesem Ton mit mir, junge Frau!«, empörte sich die Frau. »Führen Sie so Ihre Geschäfte? Der Kunde ist König, wissen Sie! Tja, also, uns wurde gesagt, wir bekämen hier ein Zimmer. Sie können einen doch nicht einfach ohne Erklärung abweisen!«
»Doch, Herrgott noch mal«, sagte Isobel.
»Sie wollen eine Erklärung?«, fragte Olivia mit bebender Stimme.
»Mummy, lass es …«
»Sie wollen eine Erklärung?« Olivia holte tief Luft. »Nun, wo soll ich anfangen? Mit der Hochzeit meiner Tochter? Die Hochzeit, die eigentlich morgen stattfinden sollte?«
»Oh, eine Hochzeitsfeier!«, meinte die Frau entgeistert. »Nun, das ist was anderes.«
»Oder soll ich mit ihrer ersten Hochzeit vor zehn Jahren anfangen?« Olivia ignorierte die Frau. »Der Hochzeit, von der wir keine Ahnung hatten?« Ihre Stimme schwoll gefährlich an. »Oder damit, dass wir das Ganze abblasen müssen und dass unsere gesamte Familie und all unsere Freunde sich hinter unserem Rücken über uns lustig machen?«
»Wirklich, ich wollte nicht …«, begann die Frau.
»Aber kommen Sie trotzdem rein!« Olivia riss die Tür weit auf. »Wir finden schon ein Zimmer für Sie! Irgendwo zwischen all den Hochzeitsgeschenken, die wir zurückschicken müssen, und den Hochzeitskuchen, die wir essen müssen, und den Kleidern, die nie getragen werden, und dem wunderschönen Brautkleid …«
»Komm, Rosemary«, sagte der Mann verlegen und zog seine Frau am Ärmel. »Verzeihen Sie bitte die Störung«, wandte er sich an Isobel. »Ich habe ja immer gesagt, dass wir nach Cheltenham fahren sollten.«
Während die beiden den Rückzug antraten, sah Isobel Olivia an. Mit tränenüberströmtem Gesicht umklammerte sie noch immer die Tür.
»Mummy, ich finde, du solltest wirklich mal eine Pause machen. Häng das Telefon aus. Schau fern. Oder leg dich ein bisschen ins Bett.«
»Ich kann nicht. Wir müssen weiter telefonieren.«
»Unsinn«, entgegnete Isobel. »Alle, mit denen ich gesprochen habe, wussten sowieso schon davon. Klatsch macht schnell die Runde, weißt du. Die wichtigsten Leute haben wir angerufen. Die anderen können warten.«
»Nun«, meinte Olivia nach einer Pause. »Ein bisschen erschöpft bin ich wirklich. Vielleicht lege ich mich doch etwas hin.« Sie schloss die Haustür und blickte Isobel an. »Ruhst du dich auch aus?«
»Nein.« Isobel griff nach ihrem Mantel. »Ich sehe mal kurz bei Milly vorbei.«
»Eine gute Idee«, meinte Olivia bedächtig. »Sie wird sich freuen, dich zu sehen.« Sie hielt inne. »Denk bitte dran …«
»Ja?«
»Denk bitte dran, sie von mir zu grüßen.« Olivia senkte den Blick. »Das ist alles. Grüß sie von mir.«
In Esmes Wohnzimmer war es warm und ruhig, ein Zufluchtsort der Ruhe und Kultiviertheit. Während Isobel auf einem hellen, eleganten Sofa Platz nahm, sah sie sich neugierig um und bewunderte die Sammlung Silberdosen, die auf einem Beistelltisch zwanglos angeordnet waren, die mit glatten, grauen Kieselsteinen gefüllte Holzschale.
»Na«, sagte Milly und setzte sich ihr gegenüber. »Ist Mummy immer noch sauer?«
»Eigentlich nicht.« Isobel verzog das Gesicht. »Sie benimmt sich eigenartig.«
»Vermutlich bedeutet das, dass sie wütend ist.«
»Das ist sie nicht, ehrlich. Sie hat gesagt, ich solle dich von ihr grüßen.«
»Wirklich?« Milly zog die Füße unter sich ein und nippte an ihrem Kaffee. Das Haar hatte sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden, und unter ihren Jeans trug sie ein Paar uralter Skisocken.
»So, bitte schön!« Esme reichte Isobel einen Becher mit Kaffee. »Allerdings muss ich Milly leider bald entführen. Wir wollen essen gehen.«
»Gute Idee. Wohin geht ihr?«
»In ein kleines Lokal, das ich kenne.« Esme lächelte beide an. »In ungefähr zehn Minuten, Milly?«
»Gut«, sagte Milly. Beide warteten sie, bis Esme die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Also«, sagte Isobel dann. »Wie geht’s dir wirklich?«
»Weiß nicht«, sagte Milly langsam. »Manchmal geht’s mir gut – und manchmal würde ich am liebsten losheulen.« Zittrig holte sie Luft. »Immer wieder denke ich, was würdest du jetzt gerade tun … und was würdest du jetzt gerade tun?« Sie schloss die Augen. »Keine Ahnung, wie ich den morgigen Tag durchstehen soll.«
»Trink dir einen Rausch an.«
»Das mach ich heute Abend.« Ein kleines Lächeln huschte über Millys Gesicht. »Na, bist du mit von der Partie?«
»Vielleicht.« Isobel trank einen Schluck Kaffee. »Und Simon hat sich noch nicht gemeldet?«
»Nein.« Millys Gesicht verschloss sich.
»Ist es wirklich ganz aus zwischen euch?«
»Ja.«
»Das glaube ich einfach nicht.« Isobel schüttelte den Kopf. »Bloß weil …«
»Weil ich ihn in einer Sache getäuscht habe«, sagte Milly in scharfem, sarkastischem Ton, »bin ich offensichtlich eine krankhafte Lügnerin. Ganz offensichtlich kann man mir nie mehr Glauben schenken.«
»Schwein. Ohne ihn bist du besser dran.«
»Ich weiß.« Milly blickte auf und lächelte kummervoll. »Es ist das Beste so, wirklich.« Isobel sah sie an und hätte plötzlich am liebsten losgeheult.
»Oh, Milly. Es ist solch ein Jammer.«
»Was soll’s«, meinte Milly leichthin. »Komm. Es ist ja nicht so, als ob ich schwanger wäre. Also, das wäre wirklich eine Katastrophe!« Sie trank einen Schluck Kaffee und grinste Isobel halbherzig an.
Isobel erwiderte ihren Blick und lächelte unwillkürlich. Eine Weile herrschte Schweigen.
»Weißt du schon, was du machen wirst?«, fragte Milly schließlich.
»Nein.«
»Was ist mit dem Vater?«
»Er will das Baby nicht. Das hat er mir klipp und klar zu verstehen gegeben.«
»Hast du ihn nicht überreden können?«
»Nein. Und das will ich auch gar nicht! Ich will niemanden zur Vaterschaft drängen. Was für eine Chance hätte unsere Beziehung dann noch?«
»Vielleicht würde das Kind euch zusammenbringen.«
»Babys sind kein Kitt.« Isobel fuhr sich durchs Haar. »Wenn ich das Baby bekäme, dann müsste ich das allein durchziehen.«
»Ich würde dir helfen!«, sagte Milly. »Und Mummy auch.«
»Ich weiß.« Isobel zuckte mit den Achseln. Milly starrte sie an.
»Isobel, du würdest es doch nie im Leben über dich bringen, das Kind abzutreiben!«
»Ich weiß es nicht!« Isobels Stimme hob sich verzweifelt. »Ich bin erst dreißig, Milly! Schon morgen könnte ich dem Traummann schlechthin begegnen. Vielleicht würde er mein Herz im Sturm erobern. Aber mit Kind …«
»Das würde keinen Unterschied machen«, entgegnete Milly mit Nachdruck.
»Doch! Und weißt du, das Mutterdasein ist wahrlich nicht so einfach. Ich hab das bei Freundinnen erlebt. Die haben sich in Zombies verwandelt. Dabei sind sie nicht mal alleinerziehend.«
»Tja, ich weiß nicht«, sagte Milly nach einer Pause. »Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Genau. Das ist es ja eben.«
Die Tür ging auf, und Esme lächelte sie unter einem riesigen Pelzhut an.
»Bereit zum Aufbruch, Milly? Isobel, Schatz, möchtest du nicht auch mitkommen?«
»Nein, danke.« Isobel erhob sich. »Ich mach mich besser auf den Heimweg.«
Sie beobachtete, wie Milly in Esmes roten Daimler stieg, und wünschte sich plötzlich, ihre eigene Patentante würde überraschend erscheinen und sie auch so unter ihre Fittiche nehmen. Doch Mavis Hindhead war eine farblose Frau aus dem Norden Schottlands, die Isobel seit ihrer Konfirmation nicht mehr zur Kenntnis genommen hatte, zu der sie ihr einen kratzigen, unförmigen Pulli und eine krakelig geschriebene Karte geschickt hatte, aus der Isobel nie schlau geworden war. Es gab nicht viele Patentanten, dachte Isobel, wie Esme Ormerod.
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