Darauf erwiderte Ali as-Sayyid:
»Einem Star wie ihm kommt eben eine Sonderstellung zu.«
»Es ist nicht nur der Ruhm eines Filmstars, auch nicht Gestalt und Schönheit, sondern die rätselhafte Macht des Geschlechts.«
»Die Frauen sollen uns darüber Auskunft geben…«
»Die Frauen lieben, ohne zu verraten, weshalb.«
»Bitten wir die Schilddrüse um Aufschluß…« Sana nahm ein Sitzkissen, ging auf die Veranda und setzte sich dort allein nieder. Ali as-Sayyid fragte Raschid und nickte dabei verstohlen zu Sana hin:
»Verkörpert sie etwa das weibliche Ideal, das du suchst?« Mustafa Raschid antwortete kurz: »Nein.«
»Die Libertinage… die Libertinage ist das Heilmittel für das alles.«
»Ihr Schurken«, sagte Anis unvermittelt, »ihr seid verantwortlich für den Verfall der römischen Kultur.« Sie lachten lärmend, und Nasr sagte zu ihm: »Du bist heute abend nervös und nicht wie sonst.«
»Der Tabak schmeckt wie Pech.«
»Aber er schmeckt öfter so.«
»Und der Mond! Der Ablauf seiner Phasen erinnert mich an die Farce.«
»Die Farce?«
»Die Farce der Farcen!«
Die Haschischpfeife kreiste jetzt ohne Unterbrechung. Sie schwiegen, um die umherschweifenden Seelen zu sammeln. Die Sitzung brachte ein Nichts hervor, das Vergangenheit und Zukunft verschlang. Er sagte sich, er sei eine runde Null, nicht mehr und nicht weniger, aber eine Null ist das größte Wunder. Im Mondschein enthüllte sich das Unbekannte. Von draußen ertönte Amm Abduhs Stimme, die unverständliche Worte sprach. Einige lachten. Jemand sagte, die Zeit verfliegt mit unerhörter Geschwindigkeit. Das Plätschern der Wellen, die an die Tonnen der Hausboote schlugen, wurde vernehmbar. Jawohl, die Phasen des Mondes. Der Stier mit verbundenen Augen. Eines Tages ermahnte mich der Scheich: »Sie neigen zur Gewalttätigkeit, aber Gott liebt nicht die Gewalttätigen.«
Blut floß dabei aus meiner Nase. Der Scheich mochte das gleiche zu dem anderen gesagt haben. Das Blut mochte auch aus der Nase des anderen geflossen sein. Wie kann man überhaupt Sicherheit über etwas erlangen! Die Stimme ertönte wieder: »Die Zeit ist mit unerhörter Geschwindigkeit verflogen.«
»Es ist Zeit«, stöhnte Ahmad Nasr. Damit war das Ende der Sitzung verkündet. Man räkelte sich träge, Ahmad und Mustafa gingen weg, es folgten Khalid und Laila. Ali und Saniya aber zogen sich in das auf den Garten gehende Zimmer zurück. Amm Abduh trat ein, um aufzuräumen. Anis beklagte sich über den schlechten Tabak; der Alte bemerkte nur, daß jetzt alles schlecht sei auf dem Markt. Von der Veranda ertönte ein Husten, Anis erinnerte sich augenblicklich an Sana. Auf allen vieren kroch er vorwärts, lehnte den Rücken an den Türflügel, streckte seine Beine in den Raum und murmelte: »Schöner Abend.«
Sie saß im Dunkeln, der Mond war nur weit hinter dem Boot in Richtung der Straße weitergewandert und hatte seine Lichtspiegelung von der Wasserfläche abgezogen. »Glaubst du, daß er zurückkehrt?«
»Wer?«
»Ragab.«
»Unglücklich ist der Gefragte, der nicht antworten kann.«
»Er hat gesagt, daß er vielleicht gegen Ende des Abends zurückkäme.«
»Vielleicht.«
»Störe ich dich?«
»Gott behüte!«
»Meinst du, ich sollte warten?« Er lachte leicht auf:
»Ein ganzes Volk wartet seit Tausenden von Jahren.«
»Verspottest du mich wie die andern?«
»Keiner hat dich verspottet, es ist nur ihre Art zu reden.«
»Auf jeden Fall bist du der Netteste von allen.«
»Ich?«
»Aus deinem Mund kommt nichts Böses.«
»Weil ich taub bin.«
»Etwas haben wir gemeinsam.«
»Was ist das?«
»Die Einsamkeit.«
»Der Berauschte kennt keine Einsamkeit.«
»Warum flirtest du nicht mit mir?«
»Weil der wahrhaft Berauschte sich selbst genug ist.«
»Was hältst du von einer Fahrt mit dem Segelboot?«
»Meine Füße können mich kaum noch tragen.« Sie seufzte.
»Ich muß also gehen. Es ist keiner da, der mich zum Maidan [10] Maidan : Wörtlich »Platz«, hier Verkehrsknotenpunkt.
begleitet!«
»Amm Abduh begleitet den, der keine Begleitung findet.« In den milden Wind mischte sich der kühle Atem der Nacht. Durch die geschlossene Zimmertür hörte man das Geräusch eines unterdrückten Lachens. Der Himmel war durchsichtig und klar und funkelte von Tausenden von Sternen. Mitten darin gewahrte er ein lächelndes Gesicht mit verschwommenen Zügen. In ihm stieg ein unvergleichliches Gefühl auf, das er zuvor nur bei den olympischen Spielen erlebt hatte, als er einen neuen Rekord aufstellte. Da die Zeit mit verwirrender Geschwindigkeit verrann, erschien vor seinen Augen die Tragödie in leibhaftiger Gestalt auf dem Schlachtfeld:
Kambyses saß auf der Tribüne, und hinter ihm stand sein siegreiches Heer in Reih und Glied, zur Rechten seine ruhmreichen Feldherren, und zur Linken saß der gebeugte Pharao. Die gefangenen Soldaten Ägyptens zogen an dem Eroberer vorüber. Plötzlich brach der Pharao in Tränen aus, und auf die Frage des Kambyses nach dem Grund seines Weinens deutete er auf einen Mann unter den Gefangenen, der mit gesenktem Kopf einherging, und sagte:
»Dieser Mann!… Wie oft habe ich ihn auf der Höhe des Ruhms gesehen, es berührt mich schmerzlich, ihn nun in Ketten zu erblicken!«
Die Sitzung ist mit allem Erforderlichen vorbereitet. Amm Abduh ruft zum Abendgebet, aber das Warten ist ein kritischer Zustand, das Warten auf die Wirkung des Zaubertranks. Das Warten ist ein beunruhigendes Gefühl, von dem nur der Balsam der Ewigkeit heilen kann. Vorher können ihn weder der Nil noch die Schwärme weißer Tauben trösten. Mit besorgtem Blick sieht er den Ausgang der Sitzung voraus, wie er jedem anderen Ende entgegensieht. Der über den Akazien leuchtende Mond verstärkt diese Ängste eher, als daß er sie besänftigt. Solange dieser Zustand anhält, folgt sogar auf die untadelige Tat die Reue; man wird jeder Weisheit überdrüssig, außer der, die alle Weisheiten Lügen straft. Die Qual soll endlich unwiderruflich dem Zauber weichen. Wenn wir zum Mond auswandern, werden wir die ersten Auswanderer sein, die vor dem Nichts ins Nichts flüchten. Schade um das Spinnengewebe und um die Spinne, die eines Nachts in unserem Dorf mit den Fröschen sang. Vor dem Nachmittagsschläfchen hörte er Napoleon die Engländer beschuldigen, daß sie ihn langsam vergiftet hätten. Er lief zwischen Veranda und Wandschirm hin und her, er schaltete die blaue Lampe ein. Dabei spürte er, wie die Finger der Barmherzigkeit sein Inneres zart streichelten. Das Hausboot schwankte; Stimmen wurden laut und kündigten Leben an.
Die Gesellschaft versammelte sich vollzählig, und die Wasserpfeife kreiste unter dem aufgehenden Mond. Sana blieb zum ersten Mal aus. Ahmad Nasr bemerkte es, und man stritt sich darüber.
»Die Sache ist die«, sagte Saniya Kamil, »ihr seid wankelmütige und unbeständige Männer.«
Ragab schien unbekümmert zu sein und pries die Qualität des »Stoffs«.
»Du warst zu hart zu ihr und hast nicht bedacht, daß sie noch so jung ist«, sagte Ahmad Nasr.
»Ich kann nicht gleichzeitig Liebender und Erzieher sein.«
»Sie ist doch noch so jung!«
»Ich bin nicht der erste Künstler in ihrem Leben.« Auf die Vermutung Ahmads, sie könnte ihn tatsächlich geliebt haben, meinte er:
»Eine Liebe, die in unserer hastigen Zeit einen ganzen Monat anhält, ist schon sehr alt.«
Er dachte daran, wie sie ihn hatte verführen wollen und wie er sich wie Joseph in Ägypten geweigert hatte. Das Licht des Mondes beleuchtete ihre Gesichter, aber bald würde er nicht mehr zu sehen sein. Wenn er ihre Gesichter aufmerksam betrachtete, enthüllten sich ihm neue Züge, als wären sie ihm alle fremd. Er sah sie gewöhnlich gleichsam mit dem Gehör, durch Rauchschwaden hindurch mit dem inneren Auge. Richtete er seine Blicke unmittelbar auf sie, so kam er sich wie ein Fremder unter Fremden vor. Er sah die Vergänglichkeit in den leichten Falten um Laila Zaidans Augen, er erkannte die eisige Härte in Ragabs ironischem Lächeln. Die Welt selbst dünkte ihn fremd, und er wußte nicht, wo sie im Fluß der Zeit stand. Vielleicht existierte überhaupt keine Zeit.
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