»Nein, das ist auf meinem Mist gewachsen.«
Ich konnte mich nicht mehr verstecken und ließ die Hände sinken.
»Na gut. Ja, ich gebe zu, dass ich eine vage Unruhe verspüre.«
»Vage sind nur Sie — Sie vergehen fast vor Angst. Geben Sie es doch zu.«
»Lassen wir die Kirche im Dorf. Sagen wir, ich habe gewisse Zweifel hinsichtlich der Beziehung zu meinem Verleger, was nach all meinen Erfahrungen ja auch verständlich ist. Soweit ich weiß, ist Corelli ein vollkommener Gentleman, und unsere berufliche Beziehung wird für beide Seiten ertragreich und positiv sein.«
»Darum rumort es jedes Mal in Ihrem Bauch, wenn sein Name fällt.«
Mir ging in dieser Debatte langsam die Luft aus.
»Was willst du denn hören, Isabella?«
»Dass Sie aufhören, für ihn zu arbeiten.«
»Das kann ich nicht.«
»Und warum nicht? Können Sie ihm nicht sein Geld zurückgeben und ihn zum Teufel schicken?«
»So einfach ist das nicht.«
»Warum nicht? Stecken Sie in Schwierigkeiten?«
»Ich glaube, ja.«
»In was für welchen?«
»Das versuche ich ja herauszufinden. Jedenfalls bin allein ich dafür verantwortlich und muss da auch wieder allein herauskommen. Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«
Isabella schaute mich an; für den Augenblick schluckte sie es, überzeugt war sie aber nicht.
»Sie sind ein völlig unmöglicher Mensch, wissen Sie das?«
»Ich gewöhne mich langsam an den Gedanken.«
»Wenn ich bleiben soll, dann müssen sich die Regeln hier ändern.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Schluss mit dem aufgeklärten Absolutismus. Von heute an herrscht in dieser Wohnung Demokratie.«
»Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.«
»Vorsicht mit der Brüderlichkeit. Aber nichts mehr mit ›Ich befehle und ordne an‹, keine Auftritte mehr als Mister Rochester.«
»Ganz wie Sie meinen, Miss Eyre.«
»Und machen Sie sich keine Illusionen — ich werde Sie nicht heiraten, selbst wenn Sie erblinden.«
Ich reichte ihr die Hand, um unseren Pakt zu besiegeln. Sie ergriff sie zögernd, dann umarmte sie mich. Ich ließ mich von ihren Armen einhüllen und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. In der Berührung mit ihr lag Friede und glückliche Ankunft, das Licht des Lebens eines siebzehnjährigen Mädchens, und es fühlte sich an wie die Umarmung, für die meine Mutter nie Gelegenheit gefunden hatte.
»Freunde?«, murmelte ich.
»Bis dass der Tod uns scheidet.«
Die neuen Regeln der isabellinischen Herrschaft traten am folgenden Tag um neun Uhr früh in Kraft, als meine Assistentin in der Küche erschien und mich ohne weitere Umschweife davon unterrichtete, wie die Dinge von nun an laufen würden.
»Ich habe gedacht, Sie brauchen feste Regeln in Ihrem Leben. Sonst verzetteln Sie sich und werden liederlich.«
»Wo hast du denn dieses Wort her?«
»Aus einem Ihrer Bücher. Liederlich. Klingt wie ein Lied.«
»Und reimt sich vortrefflich.«
»Schweifen Sie nicht ab.«
Tagsüber würden wir beide an unseren jeweiligen Manuskripten arbeiten. Dann würden wir gemeinsam zu Abend essen, und anschließend würde sie mir die am Tag verfassten Seiten vorlegen, damit wir sie besprechen könnten. Ich schwor, aufrichtig zu sein und die angemessenen Kommentare abzugeben und nicht einfach irgendetwas zu sagen, um sie zufriedenzustellen. Die Sonntage wären arbeitsfrei, und ich würde sie ausführen, ins Kino, ins Theater oder zu einem Spaziergang. Sie würde mir in Bibliotheken und Archiven bei der Recherche helfen und mit ihren familiären Verbindungen dafür sorgen, dass die Vorratskammer schön gefüllt wäre. Ich würde das Frühstück und sie das Abendessen machen. Fürs Mittagessen wäre der zuständig, der gerade Zeit hätte. Die Putzarbeiten würden wir aufteilen, und ich verpflichtete mich, die unbestreitbare Tatsache zu akzeptieren, dass die Wohnung regelmäßig sauber gemacht werden musste. Unter keinen Umständen würde ich versuchen, einen Freund für sie aufzutreiben, während sie meine Gründe, für den Patron zu arbeiten, nicht infrage stellen und dazu auch keine Meinung äußern würde, es sei denn, ich bäte sie darum. Bei allem anderen würden wir so verfahren, wie es sich gerade ergäbe.
Ich hob meine Kaffeetasse, und wir stießen auf meine bedingungslose Kapitulation an.
Nach ein paar Tagen hatte ich mich dem Frieden und der Gelassenheit des Vasallen vollständig ergeben. Isabella wurde nur sehr schwer und langsam wach, und wenn sie mit halbgeschlossenen Augen in meinen ihr viel zu großen Pantoffeln dahergeschlurft kam, hatte ich schon das Frühstück gemacht, zu dem nicht nur der Kaffee, sondern auch eine täglich wechselnde Morgenzeitung gehörte.
Die Routine ist die Haushälterin der Inspiration. Kaum achtundvierzig Stunden waren seit der Begründung des neuen Regimes vergangen, als ich entdeckte, dass ich nach und nach die Disziplin meiner fruchtbarsten Jahre wiedererlangte. Die Stunden der Zurückgezogenheit im Arbeitszimmer schlugen sich schnell in zahlreichen Seiten nieder. Nicht ohne eine gewisse Beunruhigung erkannte ich allmählich, dass die Arbeit diese besondere Dichte erreicht hatte, wo sie nicht mehr nur eine Idee ist, sondern Wirklichkeit wird.
Der Text war brillant und entwickelte einen elektrisierenden Sog. Er las sich wie eine Legende, eine mythische Saga voller Wunder und Entbehrungen. Das Bindeglied der Figuren und Schauplätze bildete eine Prophezeiung, die für das Volk, von dem erzählt wurde, voller Hoffnung war. Die Erzählung bereitete das Kommen eines kriegerischen Erlösers vor, der die Nation von allem Schmerz und aller Schande befreien sollte und sie wieder zu altem Ruhm und Stolz führen würde, nachdem verschlagene Feinde, die ewigen Feinde aller Völker, der Nation diese Herrlichkeit entrissen hatten. Der Handlungsmechanismus war tadellos und funktionierte immer, egal auf welches Credo, welches Geschlecht oder welchen Stamm er angewandt wurde. Fahnen, Götter und Verkündigungen waren Joker in einem Spiel, in dem immer dieselben Karten ausgegeben wurden. Angesichts der Natur dieser Unternehmung hatte ich beschlossen, einen der komplexesten und am schwierigsten durchzuführenden Kunstgriffe anzuwenden: das scheinbare Fehlen jeglichen Kunstgriffs. Die Sprache klang einfach und schlicht, die Stimme zeugte von Ehrlichkeit und einem Geist, der nicht erzählt, sondern bloß offenbart. Manchmal hielt ich inne, um das bisher Geschriebene durchzulesen, und dann schlug mich blinde Eitelkeit in ihren Bann, wenn ich spürte, wie perfekt die Maschinerie funktionierte, die ich da aufbaute. Mir wurde bewusst, dass ich erstmals seit Monaten über Stunden nicht an Cristina oder Pedro Vidal dachte. Es geht wieder bergauf, sagte ich mir. Vielleicht aus diesem Grund, weil ich das Gefühl hatte, wieder Licht zu sehen, tat ich, was ich immer getan habe, wenn mein Leben auf einem guten Weg war: Ich verpfuschte alles.
Eines Morgens kleidete ich mich nach dem Frühstück als achtbarer Bürger. Als ich in die Veranda ging, um mich von Isabella zu verabschieden, war sie über ihren Schreibtisch gebeugt und las die Seiten des Vortages.
»Schreiben Sie heute nicht?«, fragte sie, ohne aufzuschauen.
»Ich brauch einen Tag zum Nachdenken.«
Ich bemerkte, dass sie die Schreibgarnitur mit dem Musentintenfass neben ihrem Heft stehen hatte.
»Ich dachte, du findest das kitschig«, sagte ich.
»Finde ich auch, aber ich bin ein junges Mädchen von siebzehn Jahren und habe alles Recht der Welt, Kitsch schön zu finden. Das ist wie bei Ihnen mit den Havannas.«
Sie schnappte den Duft von Kölnischwasser auf und blickte mich neugierig an. Als sie Anzug und Krawatte bemerkte, runzelte sie die Stirn.
»Gehen Sie wieder Detektiv spielen?«
»Ein wenig.«
»Brauchen Sie keine Leibwächterin? Eine Frau Dr. Watson? Jemand mit gesundem Menschenverstand?«
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