»Kommen Sie einen Augenblick herein, Martín.«
»Ein andermal, Señor Sempere.«
»Mir zuliebe.«
Er fasste mich am Arm und zog mich hinein. Ich folgte ihm ins Hinterzimmer, wo er mir einen Stuhl anbot, zwei Gläser mit etwas füllte, was dickflüssiger aussah als Teer, und mir bedeutete, es wie er in einem Zug zu leeren.
»Ich habe in Vidals Buch geblättert«, sagte er.
»Der Erfolg der Saison«, bemerkte ich.
»Weiß er, dass Sie es geschrieben haben?«
Ich zuckte die Achseln.
»Und wenn schon?«
Sempere schaute mich mit demselben Blick an, mit dem er eines weit zurückliegenden Tages den Jungen empfangen hatte, der mit Prellungen und abgebrochenen Zähnen bei ihm geklingelt hatte.
»Geht es Ihnen gut, Martín?«
»Hervorragend.«
Sempere schüttelte schwach den Kopf und stand auf, um aus einem Regal mein Buch zu holen. Lächelnd legte er es zusammen mit einer Feder vor mich hin.
»Seien Sie so lieb und schreiben Sie mir eine Widmung hinein.«
Nachdem ich ihm den Wunsch erfüllt hatte, nahm Sempere das Buch und stellte es in die Ehrenvitrine hinter dem Ladentisch mit den unverkäuflichen Erstausgaben. Das war sein Privatheiligtum.
»Das brauchen Sie wirklich nicht zu tun, Señor Sempere«, sagte ich leise.
»Ich tue es, weil ich es will und weil es das wert ist. Dieses Buch ist ein Teil Ihres Herzens, Martín. Und was mich betrifft, auch meines Herzens. Ich stelle es zwischen Le Père Goriot und L’Èducation Sentimentale .«
»Das ist ein Sakrileg.«
»Dummes Zeug. Es ist eines der besten Bücher, die ich in den letzten zehn Jahren verkauft habe, und ich habe viele Bücher verkauft.«
Semperes freundliche Worte vermochten die eiskalte, undurchdringliche Ruhe kaum anzukratzen, die mich mehr und mehr befiel. Auf einem Umweg ging ich gemächlich zum Haus mit dem Turm. Dort schenkte ich mir ein Glas Wasser ein, und als ich es in der dunklen Küche trank, konnte ich nicht an mich halten und brach in Gelächter aus.
Am nächsten Vormittag bekam ich zweimal Besuch. Der erste Besucher war Pep, Vidals neuer Fahrer. Er brachte mir eine Einladung seines Herrn für ein Mittagessen in der Maison Dorée, zweifellos um das Erscheinen unserer Bücher zu feiern, wie er es mir vor einiger Zeit versprochen hatte. Pep wirkte verkrampft und schien so schnell wie möglich wieder wegkommen zu wollen. Die vormals so vertraute Atmosphäre zwischen uns war verflogen. Er wollte nicht eintreten, sondern im Treppenhaus warten. Den Umschlag mit Vidals Mitteilung übergab er mir, ohne mir in die Augen zu schauen, und sowie ich ihm bestätigt hatte, die Einladung anzunehmen, verschwand er grußlos.
Als zweiter Besuch, eine halbe Stunde später, standen meine beiden Verleger in Begleitung eines Gentleman von finsterer Erscheinung und stechendem Blick vor der Tür, der sich als ihr Anwalt vorstellte. Dieses treffliche Trio trug einen Ausdruck zwischen Trauer und Streitlust zur Schau, der keinen Zweifel an der Natur der Begegnung ließ. Ich bat sie in die Veranda, wo sie sich von links nach rechts in absteigender Größe aufs Sofa setzten.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten? Ein Gläschen Zyankali?«
Ich erwartete kein Lachen, und es kam auch keines. Nach einer kurzen Vorrede von Barrido bezüglich der schrecklichen Verluste, welche der Fehlschlag der Schritte des Himmels dem Verlag verursachen würde, gab mir der Anwalt in einer unmissverständlichen Zusammenfassung zu verstehen, wenn ich mich nicht in meiner Verkörperung als Ignatius B. Samson wieder an die Arbeit mache und binnen anderthalb Monaten ein Manuskript von Die Stadt der Verdammten abliefere, würden sie mich wegen Nichterfüllung meines Vertrags auf Schadensersatz verklagen — sowie in weiteren fünf oder sechs Belangen, die mir entgingen, weil ich da schon nicht mehr hinhörte. Es gab aber nicht nur schlechte Nachrichten. Trotz des durch mein Verhalten verursachten Ärgers hatten Barrido und Escobillas in ihrem Herzen eine Perle der Großzügigkeit gefunden, um die Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen und eine neue Allianz von Freundschaft und Nutzen zu begründen.
»Wenn Sie möchten, können Sie zum Vorzugspreis von siebzig Prozent des Verkaufspreises alle Exemplare von Die Schritte des Himmels erwerben, die nicht ausgeliefert worden sind, da wir festgestellt haben, dass der Titel nicht läuft und wir sie unmöglich in die nächste Auslieferung einbeziehen können«, erklärte Escobillas.
»Warum geben Sie mir nicht die Rechte zurück? Schließlich haben Sie keinen Heller dafür gezahlt und wollen nicht einmal versuchen, ein einziges Exemplar abzusetzen.«
»Das können wir nicht, mein Freund«, führte Barrido aus. »Obwohl kein Vorschuss an Sie gezahlt wurde, war die Herausgabe für den Verlag eine höchst bedeutsame Investition, und der von Ihnen unterzeichnete Vertrag hat eine Laufzeit von zwanzig Jahren und verlängert sich automatisch zu denselben Bedingungen, falls der Verlag sein legitimes Recht ausüben will. Sie müssen verstehen, dass auch wir etwas bekommen müssen. Nicht alles kann an den Autor gehen.«
Am Ende seiner Tirade forderte ich die drei Herren auf, sich jetzt hinauszubegeben, je nach Wahl aus eigenem Antrieb oder mit einem Tritt. Bevor ich hinter ihnen die Tür zuschlug, warf mir Escobillas noch einen seiner bösen Blicke zu.
»In einer Woche erwarten wir eine Antwort, oder Sie sind geliefert«, knirschte er.
»In einer Woche sind Sie und Ihr schwachsinniger Partner tot«, erwiderte ich ganz ruhig, ohne recht zu wissen, warum ich das sagte.
Den Rest des Vormittags starrte ich an die Wand, bis mich die Glocken von Santa María daran erinnerten, dass die Stunde meiner Verabredung mit Pedro Vidal nahte.
Er erwartete mich am besten Tisch des Saales, mit einem Weißweinglas spielend und dem Pianisten lauschend, der mit Samtfingern ein Stück von Enrique Granados liebkoste. Als er mich erblickte, stand er auf und gab mir die Hand.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich.
Vidal lächelte unerschütterlich und wartete, bis ich mich gesetzt hatte, ehe er wieder Platz nahm. In die Klänge der Musik gehüllt, ließen wir schweigend eine Minute verstreichen, während Menschen vornehmen Geblüts Vidal anschauten, ihm zuwinkten oder an den Tisch traten, um ihn zu seinem Erfolg zu beglückwünschen, der das Stadtgespräch war.
»David, du weißt gar nicht, wie leid mir tut, was geschehen ist«, begann er.
»Es soll Ihnen nicht leidtun, Sie sollen es genießen.«
»Glaubst du, das bedeutet mir etwas? Die Schmeicheleien von ein paar Trotteln? Ich hatte vor allem gehofft, deinen Erfolg zu erleben.«
»Ich bedaure, Sie abermals enttäuscht zu haben, Don Pedro.«
Vidal seufzte.
»Es ist nicht meine Schuld, David, dass sie auf dich losgegangen sind. Es ist deine Schuld. Du hast es herausgefordert. Du bist mittlerweile alt genug, um zu wissen, wie so etwas läuft.«
»Sagen Sie es mir.«
Er schnalzte mit der Zunge, als beleidigte ihn meine Naivität.
»Was hast du erwartet? Du bist keiner von ihnen. Du wirst es nie sein. Du hast es nicht sein wollen und glaubst, man wird dir das verzeihen. Du vergräbst dich in deinem alten Kasten und meinst, du kannst überleben, ohne dich dem Chor der Messknaben anzuschließen und die Uniform anzuziehen. Da irrst du dich, David. Du hast dich immer geirrt. Das Spiel läuft anders. Wenn du allein spielen willst, pack die Koffer und geh irgendwohin, wo du Herr deines Schicksals bist. Aber wenn du hierbleibst, schließt du dich besser einer Gemeinde an, welcher auch immer. So einfach ist das.«
»Und das tun Sie, Don Pedro? Sich der Gemeinde anschließen?«
»Ich habe das nicht nötig, David. Ich gebe ihnen zu essen. Auch das hast du nie begriffen.«
»Sie wären erstaunt, wie schnell ich dazulerne. Aber machen Sie sich keine Gedanken, diese Kritiken haben nichts zu bedeuten. So oder so wird sich morgen keiner mehr an sie erinnern, weder an meine noch an Ihre.«
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