Allan meinte, vielleicht verhalte es sich ja auch so, dass der eine oder andere Iraner – völlig unbeeinflusst von Pastor Ferguson und der Sicherheitspolizei – ganz zufrieden mit seiner eigenen Religion sei.
Der Pfarrer erwiderte, so etwas Dummes habe er selten gehört, aber er könne ja nicht angemessen darauf antworten, da Herr Karlsson ihm weitere Erläuterungen zum anglikanischen Glauben verboten habe. Aber ob sich Herr Karlsson vielleicht vorstellen könnte, sich den Rest der Geschichte anzuhören, ohne ihn öfter als notwendig zu unterbrechen?
Die Fortsetzung ging so, dass Pfarrer Ferguson mit seinen neu gewonnenen Einsichten über die Infiltration seiner Mission durch die Geheimpolizei ganz neu zu denken begann, in ganz großem Maßstab.
Und so schüttelte der Pastor seine acht vermutlich spionierenden Schüler ab und nahm Kontakt mit der kommunistischen Untergrundbewegung auf. Er ließ ausrichten, er sei ein britischer Vertreter der Wahren Lehre, der sich mit ihnen treffen wolle, um über die Zukunft zu reden.
Es dauerte eine Weile, bis ein Treffen arrangiert war, aber schließlich saß er mit fünf Herren aus dem Führungskreis der Kommunisten in der Provinz Razavi Khorasan an einem Tisch. Eigentlich hatte er die Kommunisten aus Teheran treffen wollen, denn er dachte sich, dass die wahrscheinlich mehr zu sagen hatten, aber diese Diskussion konnte ihn sicher auch schon weiterbringen.
Oder auch nicht.
Pfarrer Ferguson unterbreitete den Kommunisten seine Idee, die kurz gefasst darauf hinauslief, dass der Anglikanismus iranische Staatsreligion werden sollte, wenn die Kommunisten an die Macht kamen. Wenn sie einverstanden wären, würde er sich als Kirchenminister anbieten und als solcher dafür sorgen, dass von Anfang an genug Bibeln zur Verfügung standen. Dann müsste man eben noch Kirchen bauen, aber fürs Erste könnte man ja auf geschlossene Synagogen und Moscheen ausweichen. Was schätzten die Herren Kommunisten eigentlich, wie lange es noch dauern würde bis zur kommunistischen Revolution?
Seine Gesprächspartner hatten nicht mit dem Enthusiasmus oder zumindest der Aufgeschlossenheit reagiert, die Pfarrer Ferguson sich erhofft hatte. Vielmehr wurde ihm klar, dass es weder Anglikanismus noch andere Ismen neben dem Kommunismus geben würde, wenn dessen Zeit erst gekommen war. Außerdem blies man dem Pastor noch ganz gehörig den Marsch, weil er sich diese Unterredung durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen hatte. So etwas von Zeitverschwendung war den Kommunisten ja noch nie untergekommen.
Mit drei zu zwei Stimmen wurde beschlossen, dass Pfarrer Ferguson eine ordentliche Tracht Prügel kriegen sollte, bevor man ihn wieder in den Zug nach Teheran setzte, und mit fünf zu null Stimmen, dass es für die Gesundheit des Pastors das Beste war, wenn er sich nicht noch einmal die Mühe machte, zu ihnen zu kommen.
Allan lächelte und meinte, er könne die Möglichkeit nicht ausschließen, dass der Pfarrer nicht ganz richtig im Oberstübchen sei, wenn Pfarrer Ferguson die Formulierung entschuldigen wolle. Eine religiöse Übereinkunft mit den Kommunisten zu erzielen, war doch von vornherein aussichtslos, ob ihm das nicht in den Kopf gehe?
Der Pfarrer entgegnete, dass Heiden wie der Herr Karlsson gut daran täten, sich kein Urteil darüber anzumaßen, ob jemand richtig im Oberstübchen sei oder nicht. Obwohl, natürlich hatte auch der Pastor gewusst, dass die Erfolgsaussichten äußerst gering waren.
»Aber nun stellen Sie sich mal vor, es wäre tatsächlich gelungen, Herr Karlsson. Stellen Sie sich vor, man hätte dem Erzbischof von Canterbury telegrafieren können, um ihm zu melden, man habe auf einen Schlag fünfzig Millionen neue Anglikaner gewonnen!«
Allan gab zu, dass die Grenze zwischen Verrücktheit und Genialität manchmal haarfein sein konnte und dass er nicht mit Sicherheit sagen könne, was in diesem Fall vorlag. Trotzdem behalte er sich seine Skepsis vor.
Jedenfalls stellte sich dann heraus, dass die verdammte Polizei des Schahs die Kommunisten in Razavi Khorasan abhörte, und Pastor Ferguson war kaum aus dem Zug in Teheran gestiegen, als man ihn auch schon verhaftete und zum Verhör mitnahm.
»Da habe ich alles gestanden und noch ein bisschen mehr«, erzählte Pfarrer Ferguson, »denn mein magerer Körper ist nicht dafür geschaffen, Folter auszuhalten. Eine gestandene Tracht Prügel ist eine Sache – Folter eine andere.«
Nach seinem sofortigen, übereifrigen Geständnis hatte man den Pfarrer in dieses Gefängnis gebracht, und hier hatte man ihn die letzten zwei Wochen in Frieden gelassen, weil der Chef, der Vizepremierminister, auf Dienstreise in London war.
»Der Vizepremierminister ?«, hakte Allan nach.
»Ja, beziehungsweise der Chefmörder«, sagte Kevin Ferguson.
Es hieß, man könne sich keine zentralistischer geführte Organisation als die Geheimpolizei vorstellen. Um die Bevölkerung routinemäßig einzuschüchtern oder Kommunisten, Sozialisten und Islamisten umzubringen, brauchten sie natürlich nicht den Segen ihres obersten Vorgesetzten. Doch sobald gewisse Grenzen überschritten wurden, lag die Entscheidung bei ihm. Der Schah hatte ihm zwar den Titel »Vizepremierminister« verliehen, aber in Wirklichkeit war er einfach nur ein Mörder, meinte Pastor Ferguson.
»Und nach allem, was die Gefängniswärter erzählen, lässt man das ›Vize‹ lieber weg, wenn man ihn anredet. Wenn man denn das Pech haben sollte, ihn persönlich treffen zu müssen, und in Ihrem und meinem Fall sieht es ja ganz danach aus.«
Vielleicht hatte der Pfarrer mehr Umgang mit den Kommunisten im Untergrund gehabt, als er zugeben wollte, dachte Allan, denn Ferguson fuhr fort:
»Seit Ende des Weltkriegs ist die amerikanische CIA vor Ort und hilft dem Schah, die Geheimpolizei aufzubauen.«
»Die CIA?«
»Ja, so heißen die jetzt. Früher hießen sie OSS, aber es ist dieselbe schmutzige Organisation. Die haben der iranischen Polizei alle Tricks und alle Foltermethoden beigebracht. Was muss das für ein Mensch sein, der zulässt, dass die CIA die Welt auf diese Art zerstört?«
»Sie meinen den amerikanischen Präsidenten?«
»Harry S. Truman wird einst in der Hölle schmoren, das kann ich Ihnen schwören«, erklärte Pfarrer Ferguson.
»Ja, meinen Sie?«, sagte Allan.
* * * *
So vergingen die Tage im Gefängnis der Geheimpolizei in Teheran. Allan hatte dem Pfarrer die eigene Lebensgeschichte erzählt, ohne ein Detail auszulassen. Da wurde der Pastor ganz still und sprach nicht mehr mit Allan, denn nun wusste er, in welcher Verbindung sein Zellengenosse zum amerikanischen Präsidenten und – noch schlimmer! – zu den Bomben auf Japan stand.
Stattdessen wandte er sich an Gott und bat um Rat. Hatte der Herr ihm diesen Karlsson geschickt, um ihm zu helfen, oder steckte am Ende gar der Teufel dahinter?
Doch Gott antwortete mit Schweigen, das machte er manchmal, und das deutete Pfarrer Ferguson stets so, dass er selbst nachdenken sollte. Es war zwar nicht immer gut gegangen, wenn der Pastor selbst nachdachte, aber man sollte es nie aufgeben.
Nachdem er zwei Tage und zwei Nächte das Für und Wider abgewogen hatte, kam Pastor Ferguson zu dem Schluss, dass er vorerst Frieden mit dem Heiden im Nachbarbett schließen sollte. Und er teilte Allan mit, dass er jetzt wieder mit ihm zu reden gedenke.
Allan erwiderte, es sei zwar herrlich ruhig gewesen, als der Pastor schwieg, aber netter sei es doch wohl, zu antworten, wenn der andere einen ansprach.
»Außerdem werden wir wohl irgendwie versuchen, von hier zu fliehen, und vielleicht am besten noch, bevor dieser Chefmörder aus London zurückkommt. Da wäre es ungünstig, wenn wir uns jeder in seinen Schmollwinkel verziehen, nicht wahr, Herr Pastor?«
Ja, da stimmte Pfarrer Ferguson ihm natürlich zu. Wenn der Chefmörder wieder da war, würde es ein kurzes Verhör geben, und dann würden sie einfach verschwinden. So hatte Pfarrer Ferguson es jedenfalls von anderen gehört.
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