Die Zelle war zwar kein richtiges Gefängnis mit Hochsicherheitsschlössern und allem Drum und Dran. Es kam sogar vor, dass die Wachen sich gar nicht die Mühe machten, die Tür richtig abzusperren. Doch am Ein- und Ausgang des Gebäudes saßen nie weniger als vier Wachen, und die würden sicher nicht tatenlos zusehen, wenn Allan und der Pfarrer versuchten, sich hinauszuschleichen.
Könnte man wohl irgendwie einen Tumult stiften?, überlegte Allan. Und sich dann in der allgemeinen Aufregung einfach verziehen? Das war vielleicht eine Überlegung wert.
Jetzt brauchte Allan Ruhe zum Nachdenken. Er beauftragte den Pastor, den Wachen die Information zu entlocken, wie viel Zeit sie noch hatten. Wann genau also der Chefmörder zurückkam. Wann alles zu spät war.
Der Pfarrer versprach, gleich bei der nächsten Gelegenheit zu fragen. Vielleicht sogar jetzt gleich, denn gerade rasselte es an der Tür. Der jüngste und netteste Wärter steckte den Kopf in die Zelle und verkündete mit mitleidiger Miene:
»Der Premierminister ist aus England zurück, Sie werden jetzt verhört. Wer will als Erster?«
* * * *
Der Chef der Behörde für innere Sicherheit und Nachrichtendienst saß in seinem Büro in Teheran und hatte schlechte Laune.
Während seines Aufenthalts in London hatten ihm die Briten die Leviten gelesen. Ihm, dem Premierminister (so gut wie), Leiter dieser Behörde, einem der wichtigsten Glieder der iranischen Gesellschaft, hatten die Briten die Leviten gelesen !
Dabei war der Schah doch so darauf bedacht, die vornehmen Engländer bei Laune zu halten. Das Öl war in britischer Hand, und er selbst räumte unter allen Kräften auf, die auf eine neue politische Ordnung hinarbeiteten. Und das war gar nicht so leicht, denn wer war denn schon zufrieden mit diesem Schah? Die Islamisten nicht, die Kommunisten nicht und ganz bestimmt nicht die Ölarbeiter, die sich buchstäblich zu Tode rackerten für umgerechnet ein britisches Pfund pro Woche.
Und dafür hatte er jetzt Schelte kassiert, statt belobigt zu werden!
Der Polizeichef wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, als er mit einem verhafteten Provokateur unbekannter Herkunft ein bisschen grob umgesprungen war. Der Provokateur hatte sich geweigert, irgendetwas zu sagen, er hatte nur beharrlich wiederholt, dass er seine Freilassung verlange, denn er habe sich nichts weiter zuschulden kommen lassen, als darauf zu bestehen, dass sich in der Schlange beim Metzger jeder hinten anstellen musste, auch die Mitglieder der Staatlichen Geheimpolizei.
Nachdem der Provokateur seine Sache vorgebracht hatte, verschränkte er die Arme und beantwortete alle Fragen nach seiner Identität mit Schweigen. Sein ganzes Auftreten gefiel dem Polizeichef nicht (es war wirklich provokativ), daher setzte er ein paar von den neuesten Foltermethoden der CIA ein (der Polizeichef bewunderte den Erfindungsreichtum der Amerikaner). Erst da stellte sich heraus, dass der Provokateur Assistent an der britischen Botschaft war, und das war dann natürlich so richtig misslich.
Man löste das Problem, indem man den Assistenten wieder herrichtete, so gut es eben ging, um ihn dann freizulassen. Allerdings nicht ohne dafür zu sorgen, dass er gründlich von einem Lastwagen überfahren wurde, dessen Fahrer prompt Unfallflucht beging. So vermeidet man diplomatische Krisen, hatte sich der Polizeichef gedacht und war sehr zufrieden mit sich.
Doch die Briten sammelten die Überreste des Assistenten auf und schickten die ganze Chose nach London, wo die Leiche mit der Lupe untersucht wurde. Daraufhin hatte man den Polizeichef einbestellt und ihn um eine Erklärung gebeten, warum der Assistent der britischen Botschaft in Teheran erst verschwand, um dann drei Tage später justament auf der Straße vor dem Hauptquartier der Geheimpolizei aufzutauchen, wo er prompt überfahren und so übel zugerichtet wurde, dass man die Spuren der zuvor erlittenen Folter fast nicht mehr entdecken konnte.
Selbstverständlich hatte der Polizeichef hartnäckig jede Kenntnis in dieser Angelegenheit abgestritten, so funktionierte eben das diplomatische Spiel, aber dieser Assistent war dummerweise Sohn irgendeines Lords gewesen, der seinerseits ein guter Freund des kürzlich zurückgetretenen Premierministers Winston Churchill war, und jetzt wollten die Briten ein deutliches Zeichen setzen .
Daher hatte man der Behörde für innere Sicherheit und Nachrichtendienst die Verantwortung für den Besuch entzogen, den erwähnter Churchill Teheran in ein paar Wochen abstatten wollte. Stattdessen sollten die Amateure von der Leibwache des Schahs die Veranstaltung beaufsichtigen, was ihre Kompetenzen natürlich bei Weitem überstieg. Der Gesichtsverlust des Polizeichefs war bodenlos. Außerdem schuf das eine Distanz zwischen ihm und dem Schah, die ihm gar nicht gefallen wollte.
Um seine düsteren Gedanken zu zerstreuen, ließ der Polizeichef also einen der beiden Staatsfeinde zu sich rufen, die gerade inhaftiert waren. Er hatte ein kurzes Verhör im Sinn, gefolgt von einer diskreten Hinrichtung und traditioneller Kremierung der Leiche. Anschließend Mittagessen, und am Nachmittag würde er den anderen auch noch gleich abhaken.
* * * *
Allan Karlsson hatte sich freiwillig gemeldet. Der Polizeichef begrüßte ihn an der Tür zu seinem Büro, gab ihm die Hand, bat Herrn Karlsson, Platz zu nehmen, und bot ihm eine Tasse Kaffee an. Vielleicht auch eine Zigarette?
Allan hatte zwar noch nie einen Chefmörder getroffen, aber er hatte sich solche Leute wesentlich ungemütlicher vorgestellt als diesen hier. Also nahm er den Kaffee gerne an, während er auf die Zigarette lieber verzichten wollte, wenn der Herr Premierminister gestattete.
Der Polizeichef versuchte seine Verhöre immer möglichst gesittet zu beginnen. Nur weil man jemanden in absehbarer Zeit umbringen wollte, musste man sich nicht wie ein Flegel aufführen. Außerdem amüsierte es den Polizeichef regelmäßig, wenn er einen Hoffnungsschimmer in den Augen seiner Opfer aufglimmen sah. Die Menschen im Allgemeinen waren schrecklich naiv.
Doch dieses Opfer wirkte überhaupt nicht verschreckt. Noch nicht. Und es hatte den Polizeichef genau so angeredet, wie er angeredet werden wollte. Ein interessanter, guter Einstieg.
Auf die Frage, wer er war, gab Allan – in Ermangelung einer durchdachten Überlebensstrategie – ausgewählte Teile seiner Lebensgeschichte zum Besten: Wie er als Sprengstoffexperte von Harry S. Truman mit einem unmöglichen Auftrag nach China entsandt worden war, um die Kommunisten zu bekämpfen, wie er dann den langen Marsch nach Schweden angetreten hatte und auf dem Weg zu seinem Ziel bedauerlicherweise an der iranischen Grenze gelandet war. Er habe sich gezwungen gesehen, ohne das erforderliche Visum ins Land einzureisen, versprach aber, selbiges sofort zu verlassen, wenn der Herr Premierminister ihn nur ließ.
Der Polizeichef stellte ihm noch eine Reihe weiterer Fragen, die sich nicht zuletzt darum drehten, warum er sich bei seiner Verhaftung in Gesellschaft iranischer Kommunisten befunden habe. Allan antwortete ganz aufrichtig, dass er die Kommunisten zufällig getroffen habe und sie sich nur gegenseitig bei der Überquerung des Himalaya geholfen hätten. Er fügte hinzu, wenn der Herr Premierminister ein ähnliches Unterfangen vorhabe, dürfe er mit seinen Reisegenossen nicht allzu wählerisch sein, denn diese Berge könnten grässlich hoch sein, wenn es ihnen gerade einfiel.
Nun hatte der Polizeichef sicher nicht vor, den Himalaya zu Fuß zu überqueren, ebenso wenig, wie er beabsichtigte, diesen Menschen freizulassen. Doch ihm war ein Gedanke gekommen. Vielleicht konnte einem dieser international erfahrene Sprengstoffexperte noch irgendwie von Nutzen sein, bevor man ihn endgültig verschwinden ließ? Mit vielleicht etwas zu eifriger Stimme erkundigte sich der Polizeichef, auf was für Erfahrungen Herr Karlsson denn zurückblicken könne, wenn es darum ging, berühmte, schwer bewachte Leute heimlich umzubringen.
Читать дальше